Ihre Zukunft ist nicht in Bünzen
20.04.2022 BünzenDie Familie Kaupp verlängert die Pacht im «Hirschen» nicht – Ende Juli ist Schluss
Im Sommer 2015 kam Hervé Kaupp nach Bünzen und übernahm den «Hirschen». Nun geht er wieder. «Wir sehen keine Perspektive», sagt er.
Annemarie Keusch
Hervé Kaupp lächelt. Es seien die schönen Momente, die überwiegen. Etwa jener im Februar 2017, als sein zweiter Sohn Louis zur Welt kam und einen Tag später das Fernsehen für «Mini Beiz, dini Beiz» im «Hirschen» drehte. «Oder Silvester 2016. Es kamen ganz viele Leute und ein Grossteil war aus dem Dorf selbst», erinnert sich Kaupp.
Überhaupt, die Unterstützung im Dorf, von Privaten, aber auch von Vereinen, sei gross gewesen. «Dafür sind wir allen Bünzerinnen und Bünzern sehr dankbar.» Gleiches gelte für die Unterstützung aus der ganzen Region, seitens der Familie, der Besitzer des «Hirschen».
26 Schutzkonzepte
Diese Unterstützung, die habe seiner Familie die Kraft gegeben, die vielen Herausforderungen zu meistern. Die Pandemie und die Folgen davon waren zweifelsohne die grösste. «Das letzte Schutzkonzept war das 26.», sagt der Wirt. Aber auch das hätten sie geschafft. Und trotzdem verlängern sie den Ende Juli auslaufenden Pachtvertrag nicht. «Wir sehen keine Zukunft hier», sagt Hervé Kaupp. Die steigenden Rohstoffpreise, der Mangel an qualifiziertem Personal und die damit steigenden Lohnkosten sind Gründe dafür. Kaupp sagt: «Es waren sieben schöne Jahre.»
Der Glaube ist verloren gegangen
Im Sommer verlassen Hervé Kaupp und seine Familie den «Hirschen» in Bünzen
Vor sieben Jahren übernahm die Familie Kaupp die Pacht des «Hirschen». Ende Juli läuft diese aus. Und die Wirtefamilie hat sich entschieden, die Pacht nicht zu verlängern. «Wir sehen keine Zukunft hier», sagt Hervé Kaupp. Der Abschied fällt ihm und seiner Familie alles andere als leicht.
Annemarie Keusch
Hervé Kaupp lächelt. «Ganz viele», sagt er, angesprochen auf die schönen Momente im «Hirschen» in Bünzen. An einen besonderen erinnert er sich, ganz zu Beginn ihrer Zeit in Bünzen. «Noch bevor das Restaurant offen war, kamen die Leute aus dem Dorf, um zu sagen, wie sehr sie sich freuen.» Wieder lächelt Hervé Kaupp. «Aber sie sagten auch, dass wir es wohl nicht einfach haben werden.» Und doch seien sie geblieben, haben sich sieben Jahre durchgebissen. Ende Juni ist nun Schluss. «Wir sehen keine Zukunft hier.» Die Balance stimme nicht mehr. Die Unsicherheit sei zu gross, die Bereitschaft, diese bei immer schwieriger werdenden Umständen zu tragen, nicht mehr da.
Dass der Pachtvertrag Ende Juli ausläuft, das wussten alle Beteiligten. Im Januar musste der Entscheid her, wie die Zukunft der Familie Kaupp aussehen wird. Alle Argumente sollten auf den Tisch. Alle Berechnungen mussten gemacht sein. Und am Schluss entschied die Familie Kaupp, ihre Zelte in Bünzen abzubrechen. «Nach der Pandemie die Motivation hochzuhalten, ist nicht einfach», sagt Kaupp. Und er ist auch überzeugt, dass die Entscheidung ohne Covid-19 anders aussehen würde. «Unser Abschied von Bünzen ist eine Spätfolge der Pandemie, wie es wohl noch viele geben wird.»
Höhere Lohnkosten, höhere Preise für Rohstoffe
Aber Kaupp nennt auch andere Gründe, alle sind sie Folgen der Pandemie. «Viele qualifizierte Leute orientierten sich beruflich neu. Es ist unglaublich schwierig geworden, gutes Personal zu finden», sagt Kaupp. Auch Angestellte des «Hirschen» kündigten, sie zu ersetzen, war nicht immer möglich. «Wenn es zu wenig Personal auf dem Markt gibt, dann steigen die Lohnkosten, das ist ein ganz normaler wirtschaftlicher Prozess», führt Kaupp aus. Nur, höhere Lohnkosten zahlen zu können, während sie immer noch täglich mit Absagen zu kämpfen haben, gehe nicht. «Die Zahlen sprechen für sich. Die Rechnung geht schlicht nicht mehr auf.»
Kommt hinzu, dass seit Januar wöchentlich Briefe ins Haus flattern, laut denen die Lieferanten ihre Preise erhöhen. «Bis zu 35 Prozent», sagt Kaupp. Kosten, die sich nicht auf den Gast abwälzen lassen. «Sonst kommen die Leute nicht mehr.» Leicht fiel seiner Familie der Entscheid trotzdem nicht. «Wir haben sieben Jahre gekämpft, sogar die zwei Jahre mit Corona überstanden.» Nun sei der Respekt – Hervé Kaupp mag es nicht Angst nennen – davor, dass die Zahl unter dem Strich nicht mehr schwarz, sondern rot ist, zu gross.
Den ehemaligen Eiskeller umgebaut
Dass sie als Wirtefamilie viel Flexibilität aufbringen müssen, dessen sind und waren sich die Kaupps immer bewusst. Das taten sie die Jahre vor der Pandemie, das taten sie auch in den letzten schwierigen Jahren. Sie investierten sogar, machten aus dem ehemaligen Eiskeller ein Bistro, renovierten den ganzen Raum dafür. «So sahen wir unsere Zukunft», sagt Kaupp. Nun hat er den Glauben an solch kleinere Gastronomiebetriebe aufgegeben. «Die Spontanität, das Kurzlebige, das ist einer der Reize, die das Wirteleben mit sich bringt. Aber im Zuge der Pandemie wurde es immer noch kurzlebiger», sagt Kaupp. Über ihren Abschied aus Bünzen musste er nur eine Gruppe informieren, die reserviert hatte. «Ansonsten bleiben die grossen Reservationen, die einem längerfristig Sicherheit geben, mittlerweile komplett aus.»
Sieben Jahre ist es her, dass Kaupp mit seiner Frau Andrea und dem damals einjährigen Sohn Grégory nach Bünzen kam. «Das Objekt, das Restaurant, wir haben Potenzial gesehen.» Und darin hätten sie sich nicht getäuscht. «Es lief gut vor der Pandemie, auch die beiden letzten Sommer waren gut, nur sehen wir die Steigerung nicht, die es brauchte, um die ständig steigenden Kosten zu decken.»
Überhaupt keine Reue
Noch bis Ende Juni ist der «Hirschen» offen, nachher haben die Kaupps einen Monat Zeit, um alles aufzuräumen und zu putzen. «Wir geben bis zum Schluss Vollgas», verspricht Hervé Kaupp. Schwierig sei es für ihn nicht, nach dem angekündigten Abschied noch einige Wochen weiterzuarbeiten. «Im Gegenteil, es ist eine Last, die abgefallen ist.» Es war eine Nachricht, die bei den Stammgästen einschlug. «Viele sind schockiert, überrascht, enttäuscht und traurig in einem. Aber bei fast allen stossen wir auf Verständnis für unseren Entscheid.»
Es sei nun Zeit, Abschied zu nehmen. «Wir bereuen es nicht, nach Bünzen gekommen zu sein, ganz und gar nicht. Es waren sieben wunderbare Jahre hier», sagt Kaupp. Trotzdem zieht es ihn nun zurück in ein Angestelltenverhältnis. «Mehr Sicherheit, auch für die Familie», sagt Kaupp. Unterschrieben sei noch nichts. Nur so viel könne er verraten: «Wir bleiben im Freiamt.» Entsprechend bleibe auch der Lebensmittelpunkt der Familie in der Region. «Das ist auch für unsere Söhne wichtig», sagt Kaupp. Zu verstehen, warum sie aus Bünzen weggehen, sei für sie nicht einfach.
Mittlerweile verspürt die Familie Kaupp aber auch Vorfreude. «Es hat für uns ganz vieles gepasst hier, aber wir freuen uns schon, wenn wir als vierköpfige Familie in einer grösseren Wohnung leben als die 68 Quadratmeter über dem ‹Hirschen›.» Kaupp sagts und lächelt. Wie es mit dem einzigen Bünzer Dorfrestaurant weitergehe, das wisse er nicht. Ihm sei noch kein Nachfolger bekannt.