Die Energie ist nicht mehr da
09.09.2022 BünzenNach knapp 80 Jahren gibt die Familie Kuhn die Bäckerei-Konditorei in Bünzen auf
Noch sind es drei Wochen, dann ist Schluss. Nach dem «Hirschen» schliesst auch die Bäckerei in Bünzen ihre Türen. «Natürlich ist das schade fürs Dorf», finden auch Manuela und Guido Kuhn.
Annemarie Keusch
Sie wirken müde. «Wir sind ausgebrannt», sagt Guido Kuhn. Und trotzdem, die grosse Leidenschaft, die er und seine Frau Manuela für den Bäckerberuf hegen, kommt immer wieder zum Vorschein. Und auch die Freude, die sie in all den Jahren für ihren Beruf, ihre Berufung empfanden, ist nicht verschwunden. «Der Umgang mit der Kundschaft, der direkte Kontakt, aber auch die Arbeit in der Backstube. Für mich hat das gepasst, auch wenn es intensive Jahre waren», sagt Manuela Kuhn.
Auch ihr Mann strahlt, wenn er von den Produkten erzählt, die bei der Kundschaft ganz besonders gut ankamen: «Speckzopf, aber auch die Bündner Nusstorte und allgemein unser Brot.» Das Handwerk dafür hat er von seinem Vater übernommen, viele Gerätschaften auch, als er zusammen mit seinem Bruder 1990 die Bäckerei übernahm. «Es waren schöne Jahre», sagt er. Bis 2007 führten die Kuhns eine Filiale in Beinwil, bis zum Schluss einen Verkaufswagen in Merenschwand.
Es sind nicht wirtschaftliche Gründe, die die Kuhns zum Aufhören bewogen. «Es ist ganz einfach viel zusammengekommen», sagen die beiden. In erster Linie ist es die Tatsache, dass zu wenig Zeit für sich und ihre Familie bleibt. «Wir müssen etwas ändern.» Diesen Vorsatz nahmen sie sich Ende letzten Jahres. Nun ändern sie etwas. Am 1. Oktober ist ihre Bäckerei-Konditorei letztmals geöffnet. «Leicht fiel uns dieser Entscheid überhaupt nicht», betonen sie. Auch weil sie das Lebenswerk von Guido Kuhns Eltern weiterführten. «Aber wir müssen auf uns schauen und für uns ist das der aktuell einzig richtige Weg.»
Am Schluss kam alles zusammen
Am 1. Oktober schliesst die Bäckerei-Konditorei Kuhn in Bünzen ihre Türen
Seit über hundert Jahren steht an diesem Standort eine Bäckerei. 1945 kaufte sie Guido Kuhns Vater. 1990 übernahm er die Bäckerei und Konditorei. In drei Wochen ist damit Schluss. «Wir sind ausgebrannt», sagt Guido Kuhn. Fachkräftemangel, Teuerung, anstehende Renovationen, kaum Freizeit. «Für uns ist es am besten so.»
Annemarie Keusch
Welches der berühmte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte, das weiss die Familie Kuhn selber nicht genau. «Seit einiger Zeit ist es sehr schwierig, qualifiziertes Personal zu finden», nennt Guido Kuhn ein Argument. Dass der Lebensmittelkontrolleur bauliche Massnahmen verlangt, ist ein weiteres. Auf potenzielle Nachfolger haben die Kuhns keine in Aussicht. Dazu steigen die Kosten für die Rohstoffe wie in allen anderen Branchen massiv. Und der Verkaufswagen in Merenschwand läuft mit den Bauarbeiten im Zentrum auch nicht mehr wie vorher. «Das sind alles Punkte, die uns zu diesem Entscheid gebracht haben», sagt Guido Kuhn.
Der Hauptgrund für das baldige Ende der Bäckerei-Konditorei Kuhn liegt aber bei ihnen selber. «Wir sind ausgebrannt», sagt der 63-Jährige. Es sei geplant gewesen, die Bäckerei bis zu seiner Pensionierung weiterzuführen. «Dann sahen wir vor, den Betrieb per Ende Jahr einzustellen, jetzt ist es auf den 1. Oktober. Wir haben schlicht keine Energie mehr», sagt er. Ferien hat die Familie schon viele Jahre keine mehr gemacht, nur schon freie Tage sind zur absoluten Seltenheit geworden. «Als ich im Dezember nicht mal die Energie hatte, um an einer Familienweihnachtsfeier teilzunehmen, war für mich klar, dass es so nicht weitergehen kann.»
Sortiment heruntergefahren
Guido Kuhns Augen wirken müde. Elan ist nicht mehr viel zu spüren. Auch beim Gang durch die Backstube und die Konditorei sagt er: «Wir haben das Sortiment für die letzten Wochen heruntergefahren.» Und trotzdem, die Mischungen für die verschiedenen Brote, die er in der nächsten Nacht zubereiten wird, stehen bereit. «Ich war über all die Jahre ein stolzer Bäcker», sagt Guido Kuhn. Modern eingerichtet ist seine Backstube nicht. «Hier ist noch ganz viel Handarbeit gefragt. Das macht für mich den Job aus.»
Den Beruf als Bäcker machen aber auch die Arbeitszeiten aus. Jeden Abend vor Mitternacht steht Kuhn auf, geht in die Backstube. Gegen 10Uhr legt er sich schlafen, verpasst das Mittagessen mit den acht- und neunjährigen Töchtern. Am Nachmittag liefert er aus, bereitet vor, legt sich nochmals kurz hin, bevor es wieder von vorne losgeht. «Und das an sieben Tagen in der Woche.» Auch wenn der Laden am Sonntag geschlossen bleibt. «Wir können nicht gut Nein sagen», meint Manuela Kuhn. Anfragen für Brot oder frische Desserts nehmen sie fast immer an. Dafür bleibt kaum Zeit für die Familie oder für Freunde, geschweige denn für sich selbst. Hätten sie es sich nicht einfacher machen können? Teiglinge einkaufen, anstatt alles von Hand machen? Manuela und Guido Kuhn sind sich einig: «Auf keinen Fall. Das entspricht nicht unserer Überzeugung und widerspricht dem Berufsstolz.»
1990 mit Bruder übernommen
1945 sei es gewesen, als sein Vater die Bäckerei an der Mühlegasse kaufen konnte. Dass Guido Kuhn einst in seine Fussstapfen treten würde, war alles andere als vorbestimmt. «Für mich war es als Kind eine Strafe, in der Backstube helfen zu müssen», sagt er heute und lacht. Auch als die obligatorische Schulzeit fertig war, war es Schicksal, das ihn zur Lehre als Bäcker-Konditor brachte. «Mein Vater wurde schwer krank. Entsprechend mussten alle mithelfen. Da dachte ich mir, dass ich auch gleich die Lehre machen kann.» 1990 übernahm er zusammen mit seinem Bruder die Bäckerei. Neun Jahre später stieg sein Bruder aus, seit 2006 führt er sie mit seiner zweiten Frau Manuela. «Wir sind ein gutes Team», sagen sie und lachen.
Einfach fiel ihnen der Entscheid nicht, den gemeinsamen Betrieb per 1. Oktober aufzugeben. Zig Diskussionen haben sie hinter sich. Zigmal haben sie die verschiedenen Argumente aufgelistet. «Das kann ich nicht», sagte sich Guido Kuhn immer wieder, gerade im Gedanken an seinen seit vielen Jahren verstorbenen Vater. Vor zwei Jahren ist seine Mutter verstorben. «Vorher war das nie ein Thema», betont er. Konkret wurde es Ende letzten Jahres, als Guido Kuhn völlig antriebslos war. «Wir müssen mehr Zeit für uns haben und nicht immer arbeiten.» Es ist die Lösung, die Manuela und Guido Kuhn als einzige sehen.
Sie spüren das Bedauern
Dass das Folgen hat, dessen sind sich die beiden sehr bewusst. 18Mitarbeitende, die meisten Teilzeit, beschäftigen sie. «Zu Spitzenzeiten waren es über 20», sagt Guido Kuhn. Ihnen den Entscheid mitzuteilen, das sei nicht einfach gewesen. «Vor allem für die langjährigen Mitarbeitenden tut uns das leid.» Und die beiden spüren auch das Bedauern der Kundschaft. «Natürlich, auch wir finden es schade, dass Bünzen nun kein Restaurant und eben auch keine Bäckerei mehr hat», sagt Manuela Kuhn. «Aber eben, es ist höchste Zeit, dass wir auf uns schauen.»
Ganze Parzelle verkaufen
Vermissen werden sie ihren Alltag. «Zumindest mit etwas Abstand», sagt Guido Kuhn. An abendlichen Veranstaltungen teilnehmen, Ausflüge mit der Familie planen, auch mal gar nichts machen – darauf freuen sie sich. Aber auch Wehmut ist dabei. «Gerade bei unseren Töchtern flossen die Tränen, als wir ihnen den Entscheid mitteilten», sagt Manuela Kuhn. Aber sie hätten ihnen dafür versprechen können, mehr Zeit für sie zu haben. Die erste Oktoberwoche beispielsweise können sie das Programm wählen. Dann geht es los mit dem Aufräumen und Verkaufen der Utensilien in der Backstube. Verkaufen wollen die Kuhns auch das gesamte Grundstück, auf dem neben dem Bäckereigebäude, in dem zusätzlich drei Wohnungen sind, auch ihr Wohnhaus steht. «Interessenten gibts. Auch solche, die sich vorstellen könnten, dass es weiterhin einen Verkaufsladen gibt, etwa als Filiale einer anderen Bäckerei», sagt Guido Kuhn. Aktuell sehe es so aus, dass sie im Wohnhaus bleiben können. «Darauf freuen wir uns. Wir fühlen uns sehr wohl in Bünzen.»
Kleine Teigmaschine für den Familiengebrauch
Und ihre persönliche Zukunft? «Nach einer Auszeit werde ich ein Angestelltenverhältnis in einer Bäckerei eingehen», sagt Guido Kuhn. Keine Verantwortung mehr haben, nicht mehr zig Überstunden leisten – darauf freut er sich. Und auch Manuela Kuhn wird sich eine neue Arbeitsstelle suchen, im Detailhandel. «Wir sind nach wie vor motiviert, zu arbeiten, einfach nicht mehr in diesem Ausmass.» Vermissen werden sie ihren Alltag als Bäcker und Konditor trotz allen Herausforderungen. «Ohne eine kleine Teigmaschine in der Garage wird es nicht gehen», sagt Manuela Kuhn. Damit mindestens das Brot für den Familiengebrauch auch weiterhin selber gebacken werden kann. «So viel Herzblut ist natürlich geblieben.»