«Es gibt kein Patentrezept»

  16.06.2020 Beinwil/Freiamt

Krähen sorgen auf einzelnen Feldern für grosse Zerstörung

Ob Kürbis- oder Maiskulturen, selbst Schwalbenbruten in den Ställen sind vor Krähen nicht geschützt. Drei Landwirte erzählen von ihren Problemen. Und Bauernverband-Geschäftsführer Ralf Bucher sagt, dass die Krähen nicht mehr geworden seien als in anderen Jahren.

Annemarie Keusch

Schreckschussapparate oder Lautsprechersysteme, «damit haben wir die besten Erfahrungen gemacht», sagt Ralf Bucher, Geschäftsführer des Aargauer Bauernverbandes. «Aber eine Variante, die im Kosten-, Nutzen- und Aufwandverhältnis aufgeht, gibt es grundsätzlich nicht.» Kommt hinzu, dass sowohl ein Schreckschussapparat als auch ein Lautsprechersystem für Emissionen sorgen; Ersterer für einen lauten Klang, Zweiteres für Angstschreie von Krähen oder Gesang von Fressfeinden.

Gegen derartige Schäden nicht versichert

Vogelscheuchen, refektierende CDs oder Gasballone – Möglichkeiten gibt es. Bekannt sind sie seit Jahren. Denn die Krähenplage ist keine Neuheit und auch in diesem Jahr sind die Schäden laut Bucher nicht überdurchschnittlich gross. «Es trifft jedes Jahr andere Landwirte. Nur sehr selten sind einzelne Jahr für Jahr betroffen», sagt er. Entsprechend sei das Krähenvorkommen für die betroffenen Landwirte besonders auffällig, andere merken gar nichts davon. «Dieses Thema haben wir jedes Jahr auf dem Tisch. Und es ist ein generelles Problem, das für die Betroffenen sehr mühsam ist», weiss Ralf Bucher. Denn, versichert gegen solche Schäden sind die Bauern nicht.

Und Bucher ahnt, dass das Problem in den nächsten Jahren noch zunehmen könnte. Der Grund: Ab nächstem Jahr ist das Beizmittel Mesurol nicht mehr zulässig, das dem Maissaatgut einen bitteren und für die Krähen ungeniessbaren Geschmack verleiht. Wer nicht biologischen Landbau betreibt, durfte bis anhin sein Saatgut beizen. «Ich bin sicher, es muss eine biologisch abbaubare Lösung geben, damit die Krähen vom Saatgut ablassen», sagt Ralf Bucher. Froh darum wären die Landwirte ganz sicher, vor allem jene, die stark betroffen sind.


Rote Köpfe wegen schwarzen Vögeln

Bauern im Freiamt stehen mit Krähen auf Kriegsfuss – zwei Betroffene erzählen

Sie sorgt immer wieder für rote Köpfe: die Rabenkrähe. Der Vogel bedient sich in frisch gesäten Äckern. Besonders angetan ist er von Mais, Sonnenblumen, Getreide oder Soja. Auch Bauern im Freiamt sind mit dem Krähenproblem konfrontiert.

Annemarie Keusch / Susanne Schild

Rabenvögel sind äusserst intelligente und anpassungsfähige Vögel. Sollen sie wirksam von gefährdeten Kulturen vertrieben oder ferngehalten werden, ist Fantasie und Abwechslung gefragt. Fantasie musste auch Lukas Frey aus Muri entwickeln. Mit Gasballonen und Vogelscheuchen versucht er seine Kürbissaat zu schützen. «Die Krähen wissen genau, in welchen Abständen ich die Kürbisse gesetzt habe. Sie schreiten durch die Furchen. Mit dem Schnabel dringen sie in das Erdreich ein und zupfen sich die Keimlinge aus der Erde.»

Gasballone sind keine günstige Angelegenheit

Oft versammeln sich auf einem Feld Dutzende der schwarzen Vögel. Um seine Aussaat zu schützen und die Ernte nicht zu gefährden, versuchte Frey die Vögel mittels Gasballonen zu vertreiben. Der Erfolg sei aber nur von kurzer Dauer gewesen. «Wichtig ist, dass die Ballone ständig 20 bis 30 Meter hoch fiegen. Doch mit der Zeit verlieren sie das Helium und müssen ersetzt werden. Eine nicht gerade günstige Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass solche Ballone zwischen sieben und zwanzig Franken kosten.» Jetzt versucht es Frey mit Vogelscheuchen. Doch diese würden die intelligenten Tiere nur wenig beeindrucken.

Vögel gewöhnen sich an alles

Ähnliche Erfahrungen machte Ruedi Keller aus Boswil. Auf einem Feld von vier Hektaren Grösse säte er Mais. Geblieben sind die Pfanzen auf der Fläche von einer Hektare. «Den Rest haben die Krähen gefressen», sagt der Landwirt. Nur zwei, drei Tage habe es gedauert, bis alle Maiskörner an den kleinen Pfänzchen herausgezupft und gefressen waren. «Also musste ich nachsäen», sagt Keller. Neues Saatgut, das Säen selber und der Arbeitsaufwand. «Der fnanzielle Schaden beläuft sich auf über tausend Franken.» Und der Ärger ist noch grösser.

Keller spricht von Frust, auch von Hilfosigkeit, denn probiert hat er so einiges. Vogelscheuchen, Ballons, selbst einen Traktor hat er mehrere Tage aufs Feld gestellt, damit sich die Vögel gestört fühlen. «Aber sie sind schlau und gewöhnen sich innerhalb weniger Tage an die neue Situation.» Refektierende CDs sind Kellers neuste Massnahme. «Das funktioniert nicht schlecht. Und das ist gerade jetzt wichtig. Denn die vor rund zwei Wochen nachgesäten Maiskörner keimen. Die Spitze der Pfanze ragt aus dem Boden. «Das ist die kritische Phase.» Entsprechend ist Keller aktuell oft präsent auf dem Feld. Und er hofft auf gutes Wetter. Wenn die Maispfanzen rund 10 Zentimeter hoch sind, sind sie für die Krähen zu gross und vor ihnen sicher.

Erstaunlich ist, dass Keller, der seinen Betrieb vor zwei Jahren auf biologischen Anbau umgestellt hat, zwei Felder mit Mais bepfanzte, aber nur eines von der Krähenplage betroffen ist. «Das andere Feld ist in der Nähe der Hauptstrasse. Hier fühlen sich die Vögel wohl gestört und fressen weniger. Das betroffene Feld liegt ziemlich abgelegen.» Aber auch hier zeigen die Massnahmen eine gewisse Wirkung. War anfangs der Schwarm noch «riesig», seien es aktuell noch zehn bis 15 Tiere, vor denen Keller sein Saatgut schützen muss.

«Riesenaufregung» im Stall

Auch der Murianer Walter Ruf wird mit dem Krähenproblem konfrontiert. Im Kuhstall sind acht Schwalbenbruten. «Letztes Jahr waren es sogar elf. Hundert Schwalbenjunge sind damals ausgefogen.». Dieses Jahr sieht es jedoch ganz anders aus. «Bislang ist noch keine einzige ausgefogen.» Schwalben leben von Mücken. Bei schlechtem Wetter fressen sie Fliegen in seinem Stall und sind für ihn daher willkommene Gäste. Am Sonntag vor vier Wochen sei eine «Riesenaufregung» in seinem Kuhstall gewesen. «Die Krähen haben die gesamte erste Brut ausgeräumt.»

Die Vögel warten auf den Fensterbänken bis die Schwalbeneltern ausfiegen, um die Jungvögel zu holen. Walter Ruf vermutet, dass die Krähen auch die zweite Brut ausgeräumt haben. «Seit Kurzem ist es erstaunlich ruhig», stellt er fest.


Schaden reduzieren, nicht Bestand

Einschätzung der Vogelwarte Sempach

Laut der Vogelwarte Sempach beläuft sich der Bestand der Saatkrähe in der Schweiz auf 5800 bis 7300 Brutpaare. Bei der Rabenkrähe sind es mehr als zehnmal so viele, nämlich zwischen 80 000 und 120 000 Brutpaare. Laut der Vogelwarte sind Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen durch Rabenvögel in erster Linie auf Raben- und Nebelkrähen, lokal auch auf Saatkrähen zurückzuführen. Gemäss einer Studie kann der Schaden für einzelne Betriebe beträchtlich sein, gesamtwirtschaftlich fällt er aber kaum ins Gewicht.

Andererseits wirken Rabenvögel auch als Nützlinge und werden von Landwirten deshalb geschätzt. So übernehmen Rabenkrähen, Nebelkrähen und Kolkraben eine wichtige ökologische Funktion als Aasfresser. Zudem fressen sie Schnecken und Mäuse. Positiv hervorzuheben ist auch, dass Rabenkrähe, Nebelkrähe und Elster den Mäusejägern Waldohreule und Turmfalke sowie dem Baumfalken ein Brüten im Kulturland ermöglichen.

Diese Beutegreifer bauen keine eigenen Horste und sind laut Vogelwarte deshalb auf die alten Nester der Rabenvögel angewiesen.

Bestände durch Abschüsse reduzieren?

Gemäss der eidgenössischen Gesetzgebung sind Eichelhäher, Elster, Saat-, Raben- und Nebelkrähe sowie Kolkrabe jagdbar. Die Kantone können jedoch die Liste der jagdbaren Arten einschränken oder jahreszeitlich befristen, Auskünfte erteilen die kantonalen Jagdverwaltungen. Tannenhäher, Alpendohle, Alpenkrähe und Dohle sind gesamtschweizerisch geschützt. Weil in Landwirtschaftskreisen immer wieder über von Rabenvögeln verursachte Schäden geklagt wird und Jäger einen negativen Einfuss auf die Niederwildbestände befürchten, werden Rabenvögel in grosser Zahl abgeschossen. So wurden in der Schweiz zwischen 2001 und 2010 im Durchschnitt pro Jahr 13 900 Raben- und Nebelkrähen erlegt.

Mit Abschüssen lassen sich die Bestände insbesondere bei der Rabenund Nebelkrähe allerdings nicht nachhaltig regulieren. Laut Vogelwarte ist der Sinn von Abschüssen grundsätzlich fraglich. Oberstes Ziel müsse die Reduktion der Schäden sein, nicht eine Reduktion der Bestände. --sus


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