Der «Sherif» ohne Stern
04.02.2025 WohlenDer Nachfolger von Vito Gasparrini erfüllt dem Wohler Figaro einen Traum
56 Jahre lang hat Vito Gasparrini die Kunden im Laden an der Bahnhofstrasse 1 empfangen. Das waren rund 130 000 Frisuren. Im letzten Jahr ging er in Pension – mit 84 Jahren. Er ...
Der Nachfolger von Vito Gasparrini erfüllt dem Wohler Figaro einen Traum
56 Jahre lang hat Vito Gasparrini die Kunden im Laden an der Bahnhofstrasse 1 empfangen. Das waren rund 130 000 Frisuren. Im letzten Jahr ging er in Pension – mit 84 Jahren. Er wünschte sich einen Nachfolger «mit grossem Herz». Und nun ist Sherif Khalaf der neue Friseur an diesem besonderen Ort.
Es gab wohl kaum Menschen in Wohlen, die Vito Gasparrini nicht kannten. Seit 1968 hat der gebürtige Italiener in seinem Lokal an der Bahnhofstrasse 1 den Menschen die Haare geschnitten. Er war ein Figaro, ein Coiffeur-Gentleman. Im März 2024 war aber Schluss. Nach 56 Jahren in seinem Salon beendet er seinen geliebten Coiffeurberuf – und das mit 84 Jahren. «Mein Kopf will noch. Aber der Körper nicht mehr. Wenn ich mich setze, schlafe ich manchmal ein. Es ist der Moment gekommen, um aufzuhören. Ich will, dass ich hier rauslaufen kann, und möchte nicht, dass sie mich raustragen müssen.»
Sein Wunsch ging in Erfüllung
Vito Gasparrini – der lange in Hägglingen lebte und heute in Gränichen zu Hause ist – hatte einen grossen Wunsch für sein Lokal. «Es wäre schön, wenn jemand den Salon übernimmt, der ein grosses Herz hat und den Beruf genau so liebt wie ich.» Und allem Anschein nach ging sein Wunsch in Erfüllung. Sherif Khalaf, Jahrgang 1993, hat den Laden übernommen. Über seinen Vorgänger sagt der Mann aus dem Irak: «Er hat so lange diesen Job mit Leidenschaft gemacht. Das ist rekordverdächtig. Und er ist dabei stets positiv gewesen.» Das machte ihm Eindruck.
Zufälle sind oft gut
Eindrücklich ist auch die Geschichte von Sherif Khalaf. In seiner Heimat Irak hat er die Schule beendet, wollte Wirtschaft studieren. Doch der IS (Islamischer Staat) macht Terror. Er flüchtete 2015 in die Schweiz. «Ich musste weg», sagt Khalaf. Er ist vier Jahre in einem Asylzentrum im Kanton Schwyz. Dort schneidet er den Asylbewerbern die Haare. Das tat er schon in seiner Heimat Irak. «Ich habe schon immer den Menschen gerne die Haare geschnitten. Also tat ich weiterhin das, was ich liebe: Haare schneiden», sagt er. 2019 kriegte er die definitive Aufenthaltsbewilligung und eröffnete einen eigenen Salon, erst in Wädenswil, später in Basel. Ein kleiner Traum ging in Erfüllung.
2023 lernt er Vito Gasparrini kennen. «Er sagte mir, dass er sich meldet, weil er bald in Pension geht», sagt Khalaf, der sich meist vorstellt als «Sherif ohne Stern». Ein Jahr später kriegt er einen Anruf von Gasparrini, der sagte, dass es nun so weit ist. Und Sherif Khalaf übernimmt den Coiffeur-Salon. «Es war purer Zufall. Aber Zufälle im Leben sind oftmals gut». Khalaf und Gasparrini haben mehrere Dinge gemeinsam. Sie lieben ihre Arbeit, sie sind ruhig und durchdacht. Und wie Gasparrini hat auch Khalaf eine enorm positive Art. «Gasparrini hatte eine positive Ausstrahlung. Er war kein Pessimist und sah das Leben nie negativ. So bin ich auch», sagt Khalaf. «Hart arbeiten. Das Leben geniessen. Positiv sein.» So lautet sein Motto. Er sagt: «Ich will arbeiten. Das ist mir sehr wichtig.»
Der Vorgänger ist zufrieden mit seinem Haarschnitt
Khalaf, der sein Lokal «Volks Barbershop» nennt, hat sich in Wohlen eingelebt. Er durfte viele Stammkunden von Gasparrini übernehmen. «Die Leute sind sehr nett. Am Anfang war die Kundschaft zurückhaltend, doch es läuft immer besser. Es braucht etwas Zeit und Geduld», sagt Khalaf. Wenn man auf seinem Stuhl Platz nimmt, dann ist es ihm enorm wichtig, dass sich der Kunde wohlfühlt und am Ende natürlich mit dem Haarschnitt zufrieden ist. Vito Gasparrini selbst hat sich davon überzeugt und ist für einen Friseurtermin gekommen. Er war sehr zufrieden. Khalaf will in Wohlen weiter Fuss fassen und vielen Menschen die Haare schneiden. Und er zeigt – genau wie Gasparrini – zum Ende des Gesprächs seine philosophische Ader und sagt: «Das Leben ist ein Besuch. Man kommt. Man geht. Und dazwischen sollte man positiv sein.» --spr