Kleines Rad im grossen Kampf

  14.10.2022

Im Kohlendioxidentfernungsunternehmen Climeworks arbeiten einige Freiämter mit

Der Anteil an CO2 in der Atmosphäre hat ein Ausmass angenommen, das zu einer nachgewiesenen Klimaerwärmung geführt hat. Es sind drastische Massnahmen notwendig, etwa das Herausfiltern von CO2 aus der Luft. Eine Technologie, in der eine Schweizer Firma weltweit führend ist. Mit dabei sind auch Spezialisten aus dem Freiamt.

Richard Gähwiler

Die Zeichen des Klimawandels sind unübersehbar: Hitzeperioden mit Dürren und Wassermangel, Stürme und Unwetter mit Überschwemmungen und das Schmelzen von Gletschern und Permafrost im ganzen Alpenmassiv mit Mur-Niedergängen und Verschüttungen. Hauptverursacher dieses Wandels ist Kohlendioxid (CO2). Ein Gas, das vor allem bei der Verbrennung fossiler Stoffe in Heizungen, in der Industrie oder bei der Nutzung als Treibstoff entsteht.

Auch mit einer sofortigen Reduktion dieser Stoffe könnten die weltweit beschlossenen Klimaziele nicht erreicht werden. Auch das Aufforsten mit Bäumen, die das CO2 mit der Fotosynthese binden, ist nur ein «Tropfen auf den heissen Stein». Zusätzlich soll das CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden, propagiert der Weltklimarat. Aber wie geht das? Die Antwort hierzu lieferten die beiden ETH-Doktoranden Christoph Gebald und Jan Wurzbacher. Sie sahen in ihrer energieeffizienten Technologie grosse Chancen und gründeten im Jahr 2009 das ETH-Spin-off Climeworks.

Filtern mithilfe von erneuerbarer Energie

Climeworks filtert das CO2 mithilfe von erneuerbarer Energie aus der Umgebungsluft: Ventilatoren saugen die Luft ins Innere eines mit Granulat gefüllten Moduls. Das CO2 wird am Granulat adsorbiert und in einem modularen Kollektor gesammelt. Wenn ein Kollektor gesättigt ist, wird das Gas durch eine Erhöhung der Temperatur wieder freigesetzt und in Wasser gelöst. Die modularen Kollektoren können zu beliebig grossen Maschinen kombiniert werden. «Direct Air Capture» (DAC) wird diese Technologie genannt. Nach einem funktionierenden Prototyp ihres CO2-Abscheiders ging es zügig voran. Die weltweit erste kommerzielle Anlage wurde 2017 im zürcherischen Hinwil in Betrieb genommen. Mit dabei war der Boswiler Benjamin Keusch. Mit seinen Fachkenntnissen als Ingenieur der Verfahrenstechnik war er massgeblich beteiligt am Bau dieser Anlage. Heute ist er Teamleiter und erläutert die Vorteile des DAC-Verfahrens. «Auf der Hinwiler Anlage wurde das CO2 in einem benachbarten Treibhaus als Dünger oder als Kohlensäure in der Getränkeindustrie genutzt. Es kann auch als Rohstoff für weitere industrielle Anwendungen und Treibstoff aufbereitet werden», erklärt Keusch. Climeworks’ erklärtes Ziel sei jedoch, das schädliche Treibhausgas CO2 vollends aus dem Kreislauf zu entfernen und damit dem Klimawandel nachhaltig entgegenzuwirken. Um dies umzusetzen, hat Keusch weitere Spezialisten in seinem Team. Für die Inbetriebnahme und den Betrieb der Anlagen sind das die Ingenieure David Küchler (Boswil) und Dominik Brun (Beinwil).

Die Lösung des hohen Energieverbrauchs

Nach den positiven Erfahrungen in Hinwil realisierte Climeworks eine deutlich grössere Anlage in Island. Warum in Island? Dazu gibt es mehrere Gründe: Climeworks benutzt für seine Technologie ausschliesslich erneuerbare Energie. Diese gibt es in Island fast unerschöpflich in Form heisser Quellen. Ebenfalls ideal ist die Bodenbeschaffenheit, um das CO2 in Basalt durch natürliche Mineralisierung einzulagern. Und ein weiterer Grund ist, dass Climeworks’ Partner zu dieser Kohlenstoffspeicherung, Carbfix, in Island ansässig ist.

Die isländische Absauganlage wurde im September 2021 in Betrieb genommen. «Orca», so ihr Name, ist in der Lage, 4000 Tonnen CO2 pro Jahr zu adsorbieren und zu verarbeiten. Man werde jede neue Anlage nach einem Tiernamen benennen, sagte Christoph Gebald anlässlich der Eröffnungsfeier. In diesem Fall habe das isländische Wort orka auf Deutsch die Bedeutung Energie, was ebenfalls zutreffend sei. Die Island-spezifischen klimatischen Verhältnisse waren eine Herausforderung. Unter Anleitung von Climeworks-Fachleuten wurde die Anlage nun im September durch Spezialisten aus dem Freiamt optimiert und gemäss Climeworks-Erkenntnissen aktualisiert. Gefragt waren handwerkliches Können und Know-how in der Metallverarbeitung, was sie im Freiamt fanden: In zwei Gruppen arbeiteten Moris Ingenito und Christoph Lustenberger (Ingenitec GmbH, Boswil) sowie Sebastian Scholz (Scholz Montagen GmbH, Beinwil) mehrere Wochen an der Anlage in Island.

Naturphänomene und Kulinarisches in der Freizeit

«Diese Arbeiten in Island waren für uns Neuland, wir hatten keine Vergleiche mit anderen Technologien und Verfahren», beschreibt Moris Ingenito ihre Einsätze. «Aber ich denke, unser Team hat die Herausforderungen souverän gelöst», ergänzt er stolz.

Tiernamen sollen es sein, mit denen die einzelnen Anlagen benannt werden, sagte Co-CEO Christoph Gebald. «Mammut» wird sie daher heissen, die Anlage in unmittelbarer Nähe zu «Orca» – zehnmal grösser und leistungsfähiger. Das soll Climeworks dem längerfristigen Kostenziel einen weiteren Schritt näher bringen, von heute über 500 Franken pro Tonne CO2 auf 100 bis 150 Franken. Damit wäre diese Filtertechnologie preislich ungefähr vergleichbar mit den Kosten, die man heute im europäischen Emissionshandel für den Ausstoss einer Tonne CO2 bezahlen muss. Die Bauarbeiten für «Mammut», unter Berücksichtigung der Erkenntnisse von «Orca», werden voraussichtlich 18 bis 24 Monate dauern, wie einer Pressemitteilung zu entnehmen ist. Gut möglich, dass in dieser Zeit auch die Freiämter Spezialisten nochmals zum Zug kommen, um das Climeworks-Team zu unterstützen.


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