Erinnerungen werden sichtbar
06.09.2024 WohlenAnglikon: Historischer Rundgang mit Corina Haller und Daniel Güntert
Zum 50-Jahr-Jubiläum organisiert der Dorfverein Anglikon einen Rundgang durch Anglikon. Mit den Augen von den Familien Vock und Schärer werden Erinnerungen sichtbar gemacht. Eine ...
Anglikon: Historischer Rundgang mit Corina Haller und Daniel Güntert
Zum 50-Jahr-Jubiläum organisiert der Dorfverein Anglikon einen Rundgang durch Anglikon. Mit den Augen von den Familien Vock und Schärer werden Erinnerungen sichtbar gemacht. Eine Fortsetzung ist nicht undenkbar.
Monica Rast
Wenn es um Geschichte geht, ist man bei Daniel Güntert (Gang durch Wohlen) genau richtig. Dies dachte sich auch der Vorstand vom Dorfverein Anglikon, als es um einen Rundgang durch Anglikon ging. Mit der Hilfe von Corina Haller sprach er mit unterschiedlichen Zeitzeugen und stellte einen spannenden Gang durch Anglikon zusammen. «Wir zwei aus Wohlen machen eine Führung und die Angliker kommen», meint Güntert lachend. Man sieht ihnen die Freude an, als sich immer mehr Menschen vor dem Haus von Peter Vock einfinden. «Wir haben nicht mit so vielen gerechnet», meinen sie unisono.
Unglaubliche Geschichten
«Wir starten beim Kreuz», treibt er die Anwesenden zusammen und läuft mit zügigen Schritten und eine Menge an Bildern los. «1695 sah es hier noch ganz anders aus», informiert Güntert und zeigt auf die Felder. Unweit von dem vermutlichen Pestkreuz verläuft die Ortsgrenze zu Villmergen und war Schauplatz des Villmergerkrieges. «Villmergen ist so nahe?», hört man erstaunt aus der Menge. Früher wurde dieser Weg für den Gottesdienst in Villmergen benutzt.
Gleich neben dem ehemaligen Schlachtfeld steht der Hof von Peter Vock. An einem Holzbalken hängen noch immer die eingesammelten Hufeisen vom Schlachtfeld. Doch das ist nicht alles, was für den Hof eingesammelt wurde. Als die Bleiche damals abgebaut wurde, holte sich die Familie die Steine und verwendete sie für ihren Garten.
Während Corina Haller die Geschichten erzählt, zeigt Daniel Güntert immer wieder Bilder. Bevor die Bleiche abgerissen wurde, war sie ein Stofflager der Färberei und beliebter Treffpunkt und Abenteuerspielplatz der Dorfjugend. «Mit Steinen haben wir auf die Scheiben gezielt, und wenn wir erwischt wurden, mussten wir arbeiten gehen», erinnert sich ein Teilnehmer hinter vorgehaltener Hand.
Die Färberei wurde von Johann Schärer 1876 gegründet und hatte 1930 ihre beste Zeit. «Die Familie Schärer ritt immer auf Schimmeln durchs Dorf», erzählt Corina Haller. «Ein Rundgang durch die Färberei ist faszinierend und würde alleine einen Abend füllen», ergänzt Güntert. Damals arbeitete halb Anglikon für die Familie Schärer. Ein Vorfahre war es auch, der immer einen Schluck Wasser vom Brunnen auf dem Dorfplatz trank. «Das Wasser soll damals rot – wegen des Eisengehalts – gewesen sein und soll laut einer Überlieferung alt machen», erzählt Güntert augenzwinkernd, «beim Trinker soll sich dies bewahrheitet haben.»
Das alte Ratsherrenhaus oberhalb des Dorfplatzes ist auch ein Teil des Rundgangs. Der stattliche Bau war einst eine bedeutende Taverne, später wurde er zum Restaurant Sternen und gehörte ehemals der Familie Vock, bevor die Familie Schärer das Gebäude übernahm. «Eine wunderschöne Anlage», sind sich die Führer einig und eine Stimme aus den Anwesenden ergänzt, wie sie einige Umbauten persönlich miterlebte.
Von Briefen, Telegramme und Pistoleneinsatz
Die alte Post wurde 1805 erbaut. Fünf Generationen beherbergte bereits das alte Haus. Anni Vock erinnert sich noch, wie sie Paula Vock half, den Karren den Berg hinauf zu schieben und an die vielen Telegramme und Neujahrsbriefe. 1974 zog die Familie des Posthalters in die neue Post. Damals war der Posthalter mehr als nur der Pöstler. Er war Vertrauter, Zuhörer, Automechaniker und Seelsorger zugleich. Stolz waren die Angliker, als sie 1964 ihre eigene Postleitzahl erhielten, dass sie diese zuerst mit Büttikon teilten, sorgte für einige Verwirrungen.
Ein Postüberfall, ein blauer VW-Käfer, ein Bericht im «Tele M1» und eine gezogene Pistole sorgten für die Meinung, dass endlich etwas in Anglikon laufe. Doch auch das Dorforiginal Pongo sorgte für einen regen Dorfklatsch. Er wohnte im Rotlicht-Etablissement, bekannt unter dem Namen Romantika. Davor war das Gebäude das alte Schulhaus mit einem Klassenzimmer mit bis zu 90 Schülern. Der Kanton intervenierte und es wurde ein neues Schulhaus gebaut. Die Eröffnung wurde gebührend mit dem Gemeinderat, der Baukommission, Schulpflege und der Dorfmusik gefeiert. Dann war der Platz ausgeschöpft und die Schüler mussten der Feier fernbleiben.
Eine Gasse, deren Namen Fragen aufwirft
Das Milchhäuschen und das Dorflädeli waren damals das Zentrum von Anglikon. Ein paar Meter neben dem ehemaligen Dorfladen führt ein Weg den Berg hinauf. Damals war der parallel laufende Bach noch offen und die Büsche verleiteten die Einheimischen, sich kurz zu erleichtern. Noch heute wird der Weg als «Schiessgass» und der Bach als «Schiessbach» bezeichnet. Corina Haller und Daniel Güntert haben noch lange nicht mit allen Zeitzeugen gesprochen. Viele Geschichten könnten noch erzählt werden. Doch über die Dorfkapelle haben sie schon einiges erfahren. Die über 60 Rundgangteilnehmer quetschen sich auf die Bänke der kleinen Kapelle. «Es war noch nie so voll hier», meinen einige. Ursprünglich war sie eine Antonius-Kapelle. Heute ist der Schutzpatron und Namensgeber der heilige Franz-Xaver. Einige der Zeitzeugen erinnern sich noch, wie sie am Morgen in der Kapelle den Gottesdienst besuchten und nach dem Frühstück den Religionsunterricht. Jemand von den Teilnehmenden erinnert sich sogar an eine Hochzeit.
Der Rundgang lässt viele Erinnerungen aufleben und animiert für eigene Erzählungen während des Laufens. «Dies ist noch nicht das Ende der Geschichte», meint Daniel Güntert. Er wird sicherlich noch weiter forschen. Geschichten gäbe es zu Genüge. «Wichtig, dass Geschichten bleiben», meint Daniel Seiler, Präsident Dorfverein Anglikon, und bedankt sich für den Geschichten-Austausch.



