«Das Unsichtbare sichtbar machen»
20.06.2025 Wohlen, FilmInterview mit Mehdi Sahebi: Der Filmemacher ist zu Gast am Flüchtlingstag in Wohlen
Mehdi Sahebi wurde im Iran geboren und kam im Alter von zwanzig Jahren in die Schweiz. Seine Dokumentarfilme wurden auf zahlreichen Filmfestivals ausgezeichnet. Sein aktueller Film ...
Interview mit Mehdi Sahebi: Der Filmemacher ist zu Gast am Flüchtlingstag in Wohlen
Mehdi Sahebi wurde im Iran geboren und kam im Alter von zwanzig Jahren in die Schweiz. Seine Dokumentarfilme wurden auf zahlreichen Filmfestivals ausgezeichnet. Sein aktueller Film «Gefangene des Schicksals» sorgt für Aufsehen. Er wird morgen Samstag am Flüchtlingstag in Wohlen gezeigt.
Sie sind mit Ihrem Film «Gefangene des Schicksals» morgen Samstag in Wohlen zu Gast. Was ist Ihre Botschaft im Film? Möchten Sie nur informieren, aufzeigen oder auch aufrütteln?
Mehdi Sahebi: Wenn ich eine Botschaft gehabt hätte, hätte ich wohl keinen Film drehen müssen – dafür gibt es direktere und effizientere Formen: einen Artikel, ein Essay, ein Statement. Gute Dokumentarfilme versuchen, das Unsichtbare sichtbar zu machen – das, was wir nicht sehen wollen, was wir übersehen oder verdrängen. Es geht mir nicht darum, einfache Antworten zu geben, sondern darum, komplexe Lebensrealitäten erfahrbar zu machen. Der Satz «Wendet euch den Unsichtbaren zu», den man Christus zuschreibt, hat für mich eine tiefe Bedeutung. Er bringt auf den Punkt, was ich als Sinn und Bedeutung von Kunst – und insbesondere des Dokumentarfilms – verstehe. Das Unsichtbare meint nicht nur die gesellschaftlich Ausgegrenzten, sondern auch jene inneren Räume des Menschseins, die sich schwer in Worte fassen lassen.
Wie fielen die Feedbacks zum Film aus?
Die Reaktionen waren erfreulich positiv. Der Film «Prisoners of Fate» wurde für den Schweizer Filmpreis nominiert und mit dem Zürcher Filmpreis ausgezeichnet. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer haben mir persönliche Nachrichten geschrieben – sie fühlten sich berührt und auch nachdenklich gestimmt. Auch in der Presse wurde der Film sehr wohlwollend aufgenommen
Welches sind denn die Fixpunkte Ihrer eigenen Geschichte?
Ich wurde im Iran geboren und kam Anfang der 1980er-Jahre als junger Mann in die Schweiz. Seither beschäftigen mich Kunst, Philosophie, Film und Ethnologie – stets mit dem Wunsch, Brücken zwischen Kulturen und Lebensrealitäten zu bauen. Gesellschaftliche Themen, insbesondere Fragen rund um Identität, Zugehörigkeit, menschliche Beziehungen sowie Denkstrukturen und kulturelle Prägungen, begleiten mich sowohl in meiner künstlerischen Arbeit wie auch in meinem persönlichen Leben. Sie bilden das Rückgrat meines Schaffens.
Warum haben Sie den Iran verlassen (müssen), und warum ist die Schweiz Ihre neue Heimat geworden?
Das islamische Regime im Iran war von Anfang an ein ideologisch geprägtes, repressives System. Bereits in den frühen 1980er-Jahren begannen Verhaftungen, ideologische Säuberungen und massive Einschränkungen von Freiheits- und Menschenrechten. Der Widerstand gegen diese autoritäre Herrschaft war schon damals in vielen Teilen der Bevölkerung spürbar – und er ist bis heute lebendig.
Und wie waren die Auswirkungen für Sie?
Ich selbst habe den Iran mit knapp 20 Jahren verlassen, weil ein freies Leben dort für mich nicht mehr möglich war. Ich habe immer an die Möglichkeit geglaubt – und sie mir gewünscht –, dass dieses Regime eines Tages überwunden wird. Heute bin ich überzeugt: Wir sind diesem Ziel so nah wie nie zuvor. Die Menschen im Iran – insbesondere die Frauen – zeigen einen beeindruckenden Mut und eine ungebrochene Sehnsucht nach Freiheit. Ich hoffe von Herzen, dass sie bald in einem offenen, demokratischen Land leben können. Die Schweiz ist seit über 40 Jahren meine Heimat. Hier habe ich ein Leben aufgebaut, tiefe Freundschaften geschlossen und ein Umfeld gefunden, in dem ich mich sowohl menschlich als auch beruflich entfalten kann.
Wie haben Sie die Integration in der Schweiz erlebt?
Integration ist kein Ziel, sondern ein Prozess – eine wechselseitige Annäherung. Für mich bedeutete es, neugierig und offen zu bleiben, mich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen, aber auch meine eigene Herkunft nicht zu verleugnen. Es braucht Geduld – auf beiden Seiten. Ich hatte das Glück, auf Menschen zu treffen, die mir Vertrauen geschenkt haben.
Haben Sie denn Heimweh nach dem Iran?
Heimweh im klassischen Sinne empfinde ich nicht. Natürlich gibt es eine emotionale Verbindung zur Sprache, zur Kultur meiner Herkunft. Das ist ein Teil von mir. Doch mein Leben, meine Erfahrungen und mein innerer Bezugspunkt sind heute in Europa. In der globalisierten Welt tragen viele Menschen mehrere Zugehörigkeiten in sich – das ist eine Bereicherung. --dm
Der Flüchtlingstag findet am Samstag, 21. Juni, 14 bis 22 Uhr, rund um die Kirche und den Chappelehof statt. Von 20 bis 21.30 Uhr wird im Chappelehof der Dokumentarfilm «Gefangene des Schicksals» gezeigt. Der Filmemacher Mehdi Sahebi wird persönlich anwesend sein und Fragen des Publikums beantworten. – Weitere Informationen: www.fluechtlingstage-aargau.ch/regionen/freiamt.