Fliegende Retterin
20.12.2022 Mutschellen, WidenRebekka Frieden leistet Erste Hilfe im Gebirge
Jede Sekunde kann entscheidend sein: Rebekka Frieden ist – als erste und einzige Frau – als Rettungssanitäterin bei der Air Zermatt im Einsatz.
Sie ist zur Stelle, wenn ein Mensch ...
Rebekka Frieden leistet Erste Hilfe im Gebirge
Jede Sekunde kann entscheidend sein: Rebekka Frieden ist – als erste und einzige Frau – als Rettungssanitäterin bei der Air Zermatt im Einsatz.
Sie ist zur Stelle, wenn ein Mensch schnellstmöglich Hilfe benötigt: Als Rettungssanitäterin kümmert sich Rebekka Frieden als erste medizinische Fachperson vor Ort um verunfallte und kranke Personen. Seit Anfang dieses Jahres ist mit ihrer Anstellung bei der Air Zermatt das Oberwallis ihr Einsatzgebiet. Die 31-jährige Freiämterin erzählt aus ihrem Berufsalltag in den Alpen, wie es war, dabei vom Schweizer Fernsehen begleitet zu werden, und wie sie sich als junge Frau in ihrem Job immer wieder behaupten muss. --cbl
«Ich habe einen geilen Job»
Einsatz in Not: Rebekka Frieden ist die erste Rettungssanitäterin bei der Air Zermatt
Bei Ski-, Motorrad- oder Wanderunfällen im Oberwalliser Gebirge leistet Rebekka Frieden als Rettungssanitäterin erste Hilfe vor Ort. In ihrem nicht ganz so alltäglichen Alltag wurde sie vom Schweizer Fernsehen begleitet.
Celeste Blanc
Das weltberühmte Matterhorn ragt in den strahlend blauen, wolkenlosen Himmel. Davor ein rot-weisser Helikopter mit vielen Sternen, die kennzeichnend für das Wallis stehen. Die Air Zermatt ist im Einsatz: Eine Person an der Winde, eine zweite hängt in schwindelerregender Höhe in der Luft – sie wird am Stahlseil für eine Bergung heruntergelassen.
Was wie das perfekte Werbefoto für die Fluggesellschaft aussieht, ist in Wirklichkeit ein Einsatz, an dem Rebekka Frieden vom Schweizer Fernsehen begleitet wurde. Die 31-Jährige ist Rettungssanitäterin der Air Zermatt. Obwohl die Anwesenheit eines Filmteams für Frieden eine einmalige Erfahrung war, ist sie in diesem Moment in den Hintergrund gerückt. «Der Fokus liegt immer auf dem Einsatz – alles herum ist nebensächlich.»
Erste und einzige Rettungssanitäterin
Seit Anfang dieses Jahres ist Frieden, die in Widen aufgewachsen ist und lange in Bremgarten wohnhaft war, bei Rettungen im Oberwallis im Einsatz. «Der Weg dahin war sehr lang und nicht immer einfach», so die junge Frau. Die Ausbildungsplätze in der Schweiz sind begrenzt – und sehr begehrt. Teilweise warten Bewerbende mehrere Jahre, bis sie einen Platz ergattern. Frieden hatte Glück: Nachdem die gelernte Medizinische Praxisassistentin die notwendigen Tests und Checks 2013 bestanden hatte, konnte sie noch im gleichen Jahr im Kantonsspital Baden die dreijährige Ausbildung antreten.
Neun Jahre arbeitete Frieden in Baden, absolvierte zwischenzeitlich nicht nur das Masterstudium «Mountain Emergency Medicine» (Bergunfallmedizin), sondern schloss auch die Ausbildungen zur «Critical Care Paramedic» und zur «Flight Paramedic» ab, die sie für intensivmedizinische Transporte in der Ambulanz, aber auch im Helikopter und im Flugzeug befähigen. 2019 wurde die Widerin zudem als Freelancerin bei der Air Zermatt tätig. «Es ist gang und gäbe, dass man in der Rettungsszene auch an anderen Orten zum Einsatz kommt und aushilft», erklärt sie. Wegen der überschaubaren Grösse der Szene, aber auch dem Fachkräftemangel, sei man froh um jeden und jede, die den herausfordernden Job beherrsche. «Und durch das Freelancern schafft man sich die Möglichkeit, einen Fuss in der Tür zu haben», zwinkert sie. Bei Frieden hat sich das ausbezahlt: Anfang 2022 erhielt sie als – erste und einzige – weibliche Rettungssanitäterin eine Festanstellung bei der Air Zermatt.
Einsatz für den Nachwuchs
Dass Frieden die erste Rettungssanitäterin bei der Air Zermatt ist, veranlasste das Schweizer Fernsehen, mit seiner DOK-Reihe «Hoch hinaus» die junge Frau heuer in ihrem Berufsalltag zu begleiten. «Am Anfang war ich schon skeptisch», gesteht sie ein. «Ich wollte nicht, dass es so ‹gehypt› wird, dass ich als Frau bei der Air Zermatt bin.»
Dennoch liess sie sich auf das Abenteuer ein. Schliesslich unterstützte der Beitrag genau das, wofür sich die Rettungssanitäterin auch persönlich seit Beginn ihrer Tätigkeit einsetzt: «Ich möchte, dass es für zukünftige Generationen – geschlechtsunabhängig – einfacher wird, in den Beruf einzusteigen. Es braucht qualifizierte Personen, die mit diesem anspruchsvollen Job umgehen können.» Das Wichtigste für den Beruf sei die Leidenschaft. Und diese lebt Frieden jeden Tag voll und ganz aus. «Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, einen ‹9-to-5›-Job zu haben, geschweige denn, den ganzen Tag am Bürotisch zu sitzen», gibt sie lachend zu. Kein Tag gleiche dem andern, das sei das Schönste. «Und jeden Tag stellt mich der Job vor neue Herausforderungen. Kurzum: Ich habe einfach einen geilen Job.»
Kleine, immense Unterschiede
Der Rettungsdienst im Oberwallis besteht aus drei Stationen. Die Helikopter-Einsätze im Gebirge gehen von der Basis in Zermatt aus, eine weitere Helikopterbasis ist in Gampel stationiert. Zusätzlich gibt es eine Ambulanz in Zermatt.
Das Einsatzspektrum von Frieden in den Walliser Bergen ist vielfältig: Erste Hilfe im Gebirge leistet sie regelmässig bei Ski-, Motorrad-, Kletter- oder Wanderunfällen. Herausfordernd ist dabei das Terrain. Mit dem Helikopter gilt es dann, möglichst schnell an den Unfallort zu gelangen und teilweise mithilfe eines Bergführers die verunfallte Person zu bergen. «Wenn ein Gelände kritisch ist, dann kommt die Expertise des Bergführers zum Einsatz», erklärt die junge Frau. So sei dies der Fall bei Steilhängen, Gletscherspalten oder an Felswänden. «Die Zusammenarbeit mit den Bergführern ist enorm wichtig und wir Rettungssanitäter sind auf ihr Wissen und ihre Einschätzung der Situation angewiesen.»
Anspruchsvolle Herausforderungen
Doch der Alltag von Frieden besteht nicht nur aus Sportunfällen. Die Air Zermatt wird auch dann gerufen, wenn andere gesundheitliche Komplikationen, etwa ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall, gemeldet werden. Auch diese Rettungseinsätze im Tal erfordern meist den Helikopter. Geschuldet sei dies dem Faktor «Zeit». Das nächstgelegene Spital liegt in Visp. Bei gröberen Komplikationen, beispielsweise einem Schlaganfall, muss das Spital in Sion oder sogar jenes in Bern angeflogen werden. «Wenn jemand einen Schlaganfall in Zermatt erleidet, würde die Fahrt ins Spital in Sion im Krankenwagen rund eine Stunde dauern. Mit dem Heli dauert der Überflug von Zermatt nach Sion ungefähr 20 Minuten.» Ob sich die Arbeit als Rettungssanitäterin in den Bergen gross von derjenigen im Flachland unterscheidet? «Nein, im Grundsatz nicht. Schliesslich geht es darum, Menschen zu retten», so Frieden. Auch mit dem Helikopter Rettungseinsätze zu fliegen, sei nichts Aussergewöhnliches. «Es ist ein Fortbewegungsmittel, so wie es der Krankenwagen ist.» Der grösste Unterschied hingegen seien die «technischen Herausforderungen», welche die Bergrettung stellt. Dies betreffe vor allem Aspekte der Höhenmedizin, die ihre Tücken haben kann. «Symptome ändern sich je nach Höhe. Das sind Faktoren, die es zu beachten gilt», weiss die erfahrene Rettungssanitäterin. Und herausfordernd sei eben auch das Gelände. «Bei der Bergung einer verunfallten Person im Gebirge ist keine Rettung gleich. Da muss man in kurzer Zeit entscheiden, wie man nun an die Person gelangt, welches Vorgehen Sinn macht und wie man sich selbst nicht in Gefahr bringt.»
Anforderungen werden oft nicht zugetraut
Schon immer hat es Frieden in die Bergwelt gezogen. Dabei hat es ihr vor allem der Bergsport angetan. Skifahren, Wandern, Biken oder Klettern – es gibt nichts, in dem die abenteuerlustige, erfahrene Bergsteigerin mit Expeditionserfahrung nicht versiert ist. «Ich mache einfach alles, was mich herausfordert, supergern und versuche, immer noch ein bisschen weiter über meine Grenzen hinauszugehen.»
Rebekka Frieden bringt somit alle Voraussetzungen mit, um auch im körperlich und mental anspruchsvollen Job der Bergrettung zu bestehen. Und dennoch sehen sich Frauen heutzutage nach wie vor in diesem Berufsfeld mit Vorurteilen konfrontiert. «Es ist ein Fakt, dass der Beruf männerdominiert ist.» Weniger in Rettungseinsätzen im Mittelland als vor allem in der Bergregion müssen sich Frauen «immer noch ein Stück» mehr beweisen. «Oder es wird einer Frau gar nicht erst zugetraut, dass sie die körperlichen Ansprüche, die für die Bergrettung erforderlich sind, erfüllt.»
Rebekka Frieden spricht aus Erfahrung. Sie erzählt von einem Einsatz am Mount Denali im Denali-Nationalpark in Alaska, der mit seinen 6190 Metern der höchste Berg Nordamerikas ist und zu den «Seven Summits» zählt. Zunächst wollte man sie nicht als Rettungssanitäterin zulassen. «Erst als sie mich per Zufall haben Ski fahren sehen, sind sie auf mich zurückgekommen.» Frieden war für die nächsten fünf Wochen die leitende Rettungssanitäterin vor Ort. «Im amerikanischen System gibt es keine Notärzte. Damit hatte ich bei Einsätzen die medizinische Endverantwortung inne.»
Geschlecht bei Rettung egal
Auch wurde Frieden schon gesagt, dass sie nichts bei der Air Zermatt zu suchen habe. Frieden hat gegenüber solchen Aussagen eine dicke Haut. «Das nehme ich schon lange nicht mehr persönlich. Ich weiss, was ich kann. Und schliesslich ist es egal, ob ein Mann oder eine Frau einer verunfallten Person das Leben rettet. Hauptsache, es wird gerettet – und der Patient bekommt die bestmögliche medizinische Versorgung.»
Dass sie es in ihren jungen Jahren bereits so weit gebracht hat, schätzt Frieden sehr. «Solange ich es jetzt noch kann, möchte ich möglichst noch weiter gehen.» Wobei, was nach der Air Zermatt noch kommen könnte, weiss sie momentan nicht. «Es ist auch egal – ich habe es hierhin geschafft, jetzt geniesse ich es.» Nie sei die Bergrettung ihr Traumjob in Kindheitsjahren gewesen. Mittlerweile habe er sich aber definitiv zu diesem entwickelt.