Helfen als Vollzeitjob
17.08.2022 WohlenSerie «Ukrainer in der Schweiz»: Die Fachstelle «Integration im Freiamt» leistet Unterstützung an vielen Fronten
Die Regionale Koordination für Freiwilligenarbeit und die Toolbox Freiamt sind im Frühling dieses Jahres zur Fachstelle «Integration im Freiamt» zusammengewachsen. Ein wichtiger Schritt. Mit gebündelten Kräften versucht man den Flüchtlingen aus der Ukraine zu helfen.
Josip Lasic
Rund 30 Personen haben sich in Wohlen im Sorenbühlweg 4a zusammengefunden. Bei der Freiämter Integrationsfachstelle findet der Familien-Treff Ukraine statt, der von den Flüchtlingen aus dem kriegsgebeutelten osteuropäischen Staat gut besucht wird. Laura Pascolin und Patrik Biber von der Fachstelle liefern wichtige Informationen. Die Flüchtlinge hören gespannt zu, während eine Dolmetscherin alles auf Ukrainisch übersetzt.
«Mittlerweile haben wir rund 400 Flüchtlinge aus der Ukraine im Bezirk Bremgarten», erzählt Laura Pascolin. «Uns fehlt die Kapazität, alle einzeln zu beraten. Wir haben deshalb diesen Familien-Treff ins Leben gerufen.» Jedes Treffen hat ein spezifisches Thema. «Einmal sind wir mit ihnen zum Bahnhof und haben gezeigt, wie man Tickets am Automaten löst», so Pascolin. «Das sind kleine Dinge, die für diese Menschen aber Neuland sind und wo sie Hilfe benötigen.» Mittlerweile ist es so, dass die Treffen auch ohne Themenfokus durchgeführt werden. «Die Leute aus der Ukraine sind schon froh, wenn sie sich zusammensetzen und unterhalten können. Ein soziales Umfeld ist ebenso wichtig wie die Informationen, die sie für das alltägliche Leben benötigen.»
Hilfsangebote zahlreich, aber unkoordiniert
Hilfe für Menschen aus Kriegsgebieten und Unterstützung bei der Integration sind für die Integrationsfachstelle kein Neuland. Bei früheren Flüchtlingsströmen, beispielsweise aus Eritrea, Syrien oder Afghanistan, leisteten die «Toolbox Freiamt» und die «Regionale Koordination für Freiwilligenarbeit» wichtige Arbeit in der Region. Diese beiden Organisationen sind jetzt zu «Integration im Freiamt» zusammengewachsen. Keinen Moment zu früh. «Wir sind eine von sieben Integrationsfachstellen im Kanton, die künftig verstärkt zusammenarbeiten werden und unser Wissen austauschen.»
Das ist wichtig, da die Hilfsangebote für Flüchtlinge aus der Ukraine zwar zu Beginn zahlreich waren, vieles aber unkoordiniert war. «Die Behörden haben sehr schnell reagiert», erklärt Pascolin. «Nur schon die Einführung des Schutzstatus S ging wirklich fix. Bis aber alles rechtlich in die Wege geleitet wurde, verging dennoch etwas Zeit.»
Sich bisherige Erfahrungen zunutze machen können
In dieser Zeit konnte «Integration im Freiamt» von bisherigen Erfahrungen profitieren. «Wir verfolgen das politische Geschehen im Ausland und wissen mittlerweile, wie lange es dauert, bis nach Kriegsausbruch die ersten Schutzsuchenden bei uns ankommen.»
Es wurden Schlüsselpersonen mit Bezug zur Ukraine gesucht. Leute, die der Sprache mächtig sind, übersetzen können, Infos von ihren Angehörigen vor Ort erhalten und diese weiterleiten können. «Teilweise waren wir früher informiert als die Medien», sagt Pascolin lächelnd. Und dann ging es darum, die Menschen in allen Bereichen zu unterstützen. «Wir liefern Erstinformationen, bieten Unterstützung bei der Integration und sind auch die Koordinationsstelle für freiwillige Arbeiter.» Ein weiterer Vorteil für «Integration im Freiamt»: Viele Angebote waren bereits da. Sie mussten lediglich auf die Menschen aus der Ukraine angepasst und ergänzt werden. Dennoch waren es für die Integrationsfachstelle wie für alle Organisationen und Privatpersonen, die helfen wollen, sechs intensive Monate. «Jetzt, ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn, hat sich langsam alles eingependelt», so Pascolin. «Vorher gab es viel zu organisieren und aufzugleisen.»
Intensive Aufgabe für die Helfer
«Integration Freiamt» ist primär für die Gemeinden Wohlen, Villmergen, Dottikon, Dintikon zuständig. Aus diesen Gemeinden erfahren sie von Neuankömmlingen aus der Ukraine und kontaktieren diese direkt bezüglich ihrer Angebote.
Andere Gemeinden des Bezirks Bremgarten schreiben sie an und hoffen, dass diese das Angebot an die Menschen aus der Ukraine weiterleiten. «Je nachdem, was für Hilfe benötigt wird, müssen wir die Leute an andere Stellen verweisen. Das alles benötigt Zeit. Umso wichtiger ist es, dass die Flüchtlinge diese Angebote möglichst rasch erhalten.»
Neben dem Arbeitsaufwand gehen Pascolin und den anderen Mitgliedern von «Integration im Freiamt» auch die Schicksale der Flüchtlinge sehr nahe. «Ich bin eigentlich ziemlich abgehärtet. Aber es gibt Schicksale, die einen nicht kaltlassen. Beispielsweise Frauen, die vergewaltigt wurden und hier dann das Kind auf die Welt bringen. Ein Kind, das nicht gewollt war. Solche Geschichten nehmen einen stark mit.»
Daneben sind die Mitglieder der Integrationsfachstelle rund um die Uhr für die Flüchtlinge da. «Sie schreiben uns häufig direkt Mails, wenn sie irgendwo Hilfe benötigen. Man darf nicht vergessen: Egal, wie gut organisiert alles ist, für die Leute aus der Ukraine ist unser komplettes System hier Neuland. Sie sind oft mit dem Kopf noch in ihrer Heimat und haben nicht die Kapazität, sich mit administrativen Fragen auseinanderzusetzen. Da müssen wir Unterstützung leisten.»
Projekt mit Strohmuseum entstanden
Zumindest organisatorisch hat sich die Lage für «Integration im Freiamt» etwas entspannt. «Das bedeutet nicht, dass der Krieg vorbei ist. Auch wenn er medial mittlerweile etwas von der Bildfläche verschwindet. Die Meschen sind hier und bleiben vorerst.» Laura Pascolin wünscht sich deshalb, dass beispielsweise Sportvereine in Wohlen und Umgebung die Hürde zur Aufnahme von Ukrainern etwas lockern. «Das sind Menschen, die in ihrer Heimat einen Sport ausgeübt haben und denen es helfen würde, wenn sie das wieder tun könnten, wenn sie so wieder einen Alltag bekämen und soziale Kontakte.»
Diese haben sie zu einem gewissen Grad schon beim «Familien-Treff Ukraine», wo sie sich untereinander austauschen können. Mit der gleichen Idee ist ein Projekt gemeinsam mit dem Strohmuseum entstanden. «Am 17. September wird ein Anlass stattfinden, wo es unter anderem eine Führung auf Deutsch und Ukrainisch durch das Strohmuseum gibt. Die Ukraine hat diesbezüglich eine ähnliche Geschichte wie das Freiamt», erklärt Pascolin. «Die Farben der Flagge, Blau und Gelb, beziehen sich wie bei uns auf Wasser und Stroh. Im Rahmen dieses Anlasses wird auch Geld gesammelt werden für Hilfsorganisationen. Und die Flüchtlinge haben etwas, wo sie mit anderen Leuten Zeit verbringen, ein kleines Fest feiern und an etwas anderes als an den Krieg denken können. Sie sind auch nur Menschen.»