«Ein Spinner, wie ich einer bin»

  14.08.2020 Widen

Sommerserie «Liebling auf Rädern»: Ernst Sigg aus Widen und sein Sauber C2

Autorennen ist Ernst Sigg schon als 19-Jähriger gefahren. Er tut es heute noch an «Wurst-und-Brot-Rennen», wie er lachend sagt. Mit seinem Sauber C2, den er selber restauriert hat. «Ich bin glücklich und stolz, einen Sauber zu haben», versichert der 74-Jährige.

Erika Obrist

Musik ertönt aus der Werkstatt im Gewerbegebiet in Bremgarten. Klassische Musik. Ernst Sigg in seinem roten Overall mit Ferrari-Emblem ordnet Papiere auf dem kleinen Schreibtisch. In der Werkstatt stehen drei Oldtimer: ein Fiat mit Jahrgang 1970, ein Jaguar (1969) und ein MG (1946). Den Fiat habe er für einen Franken von einem Verwandten gekauft, erzählt Sigg. Eigentlich hätte das Auto verschrottet werden sollen. Sigg hat es in vielen Stunden restauriert.

Ganz hinten in der Werkstatt steht der Sauber C2. Ohne Chassis. Nackt quasi. Jeden Winter überholt Ernst Sigg seinen Rennwagen. «Ich kontrolliere alle Aufhängeteile auf mögliche Risse und wechsle alle Flüssigkeiten aus», erklärt der gelernte Automechaniker. Diesmal hat er auch Motor und Getriebe ausgebaut, da er in einem Aufhängeteil Risse festgestellt hatte.

Seine Werkstatt ist mit allem ausgestattet, was es braucht zum Reparieren und Restaurieren. «Ich arbeite seit Jahren nur mit Profiwerkzeugen, weil dies am preiswertesten ist und sich auf lange Sicht auszahlt», sagt er. Was er einst in der Ausbildung gelernt habe, beherrsche er noch immer: drehen, schweissen, löten.

Traum von der Rennfahrerkarriere rasch ausgeträumt

Ernst Sigg hat «Benzin im Blut», wie man gemeinhin zu sagen piegt. Schon in jungen Jahren hat er mit einem Kollegen zusammen in jeder freien Minute Autorennen in der Schweiz besucht. «Manchmal haben wir deswegen sogar die Schule geschwänzt.» Mit 19 Jahren hat er den Rennlizenzkurs absolviert und zwei Klubrennen bestritten mit einem Abarth. Im zweiten habe sich sein Auto überschlagen und sei völlig kaputt liegengeblieben. «Damit war meine Rennfahrerkarriere beendet.»

Rennen bestritten hat Sigg aber weiterhin. Mit einem Sbarro ACA Spider, designt und entwickelt von Franco Sbarro. Es war ein zweisitziger Rennwagen für Nachwuchsfahrer, hergestellt in der Schweiz. Sigg war stets schnell und sicher unterwegs mit dem Sbarro.

Zwei Jahre lang restauriert

Wie aber ist er zum Sauber C2 gekommen, von dem es nur zwei Exemplare gibt? Sigg erzählt von einem Italiener, der ihn vor rund 15 Jahren auf einem Markt für Autoteile angesprochen und ihm einen Sauber C2 angeboten hat. «Am Sonntag habe ich mit ihm geredet, am Montag habe ich den Rennwagen gekauft.» Rund ein Jahrzehnt habe der Sauber – «eine Ruine» – neben dem Sbarro in der Werkstatt gestanden. Von 2011 bis 2013 hat er die «Ruine» komplett restauriert und dies in Wort und vielen Bildern dokumentiert. Daraus entstanden ist ein Buch. Ein Exemplar hat er Peter Sauber geschenkt. «Der hatte eine riesengrosse Freude am restaurierten Fahrzeug.» Das zweite Exemplar der Dokumentation hat Sigg für sich behalten.

Jetzt hatte er zwei renntaugliche Fahrzeuge in seiner Werkstatt. Mit welchem Exemplar sollte er die Rennen bestreiten? Die Antwort gab ein Mann aus Deutschland. Ein Liebhaber alter Fahrzeuge. «Ein Spinner, wie ich einer bin», lacht Sigg. Dieser habe den Sbarro unbedingt haben wollen. «Also habe ich ihn ihm verkauft.»

Seither fährt er mit dem Sauber C2 Rennen. «Ich bin glücklich und stolz, einen Sauber zu haben.» Seit er die Rennlizenz vor sieben Jahren abgegeben hat, nimmt er noch an Showrennen teil. Als «Wurst-und-Brot-Rennen» bezeichnet Sigg diese. «Man kann auch da schnell fahren.» Zu bestaunen sind Siggs Fahrkünste und der Rennwagen jeweils auch am GP Mutschellen in Rudolfstetten, der dieses Jahr aber nicht ausgetragen werden konnte. Es gab überhaupt noch kein Rennen mit historischen Fahrzeugen. «Vielleicht gibt es noch eines, vielleicht auch nicht.»

Nach dem Büro in die Werkstatt

Das Schrauben und Schweissen an seinen Rennwagen war Sigg auch während seiner beruflichen Tätigkeit immer wichtig. Nach seiner Ausbildung und dem Besuch der Handelsschule, die er nicht abgeschlossen hat, ging er zur Kantonspolizei Aargau. Dort hat er sich schwergewichtig mit Betrug und Fälschungen befasst. Zwischenzeitlich hat er auch den Posten Mutschellen geführt. «Ich war einer von drei Polizisten im Kanton, die Englisch konnten», blickt er zurück. Das hat ihm zu Kontakten mit der kanadischen Polizei verholfen und zur Aufklärung eines grossen Betrugsfalls mit Gold. Dadurch wurde die damalige Kreditanstalt – heute Crédit Suisse – aufmerksam auf den Ermittler und hat ihn abgeworben. Im Sicherheitsdienst der Bank konnte Sigg seine Erfahrung in einer Führungsposition einbringen. «Wenn es stressig war im Geschäft, ging ich am Abend jeweils in meine Werkstatt und habe die Zeit vergessen.» In dieser standen immer alte Motorräder und Autos, an denen etwas zu «schrauben» war. Wie eine Therapie sei das für ihn gewesen. In jener Zeit hat er auch einen Ferrari restauriert. Deshalb der rote Overall mit dem aufgenähten Ferrari-Emblem.

Sigg ist dankbar, dass ihm seine Frau Maya, mit der er seit über fünfzig Jahren verheiratet ist, viel Freiraum lässt für seine Leidenschaft. Das sei ein Privileg. «Umgekehrt tue ich das auch.» Ein halbes Leben lang habe er Papier produziert. In seiner Werkstatt könne er Fahrzeuge restaurieren, die am Ende so gut funktionieren, als wären sie neu. Wenn nicht noch besser. «Darüber freue ich mich wie ein kleiner Bub. Das ist Musik für mich.» Egal ob klassische oder nicht.


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