Frühlingserwachen im Reusstal

  09.04.2021 Natur

Unterwegs mit Josef Fischer von der Stiftung Reusstal an der Stillen Reuss

Frühling und die Natur erwacht. Hier blühen die Weidenkätzchen, da nisten sich die Störche ein und die ersten Frösche wandern auf ihrer Laichtour. Es ist immer einiges los im Reusstalgebiet – doch im Frühling insbesondere. Ein Augenschein vor Ort.

Sabrina Salm

Mit Fernrohr bepackt und Lupe ausgestattet geht es an einem herrlich sonnigen Frühfrühlingsmorgen vom Zieglerhaus in Rottenschwil los. Bereits bevor die ersten Schritte Richtung Stille Reuss gemacht sind, weist Josef Fischer mit dem Finger in die Lüfte. «Auf diesem Birnenbaum hat sich ein Storchenpaar bereits eingerichtet, sehen Sie?», sagt der Geschäftsführer der Stiftung Reusstal. Es sei bereits das zweite Jahr, in dem sich diese Störche in der Nähe des Zieglerhauses eingenistet haben. Auf vier Freileitungsmasten wurden in Rottenschwil Plattformen für Weissstörche eingerichtet. Vor Ostern mussten die Freileitungsverantwortlichen der AEW AG bei «wild horstenden» Störchen in Unterlunkhofen intervenieren. Den Störchen wurden dann extra zwei Telefonstangen mit Horst-Plattformen gestellt. Wie es scheint, braucht es noch etwas Zeit, bis diese angenommen werden. Bei Masten in Leitungswinkeln, ohne frei hängende Drähte besteht sehr grosse Kurzschlussgefahr. Diese werden baulich angepasst, sodass die Störche nicht nisten können. Der Storchenbestand hat sich in den letzten Jahren in der Region prächtig aufgebaut. «Die Geschichte der Weissstörche bei uns ist erfolgreich», sagt Josef Fischer erfreut. Und wie wenn die Tiere dies unterstreichen wollten, hört man sie klappern.

Augen schulen, Ohren schärfen

Josef Fischers Blick wandert hinunter auf den Boden. Walderdbeeren sind hinter dem Zieglerhaus in Mengen auszumachen. Noch tragen sie keine Früchte und auch die Blüten sind noch nicht ersichtlich. Dafür erkennt man ihre Blätter. «Und sehen Sie hier, hier blühen die weissen Blüten bereits. Doch das sind keine Waldbeeren, sondern das ist das Erdbeer-Fingerkraut.» Diese beiden Pflanzen verwechselt man oft. Und tatsächlich. Auf die Schnelle kann man sich schon täuschen. Denn die kleine Pflanze, die im März bereits ihre Blüten in die Luft streckt, hat was von der Erdbeere. «Der Teufel steckt im Detail», sagt Fischer. «Wer genau hinsieht, erkennt den Unterschied.» Und genau darum geht es ihm auch bei seiner Arbeit von der Stiftung Reusstal. «Man muss genau hinschauen. Je mehr man kennt, umso mehr wird gesehen, was Freude auf Neuentdeckungen macht», ist Fischer überzeugt. Und so hat er es sich mit seinem Team zur Aufgabe gemacht, den Menschen das Auge zu schulen, die Ohren zu schärfen und so die Begeisterung für unsere gelebte Mitwelt zu entfachen.

Das im Jahr 1793 erbaute Rottenschwiler Zieglerhaus wurde 1980 erstmals renoviert und als Naturschutz-Informationszentrum eingerichtet. Besitzerin ist die Stiftung Reusstal, die im Zieglerhaus ihre Geschäftsstelle hat. Es befindet sich eine Ausstellung im Haus, und in der Freilandanlage des Zieglerhauses sind auch Sumpfschildkröten zu Hause. Auch die Zauneidechsen und Laubfrösche lassen sich bei schönem Wetter bald gut in den Freilandterrarien beobachten.

Am Hotspot für Biodiversität

Die Hauptstrasse ist überquert und schon befindet man sich am Hotspot für Biodiversität – an der Stillen Reuss (siehe Kasten). Sie ist von nationaler Bedeutung. Es gibt Tage, da tummeln sich Naturbeobachter in Massen in Rottenschwil. Besonders ornithologisch Interessierte, also Vogelbeobachterinnen und -beobachter. Und bezüglich der Vogelwelt ist im Moment sehr viel los, wie Josef Fischer bestätigt. Besonders im zeitigen Frühling, wo schon viele Vogelarten das Brutgeschäft beginnen, aber auch Zugvögel zu erwarten sind. Erst kürzlich lockten Blaukehlchen, die Rast an der Stillen Reuss auf ihrer Durchreise machten, Dutzende von Vogelbeobachter nach Rottenschwil. «Im letzten Jahr haben die Beobachtungen zugenommen. Das ist eine schöne Entwicklung», findet Fischer. «Das gibt einen Bezug zur Natur.»

Die Sektion Natur und Landschaft des Kantons hat ein spezielles Artenförderungsprogramm für den Kiebitz. «Bodenbrüter, zu denen der Kiebitz gehört, haben es in unserer Kulturlandschaft schwierig. Ihre Nester sind für Feinde eher zugänglich als jene der Baumbrüter.» Eingewanderte Mittelmeermöwen, Füchse sowie die intensivere Landwirtschaft führten zu einem starken Rückgang dieser Art im Reusstal. Die Brutplätze konzentrieren sich heute auf die Gebiete des Flachsees, der Stillen Reuss und des Schoren Schachen in Mühlau. Flink stellt Josef Fischer das Fernrohr ein, damit ein Kiebitz zu sehen ist. Die Vögel sind mit ihrem Gewand leicht zu erkennen. Er ist dank seiner Silhouette mit der einzigartigen, langen Federholle, dem violetten Glanz der dunklen Gefiederpartien unverkennbar. Seinen «kiwitt»-Ruf erkennt man gut. Fischer stellt das Fernrohr anders ein, und man sieht einen Gitterkorb in der Auenlandschaft. «Diese Gitterkörbe schützen die Gelege von Kiebitze vor Naturräubern. Vorletztes Jahr kamen sie bei uns erstmals zum Einsatz. Die Kiebitz-Beauftragten schauen intensiv nach, wo die Nester mit Eier sind und stellen dann die Körbe darauf.» Bisher haben die Kiebitze diese gut angenommen. Zwei Kiebitz-Paare leben und brüten momentan an der Stillen Reuss. Durch die Gitterkörbe werden zwar weniger Eier geraubt und der Schlupferfolg ist grösser, die Verluste sind aber noch immer sehr hoch, da die geschlüpften Kiebitze als Nestflüchter nicht im Gitterkorb bleiben und oft erbeutet werden, bevor sie flügge geworden sind.

Wichtige Energielieferanten

Auch die Amphibien denken im Frühling an die Fortpflanzung. «Bereits haben die Grasfrösche und Erdkröten gelaicht. Bald beginnt die zweite Phase mit den Laub- und Wasserfröschen.» Ab Mitte April bemerkt man sie denn alleweil. «Dann quaken sie hier ein rechtes Konzert», lacht Fischer. Lautstark macht ein Blässhuhn auf sich aufmerksam. Sie verteidigt ihr Revier vor einer Pfeifente. «Diese Entenart ist noch ein Wintergast. Bald geht ihre Reise weiter.» Eben noch auf den Streit zwischen Blässhuhn und Pfeifente konzentriert, zieht eine Bewegung im Wasser den Blick auf sich. Eine Ringelnatter streckt ihren Kopf aus der Stillen Reuss und schwimmt schnell weg. «Sie scheint auf der Jagd zu sein», meint Josef Fischer.

Kaum ist die Schlange ausser Sichtweite, widmet sich Fischer mit der Lupe am Auge einem Weidenkätzchen. Gut 30 verschiedene Arten wachsen in der Schweiz. Es gibt solche, die schon früh im Frühling blühen und so wichtige Energielieferanten für Insekten, insbesondere Wildbienen, sind. Blühende Weiden gehören zum Frühling wie Schlüsselblümchen und Buschwindröschen. Rasch flitzt ein Teichhuhn von einem Gebüsch ins nächste. Teichhühner nisten am liebsten im Dickicht am Rand von Teichen, Seen oder Flüssen und verraten sich meist nur durch ihre gutturalen Rufe. «Sie sind sonst eher verborgen», meint Josef Fischer und fügt dann augenzwinkernd hinzu, «doch in der Frühlingsphase sind alle ein wenig verrückter und scheinen wohl hormongesteuert zu sein.» Es gäbe noch viel zu beobachten. Die Biodiversität ist hier an der Stillen Reuss immer reich, doch wenn der Frühling im Reusstal Einzug hält, ist sie noch spannender.


Für den Erhalt von Flora und Fauna

Die Stiftung Reusstal

Seit 1962 engagiert sich die Stiftung Reusstal mit viel ehrenamtlichem Einsatz für den Erhalt von Flora und Fauna in den zahlreichen Naturoasen des Tales der Reuss mitten im Ballungsgebiet des Mittellandes.

Vom Zieglerhaus Rottenschwil aus werden von der Stiftung Reusstal in Zusammenarbeit mit dem kantonalen Unterhaltsdienst für Naturschutz die insgesamt rund 3 Quadratkilometer grossen Reservate der aargauischen Reussebene südlich von Bremgarten betreut.

Interessantes Exkursionsangebot

Beispielsweise wird seit 2001 die Besiedlung des Bibers entlang der Reuss beobachtet. Oder die Verbreitung des Kleinen Knabenkrauts wurde in der aargauischen Reussebene untersucht und die Population der wildwachsenden Gladiolen, die vom Aussterben bedroht waren, wurde wieder aktiviert. Kein Wunder kann die Stiftung Reusstal dank ihrem breiten Wissen ein interessantes Exkursionsangebot zu jeder Jahreszeit anbieten. Die Exkursionen sind öffentlich und das aktuelle Programm auf der Website der Stiftung Reusstal ersichtlich. Der Besuch der Ausstellung im Zieglerhaus Rottenschwil erfolgt auf Voranmeldung. Bis und mit 14. April ist die Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen aufgrund der Covid-Bestimmungen untersagt.

Informative Naturpfade

Die Naturpfade Stille Reuss / Giriz, Rottenschwil und Flachsee Unterlunkhofen ermöglichen Einblicke in drei attraktive Naturschutzgebiete des Reusstals. Infotafeln am Wegrand erläutern Geschichte und Entwicklung der Landschaft, porträtieren einige typische Tiere und Pflanzen des Gebietes und beleuchten Zusammenhänge. --red


Viel Leben in der Stillen Reuss

Flussaltwasser wie die Stille Reuss zählen zu den artenreichsten Teillebensräumen in Auen. Diese Flussschlaufe ist von der Reuss vollständig abgetrennt und wird einzig von Grundwasser und Regenwasser gespeist. Im sumpfigen Uferbereich wachsen Seggen und Röhricht, zu beobachten sind hier Teichrohrsänger, Rohrammer und Zwergreiher. Der Schwimmblattgürtel mit Teich- und Seerosen ist die Domäne von Fröschen und Kröten. Im Innenbereich mit seinen Flachtümpeln kommen Libellen in grosser Artenvielfalt vor. Zu entdecken sind dabei gefährdete Arten wie die Zierliche Moorjungfer, die Feuerlibelle, der Östliche und der Südliche Blaupfeil.

Neben der Stillen Reuss bilden der Flachsee Unterlunkhofen als Wasser- und Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung und das Rottenschwiler Moos mit seinem Mosaik von Riedwiesen, Altläufen und Weihern die markantesten Gebiete des Auenschutzparks Aargau in der Reussebene. --red


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