Der Pflanzenflüsterer

  08.06.2022 Oberwil-Lieli

Roger Ingold gehört zu den gefragtesten Gärtnern Europas

Die einzigartige Begrünung des Wohnhochhauses Aglaya in Rotkreuz wurde von Ingold Gartenbau und Begrünung AG aus Oberwil-Lieli realisiert. Dafür ist die Firma als Schweizer «Gärtner des Jahres 2022» nominiert.

Celeste Blanc

«Urban Gardening» und «Vertical Gardening», also das Begrünen in die Höhe von Hausfassaden oder Dächern, ist künftig eine der wichtigsten architektonischen Massnahmen, den steigenden Temperaturen vor allem in den Städten entgegenzuwirken. Eines der wohl bekanntesten Beispiele sind die beiden Hochhäuser des «Bosco Verticale» in Mailand.

Nachhaltig, modern und ganz ähnlich sieht es seit gut eineinhalb Jahren in der Gewerbezone «Suurstoffi» in Rotkreuz mit dem Wohnhochhaus Aglaya aus, das eines der ersten dieser Art in der Schweiz ist. Die Begrünung dieses Baus wurde von Ingold Gartenbau und Begrünung AG realisiert. Dafür ist die Gärtnerei momentan im Rennen für die Auszeichnung zum Schweizer «Gärtner des Jahres». «Für uns ist es eine Ehre, dass wir als kleines Gartenbauunternehmen aus der Region nominiert wurden», freut sich Inhaber Roger Ingold. Ob es für die Auszeichnung reicht, wird Ende Juni bekanntgegeben.

Projekte in der ganzen Schweiz

Roger Ingold ist Gärtner durch und durch, die Pflanzenwelt seine Leidenschaft. Wenn man mit ihm durch die rund 2000 Quadratmeter grosse Gärtnerei zwischen Baumschulen und riesigen Gewächshäusern schlendert, ist seine Faszination für Pflanzen ansteckend. Er bleibt stehen, erklärt und weiss einiges zu erzählen. Vor gut 37Jahren hat Ingold gemeinsam mit seiner Frau Gaby die Gärtnerei ursprünglich in Oberwil-Lieli gegründet, bevor er im Jahr 2021 in Berikon seine Gärtnereifläche erweiterte. «Meine Pf lanzensammlung wurde einfach zu gross», lacht er. «Und die Leute sollen die Möglichkeit haben, bei mir Pflanzen zu kaufen.» Im Sommer dieses Jahres wird der Familienbetrieb an seinen Sohn Ramon übergehen. Damit kann der 62-Jährige einer Leidenschaft folgen, die ihn schon lange in den Bann gezogen hat: die Landschaftsarchitektur. Auch wenn er bald vor dem Pensionsalter steht: «Ich höre noch lange nicht auf», zwinkert Ingold. Denn durch seine Zusammenarbeit mit dem bekannten Berner Landschaftsarchitekten Maurus Schifferli ist er seit geraumer Zeit in zahlreiche Landschaftsprojekte in der ganzen Schweiz und Europa involviert. So wurde vor wenigen Wochen ein grosses Projekt an der Charité in Berlin gewonnen.

Vielversprechende Resultate

Was viele nicht wissen: Roger Ingold zählt zu den bekanntesten Gärtnern im Bereich Moosbewachsung und hat sich in der Schweiz und im Ausland einen Namen gemacht. Ingold ist bekannt für seine speziellen Moosgärten, hat weiter ein Moosbild an der Architektur-Biennale in Venedig und Arbeiten in Deutschland und Tschechien realisiert. Zudem betätigt der Gärtner seit längerer Zeit Forschungen hinsichtlich Moos in der Verwendung als Dachbegrünung. Diese könnte im Hinblick auf die Klimaerwärmung als natürliche Klimaanlage für Bauten verwendet werden. Die Resultate bis jetzt sind vielversprechend.

Vor gut fünf Jahren wurde er aufgrund seiner Erfahrung in der Moosbepflanzung und Gebäudebegrünung in die Hochschule Geisenheim in Hessen, Deutschland, eingeladen, um dort zwei Referate zu halten. «Es war eine Ehre für mich. Dort einen Vortrag halten zu dürfen, ist fast schon der ‹Oskar› unter den Gärtnern.» Dort lernte er die Top-Gärtner Europas kennen, unter anderem Piet Oudolf. «Er ist der beste Pflanzenplaner der Welt und hat schon die ‹High Line› in New York oder die Gärten der englischen Queen begrünt», so Ingold. Mittlerweile zählt Ingold selbst zur europäischen «Gärtnerfamilie» und hält Vorträge in Studiengängen wie Landschaftsarchitektur und viele seiner Projekte sind in Fachzeitschriften porträtiert.

Bedürfnisse verstehen

Zusammen mit Maurus Schifferli ist Ingold auch an grossen Projekten im Basler Zoo involviert. Dabei plant Schifferli als Zooarchitekt die Umgebung, die Roger Ingold und sein Team teilweise realisieren dürfen. Seit dreieinhalb Jahren ist die Ingold Gartenbau und Begrünungen AG im Basler Zoo in der Planung der zwei neuen Vogelhäuser involviert. In ein Haus kommt eine seltene Kolibrisammlung, die eine Pflanzenvegetation aus Südamerika erhält. Im zweiten Vogelhaus wird ein Tropenwald aus Borneo gebaut. Die futterspezifischen Pf lanzen wurden aus Borneo und Südamerika importiert. Gleichzeitig errichtete Schifferli vor Ort eine Baumschule in Borneo, um die Bäume nachzuziehen.

Bevor die Pflanzen gesetzt werden, braucht es einen langen Vorbereitungsprozess. «Zuerst muss man sich tief in die Bedürfnisse der Pflanzen einarbeiten, vor allem dann, wenn man sie nicht kennt», erklärt Ingold. Nach vertieften Recherchen werde geplant, wie die luft-, licht- und temperaturtechnischen Begebenheiten nachgestellt werden können. «Und nicht zu vergessen: Ganz wichtig ist der Boden», so der Gärtner. Wenn der nicht stimme, habe die Pflanze wenig Chancen, zu überleben. Weiter sind in den beiden Vogelhäusern insgesamt etwa 220 Quadratmeter Wandfläche vorgesehen, die mit Moosen, Farnen und Pflanzen begrünt werden sollen. So bepflanzte Ingold diverse Muster, bis er die richtige Kombination von Stein, Oberfläche, Porosität und Wasserhaushalt eruiert hatte.

Technische Teile neu geplant

Solch einzigartige Projekte sind Ingolds Herzensangelegenheit. Daran fasziniert ihn vor allem das Tüfteln. So auch beim Hochhaus Aglaya in Rotkreuz. Für die vertikale Begrünung des Gebäudes brauchte der Gärtner viele Arbeitsstunden, bis mit der eigentlichen Arbeit angefangen werden konnte. «Da es eine ungewöhnliche Arbeit war, gab es keine Referenzen. Wir mussten zuerst Abklärungen treffen, wie dick die Stahlseile und wie hoch deren Spannung sein muss, damit die Pflanzen an ihnen hochwachsen können.»

Technische Teile wie Schächte, Bewässerungssteuerung oder eben Kletterhilfen waren für das Objekt noch gar nicht auf dem Markt und mussten von Ingold zuerst neu geplant und gebaut werden. Auch musste er für das Bundesamt für Luftverkehr eine Tabelle errichten, wie viele Zentimeter die beiden Eichen auf dem Dach pro Jahr wachsen. Mit diesem Begrünungsauftrag habe man in vielen Bereichen Neuland betreten. «Es war ein aussergewöhnliches und extrem spannendes Projekt. Die Erfahrungen erleichtern künftige Aufträge in der vertikalen Begrünung.»

Stimmen für die Wahl des Schweizer «Gärtners des Jahres 2022» können auf der Homepage www.oega.ch abgegeben werden.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote