Das rote Gold aus dem Freiamt

  06.11.2020 Aristau

Mit ihrer Firma tagora baut die Aristauerin Silvia Bossard Safran an und lanciert Produkte

Nach einem Schicksalsschlag musste Silvia Bossard ihr Leben neu orden. Per Zufall kam sie zum Safran. Mittlerweile ist sie die grösste Produzentin im Land. Mit viel Ideologie entwickelt sie immer neue Produkte und will möglichst bald die ganze Pfianze verwerten und nicht nur die Stempelfäden.

Annemarie Keusch

«Vielleicht», sagt Silvia Bossard. «Damals sicher mehr als heute.» Es sind ihre Antworten auf die Frage, ob das Safran-Projekt für sie eine Therapie ist und vor allem war. Mitte Dezember jährt es sich zum 16. Mal. In Neuseeland geschah das Unglück. Bei einem Flugzeugabsturz kam Heinrich Bossard ums Leben, seine Frau Silvia überlebte, schwer verletzt. «Direkt nach dem Unfall geschah es unbewusst, dass ich mich in dieses Projekt stürzte», erzählt sie. Verarbeitet hatte sie nichts, weder ihren eigenen körperlichen Schmerz noch die Trauer um den Tod ihres Mannes.

Silvia Bossard suchte etwas, womit sie ihren plötzlich leer gewordenen Alltag wieder füllen konnte. Dass es der Safran wird, bezeichnet sie im Nachhinein als Zu-, aber auch als Glücksfall. Silvia Bossard hat darin eine ganz grosse Leidenschaft gefunden, weiss mittlerweile so viel über die violette Pflanze mit den roten Fäden wie wohl kaum jemand im Land.

Konsumenten wissen wenig

Seit 13 Jahren pflanzt Silvia Bossard unter dem Namen tagora Safran an. Viel Ideologie steckt dahinter. Sie bezeichnet es als Sozialprojekt, das sie wirtschaftlich rentabel machen will. Der Weg dahin ist weit, auch weil viele Konsumentinnen und Konsumenten wenig über das Produkt wissen. «Hier wollen wir ansetzen», sagt Silvia Bossard. Und ein weiterer wichtiger Schritt sei es, die ganze Pflanze zu verwenden und nicht nur die als Safran bekannten roten Stempelfä-

den. Viele Ideen sind da. Auch beim Besuch auf dem Feld zeigt sich: Silvia Bossard hat mit dem Safran viel vor.


Am besten Tag 400 Gramm

Auf Feldern in Hendschiken pflanzt Silvia Bossard aus Aristau Safran an – im Kapf wird dieser verarbeitet

Sie stecken mitten in der Erntezeit. Tag für Tag sind es bis zu zwölf Leute, die auf den Feldern in Hendschiken Safranblüten piücken. Verarbeitet, «vereinzelt» werden sie in Aristau. In stundenlanger Arbeit werden dort die wertvollen Stempelfäden von den Blüten getrennt. Ein Besuch zeigt, warum Safran so teuer ist.

Annemarie Keusch

Es ist die dritte Woche am Stück. Tag für Tag. Eine Ausnahme gabs, weil der Regen zu stark war. «Das war das erste Mal, seit wir Safran anpflanzen», sagt Silvia Bossard. Einen ganzen Tag ohne pflücken gibts sonst nicht. Zu schnell wachsen die Pflanzen. «Die Blüten, die heute schön lila und offen sind, waren gestern noch sehr klein», sagt Silvia Bossard und hält ihren Zeigefinger ganz nah vor eine Safranpflanze. In Reihen spriessen sie aus dem Boden. Regelmässig zwar nicht, dafür ist das Unkraut rundum zu stark gewachsen. «Bio», sagt Silvia Bossard. 2015 stellte sie ihren Betrieb auf Knospe um.

Zu zwölft treffen sie sich diesen Nachmittag auf dem Feld ausgangs Hendschiken Richtung Dottikon. «Eine eingeschworene Gruppe», sagt Silvia Bossard. Ausgerüstet sind fast alle mit Gummistiefeln, es hat am Morgen noch leicht geregnet. In ihrer Hand halten alle eine Tasche. «Plastik, Papiertaschen sind auch schon gerissen, wenn die Blüten feucht sind», erklärt Silvia Bossard. In Reihen gehen sie durchs Feld, pflücken die schönen Blüten, in dem sie sie unterhalb der Blüte abklemmen. «Eine anstrengende Arbeit», sagt Silvia Bossard. Lange konnte sie ihr Team dabei nicht unterstützen, aus gesundheitlichen Gründen.

Schmirinskis oder doch Franz Hohler

Dieses Jahr hilft Bossard so viel auf dem Feld mit wie lange nicht mehr. Das stetige Bücken und Wiederstrecken – die Knie und der Rücken schmerzen jeden Abend. «Wir sind am Anschlag», sagt die 60-Jährige. Seit drei Wochen läuft die Ernte auf Hochtouren, vier bis acht Wochen kann sie andauern, je nach Saison. Pausen können sie sich kaum erlauben. «Weil die Pflanzen so schnell wachsen, verwelken sie auch sehr schnell.» Um 13 Uhr gehts also Tag für Tag los, bis die ganzen 0,7 Hektaren abgepflückt sind.

Silvia Bossard kann auf eine treue Helferschar zählen, die ihr auf dem Feld hilft. Viele sind seit Jahren dabei, einige sind neu, von der angehenden Medizinstudentin bis zur Hausfrau und Mutter sind verschiedenste Berufsgattungen vertreten. «Was wir schon miteinander gelacht haben», sagt Silvia Bossard und schaut einen der wenigen Männer an, die Blüten pflücken. «Ich heisse René und weiss von nichts.» Alle lachen. Schmirinskis? «Nein, natürlich Franz Hohler.» Die Arbeit ist streng, auch wenn viele gute Gespräche und der eine oder andere Witz Platz haben. «Nun weiss ich, wieso Safran so teuer ist», sagt eine Frau. «Das ganze Leben lang würde ich das nicht machen wollen», sagt eine andere. Trotzdem gefällt es, auch weil die Arbeit saisonal beschränkt ist und weil sie an der frischen Luft gemacht wird. «Und wir sehen am Feierabend, was wir gemacht haben.»

200 000 Planzen für ein Kilogramm Safran

Feierabend ist in der Safranernte oft spätnachts. Denn, wenn nach zwei Stunden die ersten Plastiksäcke mit Blüten gefüllt sind, gehen die ersten von den Hendschiker Feldern, die Bossard von ihren Eltern erbte, zurück nach Aristau. Auf dem Kapf hat sie sich zusammen mit ihrem Mann niedergelassen. Hier hat sie sich nach seinem Tod eingerichtet, um den Safran zu verarbeiten. Die langen Tische sind mit weissen Leintüchern ausgelegt. «Da ist der Kontrast besser», sagt Silvia Bossard. Sie verteilt die gepflückten Blüten auf die Tische. Die Arbeit von zwölf Leuten während zwei Stunden ist auf einer einzigen Tischlänge zu sehen.

Im Dreifachen an Zeit wird die Blüte jetzt in ihre Einzelteile zerlegt: Blütenblätter, Stempfelfäden, Griffel. «Das braucht schon Konzentration, sonst liegen die wertvollen Stempelfäden plötzlich auf dem falschen Haufen», sagt Silvia Bossard. Wobei Haufen wohl der falsche Ausdruck ist. 200 000 Safranplanzen brauchts, um ein Kilogramm Fäden zu gewinnen. An einem der besten Tage in der letzten Ernte, zeigte die Waage am Schluss des Vereinzelns 400 Gramm an. Daran hatten 20 bis 30 Helfer stundenlang mit viel Fingerspitzengefühl gearbeitet. Ein Teil davon sind die Gleichen, die am Nachmittag auf dem Feld waren. «Beim Vereinzeln wird der Rücken wieder gerade», sagt Silvia Bossard schmunzelnd.

Vieles ausprobiert

Mit null Wissen hat sich Silvia Bossard 2007 ins Abenteuer Safran gestürzt. «Ich habe in der Zwischenzeit viel gelesen, vor allem viel ausprobiert und sicher auch das eine oder andere falsch gemacht», sagt sie. Etwa dann, als sie 50 000 Knollen aus Afghanistan bestellte, diese aber nicht wuchsen. Oder als sie im Kampf gegen das Unkraut Planen auf den Feldern verteilte. «Darunter wuchs zwar kein Unkraut, aber auch kein Safran.» Heute kann Silvia Bossard darüber lachen. Heute weiss sie viel über die lila Pflanzen mit den roten wertvollen Stempelfäden.

Vom Sirup bis zum Hagebutten-Safran-Gelee

Und dieses Wissen will sie weitergeben. «Viele Konsumenten wissen nichts über den Safran und verstehen folglich nicht, warum er so teuer ist.» Viele meinen etwa, die Pflanzen blühen im Frühling, wie viele Krokusarten. Oder mittels Laboranalysen fand Bossard heraus, dass viele in der Schweiz als Safran verkaufte Produkte gar nicht aus Safran bestehen. Und viele wissen nicht, dass die Pflanzen mehrjährig sind. «Sofern sie nicht von Mäusen oder Engerlingen gefressen werden, blühen die Pflanzen auch im nächsten Herbst wieder.»

Jedes Jahr lanciert Silvia Bossard neue Produkte. Die Ideen gehen ihr nicht aus, von Kosmetik über verschiedenste kulinarische Rezepte, obwohl Bossard sagt: «Kochen muss bei mir schnell gehen, nahrhaft und fein sein.» Neben den getrockneten Safran-Fäden gehört Safran-Sirup schon länger zum tagora-Sortiment, Safran-Quitten-Gelee und Safran-Likör mit Kernobst oder Kirsch ebenso. Dieses Jahr kam der Hagebutten-Safran-Gelee dazu. Ein Energy Drink oder Schokolade sind in Vorbereitung. Aber Bossard will mehr. Sie will viel mehr als nur die Stempelfäden nutzen, die nur drei Prozent der gesamten Blüte ausmachen.

Blütenblätter für die Kosmetik

Es ist nicht in erster Linie der wirtschaftliche Gedanke, den sie dazu motiviert, möglichst viel der Blüte zu brauchen. Auch wenn sie sagt, dass niemand von seinem Produkt nur drei Prozent verwenden und 97 Prozent wegwerfen würde. Vielmehr ist es ihre Überzeugung, die gleiche, die sie damals auf biologischen Anbau umstellen liess. «Psychisch und physisch tut es mir nicht gut, so viel wegzuwerfen. So wird der Boden ausgebeutet, für nur einen kleinen Teil der Ernte. Das geht nicht», sagt sie. Also suchte sie in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz nach Lösungen. Und sie wurde in der Kosmetik fündig.

Laut Forschungen sind sowohl die Inhaltsstoffe der Blütenblätter als auch die der Knollen geeignet, beispielsweise für die Hemmung von Entzündungen. In entsprechende Patente hat Silvia Bossard schon einiges investiert. Am Ziel ist sie aber noch nicht. «Ich gebe mir noch einige Jahre Zeit, unabhängig des Rentenalters», meint die 60-Jährige. Das Ziel: Ihr Safrananbau soll wirtschaftlich rentabel werden. Heute ist es anders, das sagt Silvia Bossard klar: «Ohne das ganze Safranprojekt würde es mir inanziell besser gehen.» Ihr Elan ist ungebrochen. Auch wenn nach einigen Tagen Ernte doch der eine oder andere Muskelkater auftritt. Silvia Bossard lächelt. «Es hat Jüngere, die haben viel mehr Muskelkater als ich.»

Mehr Infos: www.tagora.ch


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