Dem Kapf eine Zukunft geben
17.12.2024 AristauOhne viel zu verändern
Der Kapf in Aristau wird aktuell saniert
Zehn Tonnen Bücher. In allen Zimmern waren sie. Und überall sollen sie wieder hin. «Das gibt einiges an Arbeit», sagt Ernst Halter. Viele Jahre bewohnte er mit Erika ...
Ohne viel zu verändern
Der Kapf in Aristau wird aktuell saniert
Zehn Tonnen Bücher. In allen Zimmern waren sie. Und überall sollen sie wieder hin. «Das gibt einiges an Arbeit», sagt Ernst Halter. Viele Jahre bewohnte er mit Erika Burkart diesen speziellen Ort in Aristau. Seit ihrem Tod lebt er alleine da. Das Haus ist rund 300-jährig. Und es brauchte dringend Renovationen. «Das Fachwerk war kaum mehr beständig», sagt Ernst Halter. Schon zwei Jahre nun laufen die Sanierungsarbeiten. Seit letztem September lebt Ernst Halter in Muri und freut sich auf die Rückkehr. --ake
Die Sanierungsarbeiten beim stattlichen Haus in Aristau stehen vor dem Abschluss
Das Fachwerk in den Obergeschossen verdiente seinen Namen kaum mehr. Der Verputz blätterte. Die Balken waren teilweise morsch. Die gut 300 Jahre zollten Tribut. Seit zwei Jahren laufen Renovationsarbeiten beim Kapf in Aristau. Die Josef Müller Stiftung machts möglich und Ernst Halter steht kurz vor dem Wiedereinzug.
Annemarie Keusch
Es ist dieser Sessel. Grüngelb. Holzlehnen. «Ich nehme diesen Sessel», sagt Ernst Halter. Im Raum hätte es noch viele andere. Zwischen noch mehr Kartonschachteln, die gefüllt sind mit Literatur. Zettel liegen auf den Polstern, damit klar ist, wo welcher Sessel und welcher Stuhl hinsoll, wenn wirklich alles fertig renoviert ist. Halter nimmt bewusst diesen Sessel, ganz bewusst. Hier sass er. Im Sommer 1967. Halter kam beim Kapf vorbei, weil ihn die Leinwandtapeten aus dem 18. Jahrhundert interessierten. Die Tapeten, die erst in einigen Monaten zurückkehren werden. «Auch sie werden gereinigt und restauriert», weiss Halter. Jene Tapeten lockten ihn damals auf dem Weg zu seinen Eltern in Zofingen, einen Umweg via Kapf zu machen. «Natürlich sah ich sofort, dass die Wandbehänge drittklassig waren – und die Restauration macht sie nicht besser. Nach fünf Minuten wendeten wir uns anderem, dem andern, zu. Wir redeten zwei Stunden, dann war alles klar.»
Halter verliebte sich in Erika Burkart – und in den Kapf. Diesen Ort, dieses Haus, diese Aussicht. Seit gut einem Jahr lebt er nicht mehr hier, sondern in Muri. «Wie das ist für mich? Eine Depression, jeden Tag aufs Neue.» Die Ausblicke fehlen, auf die Alpen, über das Reusstal, zum Lindenberg. Die grosszügigen Raumverhältnisse. Und die Literatur. «Wohl die grösste private Bibliothek im Freiamt», sagt er. In jedem Zimmer standen Bücherregale an der Wand, in den meisten sind sie bereits zurück. «Das gibt einiges an Arbeit», sagt Ernst Halter. Eine Bibliothek, die nicht richtig geordnet ist, verliere schliesslich ihren Wert. Rund zehn Tonnen Bücher sind es. Mindestens jeden zweiten Tag ist Ernst Halter aktuell auf der Baustelle. Das Einsortieren der vielen Bücher ist eine seiner grössten Aufgaben.
Möglichst bald will er zurück
Obwohl es ihm zusetzt, aktuell nicht im Kapf leben zu können, hat Ernst Halter die Renovationspläne von Anfang an unterstützt. «Ganz einfach, weil es dringend nötig war», sagt der 86-Jährige. Nicht wegen des Mauerwerks. Sondern wegen des Fachwerks, das damals vor über 300 Jahren auf die Mauern, die bis zum ersten Erdgeschoss reichen, gebaut wurde. «Die Balken haben ihre Lebensdauer längst erreicht. Vor allem auf der Wetterseite.» Nur ostseitig habe man sie bei der Renovation teils gar wiederverwenden können. Auch Decken mussten erneuert, Stuckaturen nachgezogen werden. Halter weiss: «Man hat dieses Projekt wohl im Unwissen darüber gestartet, was einen alles erwartet.» Auch der Statiker meinte, dass das Haus noch gut hundert Jahre hätte stehen, aber auch am selben Tag noch hätte einstürzen können.
Halter freuts, dass der Kapf mit den Renovationsarbeiten eine Zukunft erhält. Für sich – er hofft, im Januar, spätestens im Februar zurückziehen zu können. Aber vor allem für das Haus, den Ort. Und damit dessen Geschichte. Erst möglich macht dies die Josef Müller Stiftung Muri. 2021 kaufte sie von Ernst Halter das Kapf-Haus. «Weil sie das Gebäude samt Bibliothek erhalten wollen und Pläne haben, das Haus nach meinem Tod einer verwandten Nutzung zuzuführen, war ich sofort einverstanden.» Und auch weil ihm die finanziellen Mittel für die nötige Renovation fehlten. «Ich habe zeitlebens viel Geld in den Kapf und dessen Erhalt gesteckt, das nun wäre aber zu viel gewesen.»
Zwischen Muri und Hermetschwil
Die Geschichte dieses Ortes, dieses Hauses ist vielseitig. Und eine, über die wenig bekannt ist. Dass mit der Renovation auch dieser Geschichte vertieft auf den Grund gegangen werden soll, war für die Verantwortlichen der Josef Müller Stiftung darum klar. Christoph Zurfluh übernahm diese Arbeit, verbrachte viel Zeit in Archiven, führte Gespräche. «Keine einfache Aufgabe», sagt der Autor. Auch weil es verschiedene und nicht übereinstimmende Chroniken gibt. 1687 müsse es gewesen sein, als der damalige Abt Plazidus Zurlauben für 2200 Gulden den Kapf bauen liess. «Ein Ort der Rekreation für die Klosterbrüder», weiss Zurfluh. Erlaubt war es aber allen Mönchen nur einmal jährlich, für maximal zwei Tage hier zu sein. Zurfluhs These, dass hier noch mehr passiert sein müsse, konnte er aber nicht belegen. «Im Gegenteil. Es liess sich kaum etwas über die ersten beiden Jahrhunderte finden. Fast verdächtig wenig.» Zurfluh spricht von einer Detektivarbeit und hält fest: «Es scheint fast, als ob man den Kapf bewusst totschweigen würde. Das erstaunt, denn dass ihn Fürstabt Georg Haimb rund 50 Jahre nach dem Bau aufwendig saniert, heisst ja nichts anderes, als dass er eine gewisse Bedeutung gehabt haben muss. Die Frage ist bloss, welche.»
Eine wirkliche Antwort fand der Autor nicht, stattdessen eine These. «Reine Spekulation.» Die Fussdistanz vom Kloster Muri zum Kapf und vom Kloster Hermetschwil dorthin sei ähnlich. Hinzu kommt die abgeschiedene Lage am Dorfrand. «Ob der Kapf tatsächlich als Liebesnest für die Brüder aus Muri und die Schwestern aus Hermetschwil gedient hat, bleibt allerdings eine gewagte These. Es gibt jedenfalls keine stichhaltigen Beweise dafür, weil er ja kaum je erwähnt wird. Ironischerweise ist es allerdings genau diese Tatsache, die auf diese Möglichkeit hindeutet.» Ernst Halter findets lustig.
Zwischenzeitlich florierte das Restaurant
Lustig war die Geschichte aber vor allem in den letzten knapp zweihundert Jahren nicht immer. Nach der Klosteraufhebung folgte die Versteigerung, von 1881 bis 1922 wechselte der Kapf ständig den Besitzer. Bis Walter Burkart, der als Minenarbeiter, Abenteurer und Reiher- und Grosswildjäger in Südamerika zu Reichtum kam, die Gebäude kaufte. Ein Restaurant entstand, das zwischenzeitlich auch florierte. «Mit dem Bau des Murimoos und den Trunkebolden, die für Tumulte sorgten, blieb die andere Kundschaft weg», weiss Ernst Halter. Als Erika Burkart das Haus übernahm, wurde es zum Haus der Literatur. «Erika und ich haben hier unser gesamtes Œuvre geschaffen, Erika gegen 30, ich 20 Bände Gedichte und Prosa. Wir waren und sind Teil dessen, was man Literatur nennt.»
Ein Haus der Literatur ist es immer noch. Und das soll auch so bleiben. So wünscht es sich Ernst Halter, so beabsichtigt es die Josef Müller Stiftung. Rund ein Jahr werde es dauern, bis alles wieder an seinem Platz sei, schätzt Halter. Zurückziehen in «seinen» Kapf will er aber möglichst bald. Es sei schön geworden, findet er. Das letzte Zimmer wurde letzte Woche neu gestrichen. Noch steht überall vieles herum: Möbel, Kartonschachteln gefüllt mit Büchern, Bilder. «Wenn alles eingerichtet ist, ist der Charakter von vorher wieder da», sagt Ernst Halter. Er freue sich. Das hätte er nicht sagen müssen. Das ist in seinen Augen zu lesen.



