Kredite ohne Ausbeutung
04.02.2022 OberlunkhofenCristian Canis vergibt Gelder an Kleinunternehmen in Kenia und Uganda
Mit der Vergabe von Krediten Geld zu verdienen und die Menschen gleichzeitig unabhängig zu machen, ist kein Traum, sondern Realität. Cristian Canis bringt mit seinem Unternehmen den Beweis, dass solche Veränderungen auch ohne Spendengelder möglich sind und sich wirtschaftlich für alle lohnen.
Roger Wetli
«Ich habe mich im Jahr 2016 entschieden, damals 55-jährig, die letzten Jahre meiner beruflichen Tätigkeit voll und ganz den nachhaltigen Investitionen zu widmen», strahlt Cristian Canis. Der Unternehmer arbeitet von Oberlunkhofen aus, wo er seit vier Jahren im Gemeinderat mitwirkt. Seine berufliche Tätigkeit stützt er auf die Richtlinien «Sustainable Development Goals» (SDGs), die 17 «Ziele für nachhaltige Entwicklung» der Vereinten Nationen, ab. Zusammen mit einem Schweizer Partner ist er der Eigentümer einer Finanzgesellschaft in Kenia, die eine Niederlassung in Uganda hat. «Diese vergeben Kredite an lokale KMU, die in der Solarbranche und Landwirtschaft (Kooperativen), aktiv sind und die Nachhaltigkeitsziele vor Ort verfolgen», erklärt er. «Es sind Unternehmen, die von den grossen Banken ausgeschlossen sind, weil sie nach traditioneller Ansicht nicht oder noch nicht kreditwürdig sind. Das finden wir dagegen nicht. Wir springen da ein und vergeben die Kredite in der lokalen Währung.»
Hilfe zur Selbsthilfe
Cristian Canis schaut genau hin, welche Firmen Geld erhalten. «Es sind zum Beispiel solche, welche einfache, solarbetriebene Geräte auf den Markt bringen. Das hat einen grossen Einfluss auf die Leute und die Landschaft vor Ort.» Canis erinnert daran, dass grosse Teile von Kenia und Uganda keine funktionierenden Stromnetze besitzen. Möchten die Leute Licht haben, zünden sie Petroleumlampen an. Gekocht wird auf dem Land noch überwiegend mit Holz, was aber auf Kosten von Sträuchern und Bäumen gehe. Eine andere Möglichkeit seien mit Diesel oder Benzin betriebene Generatoren. «Diese funktionieren aber nur, wenn der entsprechende Treibstoff vorhanden ist. Mit den Solarzellen erhalten die Leute eine Energiequelle, die sie unabhängig macht», betont Cristian Canis. «Zumal die entsprechenden Geräte so verkauft werden, dass sie bei einer Laufzeit von über zehn Jahren nach zwei Jahren abbezahlt sind. Das ermöglicht den Leuten später weitere Investitionen.» Sie würden nur mit Firmen zusammenarbeiten, welche Qualität verkaufen und technische Unterstützung bieten.
Mit den Anlagen werden zum Beispiel Wasserpumpen betrieben, die eine bessere Ernte ermöglichen. «Traditionell wird noch stark von Hand bewässert. Was häufig die Arbeit von Frauen und Kindern ist und sehr viel Zeit kostet», so Canis.
Regelmässige Kontrollen
Aber auch Handys werden mit den Solarzellen aufgeladen, die in den beiden afrikanischen Ländern entscheidend für die Kommunikation seien. «Noch wichtiger ist allerdings, dass wir eine russfreie Lichtquelle ermöglichen. Die Menschen leben dadurch nicht nur gesünder, sondern haben nachts eine Lichtquelle, welche ermöglicht, dass Kinder studieren und Erwachsene sich informieren können. Denn sonst ist es in der Äquatorialgegend einfach jeweils nach zwölf Stunden wieder dunkel.» Das seien alles kleine, aber wichtige Fortschritte für die Menschen. Entscheidend sei auch, dass die unterstützten Unternehmen Personen vor Ort gehörten und damit nicht das Kapital wieder ins Ausland fliesst, sondern im Land für weitere Investitionen verbleibt. «Trotzdem sind wir keine nicht gewinnorientierte Nichtregierungsorganisation, sondern ein Unternehmen, das etwas verdienen möchte. Dies tun wir aber mit einer sozialen Komponente und der freiwilligen Verpf lichtung gegenüber der Nachhaltigkeit», betont er.
Dabei setzt Cristian Canis nicht auf blindes Vertrauen, sondern ist auch regelmässig in den beiden Ländern anzutreffen. «Wir sind zirka drei- bis viermal pro Jahr vor Ort, abwechselnd. Die Entwicklung der Kommunikation in den letzten Jahren mit Whatsapp, Zoom, Teams, Google meet kommt dem dezentralisierten Arbeiten entgegen. Zumal die Kommunikationskosten fast auf null gefallen sind.» Komme hinzu, dass das Internetbanking die Geldbewegungen ortsunabhängig gemacht habe. «Der Alltag vor Ort mit Banken, Buchhaltern, regelmässige Kundenbesuche, Behördengänge wird aber von unserem Team vor Ort erledigt.»
Signifikante Auswirkungen
Als Cristian Canis vor sechs Jahren selbstständig wurde, kannte er Afrika kaum. Sein Steckenpferd war Südamerika. «Das mit Kenia und Uganda hat sich etwas zufällig ergeben», blickt er zurück. «Venture South, die Firma meines Geschäftspartners aus Genf, hatte auch Tätigkeiten in Südamerika und auf den Philippinen. 2016 und 2017 war dies eher mein Fokus. Das Geschäft in Kenia lief an und wurde immer besser. Daraufhin konzentrierten wir uns auf Ostafrika. Ventura South Uganda, die Tochtergesellschaft in Uganda, wurde 2019 aktiv.» Die operativen Vorteile seien, dass Ostafrika von der Schweiz aus gut erreicht werden könne. «Es sind knappe acht Flugstunden direkt. Und es gibt nur ein bis zwei Stunden Zeitverschiebung, was den Büroalltag vereinfacht.»
Die Auswirkungen der Pandemie auf die beiden Länder beschreibt er als signifikant. «Geldgeber zogen sich zurück oder wurden abwartend. Lange Lockdowns wie in Uganda, wo die Schulen 77 Wochen lang geschlossen waren, Bewegungseinschränkungen und Arbeitsverlust belasten die Wirtschaft. Unsere Kunden haben Zahlungsausfälle und demzufolge haben auch wir Zahlungsverzögerungen und -ausfälle.» Die Möglichkeiten, in die Region zu reisen, seien eingeschränkt worden. Dies auch nur schon durch das Risiko, dort zu erkranken, vor Ort in Isolation zu müssen oder, im Extremfall, auf das lokale Gesundheitssystem angewiesen zu sein. «Die Impfung macht jetzt das Reisen wieder etwas einfacher.»
Zeichen an seine Kinder
Den Schritt in die Selbstständigkeit und in die Vergabe von nachhaltigen Krediten hat Cristian Canis aus tiefer innerer Überzeugung gewagt. «Wenn nicht jetzt mit 55 Jahren, wann dann?», fragte er sich. «Nicht zuletzt habe ich es auch als Zeichen an meine Kinder getan. Denn es gibt ein grösseres Ganzes als Karriere, Geld und Konsum. Wir haben den Mitmenschen und den anderen Lebewesen gegenüber eine Verpf lichtung, uns für Natur, Klima und Gesellschaft einzusetzen», ist er überzeugt. Und fügt an: «Das gilt für mich nicht nur global, sondern auch auf lokaler Ebene. Denn auf denselben Gedanken gründet auch mein Engagement im Gemeinderat von Oberlunkhofen.»
Durch Zufall in die Schweiz
Cristian Canis wurde 1961 in Argentinien geboren. Seine Grosseltern zogen in den 1920er-Jahren aus Deutschland in das südamerikanische Land. In den 80er-Jahren studierte er zuerst Chemie und anschliessend Wirtschaft. Von 1989 bis 1990 zog er nach Kanada, um seinen Master in «Ökonomie der natürlichen Ressourcen» zu machen. Anschliessend war er zuerst in Düsseldorf, dann in London für das Beratungsunternehmen McKinsey tätig, bevor er sich bei der Credit Suisse auf eine Stelle als Leiter der Wirtschaftsforschung für den Bereich Lateinamerika bewarb. So kam er in die Schweiz. Es folgten 11 Jahre bei der Zürich Versicherung in Finanz- und Anlagefunktionen auf Konzernebene und mehrere Jahre bei der Deutschen Bank (Schweiz). Seit sechs Jahren vergibt er nun als eigenständiger Unternehmer in Kenia und Uganda Kredite an Firmen, die sich im Bereich Entwicklung und Menschenförderung einsetzen. --rwi