Leiser Abgang der Kultfigur

  03.06.2020 Fussball

Mit Alain Schultz verliert der FC Wohlen seine grösste Identifkationssgur an den FC Sarmenstorf

300 Spiele machte «der Freiämter Bomber» für den FC Wohlen. Alain Schultz ist schon seit Langem eine Kultfgur – auf und neben dem Platz. Nun wechselt der 37-Jährige innerhalb der 2. Liga vom FC Wohlen II zum FC Sarmenstorf. Der FC Wohlen lässt seine Ikone ziehen. Dies, weil wohl nicht genügend miteinander geredet wurde.

Stefan Sprenger

Solche Typen gibt es in einem Verein nur alle paar Jahrzehnte. Alain Schultz gehört zum FC Wohlen wie der Schaum auf das Bier. 2002 kam er erstmals als Leihgabe des FC Aarau in die Paul-Walser-Stiftung. 300 Spiele und fast 100 Tore erzielt er für den FCW. Im Sommer 2019 sagt der Mann mit französischen Wurzeln «Adieu» und gibt beim FC Wohlen in der 1. Liga Promotion sein Karriere-Ende bekannt.

Ganz aufhören tut er nicht. Der 37-Jährige, der 16 Jahre lang Proffussballer war, geht in die 2. Liga und spielt in der zweiten Mannschaft des FC Wohlen. Dort ist er auch Assistenztrainer. Schultz führt die blutjunge Mannschaft mit denselben Attributen, die er schon als Proffussballer vorlebte: Willensstärke, Kreativität, Leidenschaft – und ganz viel Spass. Schultz ist auch eine treue Seele. Auch wenn er beim FC Aarau und bei den Grasshoppers sein Glück suchte: Der Basler kam immer wieder zurück in seine zweite Heimat Wohlen. Und hier empfng man ihn mit offenen Armen.

«Man kann ihn nicht zwingen»

Doch jetzt geht die Kultfgur. Einfach so. Zum FC Sarmenstorf. Ebenfalls in die 2. Liga. Hat man beim FCW alles versucht, um diese Identifkationssgur im Verein zu halten? Sportchef Alessio Passerini antwortet darauf: «Es gibt einige Rekordspieler in der Geschichte des FCW, welche in den 90er- und 2000-er-Jahren Geschichte geschrieben haben. Alain Schultz war in den Challenge-League-Jahren eine wichtige Figur beim FCW. Wenn er jetzt eine Veränderung braucht, hat er das Recht und man kann ihn nicht dazu zwingen, dass er bleibt.»

Vor rund einem Monat haben die Verantwortlichen mit dem Trainerstaff der zweiten Mannschaft Gespräche geführt. Trainer Reto Salm und Co-Trainer Schibi Roth wollten aufgrund ihres Berufs kürzertreten. Alain Schultz, ebenfalls Co-Trainer des Teams und in Besitz des UEFA-B-Diploms, überlegte sich nach diesem Gespräch erstmals, wie es für ihn weitergehen könnte. Der FCW sprach mit Schultz nicht über den offenen Trainerposten. Vor wenigen Tagen wurde mit David Pallas der neue Coach der zweiten Mannschaft vorgestellt. Er nimmt seinen eigenen Co-Trainer gleich mit. Und Schultz entscheidet dann defnitiv, dass er zum FC Sarmenstorf geht.

Ein konkretes Angebot wurde ihm nicht gemacht. «Mir wurde nie ein Angebot unterbreitet für den Trainerposten», sagt Schultz. Hätte er denn zugesagt als neuer Coach oder Assistenztrainer der zweiten Mannschaft? «Gut möglich, ich hätte es mir sicherlich sehr gut überlegt», sagt Schultz. Hat es der FC Wohlen verpasst, seine grösste Identifkationssgur im Verein zu halten? Der abtretende Reto Salm, der bei den Gesprächen dabei war, sagt: «Wäre die Konstellation so geblieben, wäre auch Alain Schultz geblieben.» Dies bestätigt Schultz. Doch weil der FCW Planungssicherheit wollte für die kommende Saison, konnte Salm nicht zusagen. Hauptsächlich aus berufichen Gründen. «Aufgrund der Coronapandemie ist bei vielem unsicher, wie es weitergeht», meint er.

«Habe das Gefühl, Schultz kriegte kein klares Statement»

Es bleibt die wiederkehrende Frage: Hat der FCW genug unternommen, um Schultz im Verein zu behalten? Dazu sagt Salm: «Ich habe das Gefühl, Schultz kriegte vom Verein kein klares Statement, dass man ihn als Cheftrainer will. Das hätte aber kommen sollen, wenn man ihn weiterhin hätte haben wollen. Der Arbeitgeber sagt dem Arbeitnehmer ja, wo man dessen Aufgabe in Zukunft sieht. Das ist in diesem Fall nicht passiert.» Salm hat eine klare Haltung: «Solch eine Identifkationssgur hätte man unbedingt und absolut beim FC Wohlen halten müssen. Wie er sich als Spieler und Assistenztrainer bei der zweiten Mannschaft gezeigt hat, war eindrücklich. Er marschierte stets voran, war ein sensationelles Vorbild und auch die Trainingseinheiten, die er führte, waren hervorragend.»

Auch beim FC Muri im Gespräch

Betrachtet man die Philosophie des FC Wohlen und denkt man zukunftsorientiert, muss es unbedingt einen Platz für Alain Schultz beim FC Wohlen geben. Schultz seinerseits sagt, man habe nicht klar kommuniziert. Also streckte er seine Fühler aus. Respektive nahm er Gesprächeinladungen anderer Vereine an. Er sprach mit dem FC Lenzburg oder dem FC Muri. Dort erhielt er ein Angebot als spielender Co-Trainer. Muri-Trainer Piu sagt: «Der Aufwand war ihm zu gross.» Der FC Muri ist weiterhin auf Co-Trainer-Suche. Schultz meint: «Als Assistent und Spieler in der 2. Liga interregional wäre der Aufwand riesig gewesen. Hätte ich dieses Angebot angenommen, hätte ich letztes Jahr nicht meine Karriere in der 1. Liga Promotion beenden müssen. Ich wollte ja kürzertreten.»

Was sagt der FC Wohlen, allen voran Sportchef Alessio Passerini? War dieser Freiämter Ausnahmefussballer keine Option auf den Trainer-, oder Co-Trainer-Posten der zweiten Mannschaft? Passerini meint: «Die Option, dass Schultz weiterhin als Co-Trainer tätig sein könnte, war da. Aber der neue Trainer hat sich geäussert, dass er den eigenen Co-Trainer mitnehmen will.» Adrian Meyer, sportlicher Leiter des FC Wohlen, ergänzt: «Schultz wusste meines Wissens nicht genau, was er wollte, signalisierte aber, dass er am ehesten als Spieler bleiben würde.»

Die Initiative hätte wohl nicht von Schultz, sondern zwingend vom Verein kommen müssen. «Das hätte ich mir gewünscht», so Schultz. Verwaltungsratspräsident André Richner, der in den Gesprächen bezüglich Schultz nicht dabei war, sagt: «Natürlich hätten wir ihn gerne dabeigehabt und es ist sehr schade, dass er geht. Er hat viel geleistet für den FC Wohlen und auch viel proftiert. Vielleicht hätten beide Seiten mehr aufeinander zugehen sollen. Vielleicht hat man zu wenig unternommen.»

So führen ein kleines Missverständnis und mangelnde Kommunikation dazu, dass die Abgangswünsche von Schultz bestärkt werden. Weil der FC Wohlen nicht konkret wird, wächst bei Schultz der Drang, zu gehen. Nun wechselt der kreative Offensivspieler auf die Bühlmoos und wird dort wohl zur Attraktion werden. Richner sagt: «Reisende soll man nicht aufhalten. Ich wünsche ihm an seiner neuen Wirkungsstätte viel Befriedigung und Erfolg.» Meyer, der sportliche Leiter, sagt: «Sein Abgang ist schade. Aber vielleicht tut ihm eine Luftveränderung gut.» Schultz sagt mittlerweile: «Es ist Zeit für etwas Neues.»

In Sarmenstorf passt die Kultfgur bestens. Denn auch die Kicker von der Bühlmoos sind mit ihrer Art so etwas wie Kult im Amateurfussball. Und ebenfalls bekannt dafür, dass sich auch noch nach Schlusspfff ihre Tore weiterfeiern. Mit Fabian Burkard, den Dubler- und Stutz-Brüdern und weiteren Akteuren hat Schultz schon viele Sarmenstorf-Spieler im Kollegenkreis. Nicht zu vergessen Trainer Michael Winsauer, ein guter Freund von Schultz. «Eine geile Truppe mit guten Typen und einfach ein sympathischer Verein, der trotz Feierlaune Ambitionen hat», meint der Wohler.

In Sarmenstorf ist man happy und überzeugt, dass er bestens ins Team passt. Man erhält ebenfalls viel Routine und Erfahrung. Etwas, das der jungen Truppe mit einem Durchschnittsalter unter 25 Jahren sehr guttun wird. «Wir sind uns aber auch bewusst, dass er nicht der Fussball-Messias ist, der uns im Alleingang zum Ligaerhalt schiessen wird», sagt Sportchef Fabian Baumli. Aber: «Gerade die jungen Spieler werden in jedem Training von Schultz proftieren können.»

«Er bekommt keinen Rappen»

Bleibt noch die Frage zu klären, wie viel der «Bomber» jetzt auf der Bühlmoos verdient? Sportchef Baumli sagt: «Unser Leitbild ist glasklar: Der FC Sarmenstorf bezahlt keine Spieler. Alain Schultz ist dabei keine Ausnahme. Er bezahlt wie alle anderen Spieler auch den Mitgliederbeitrag und bekommt keinen Rappen. Bei den bisweilen abenteuerlichen Auswüchsen im Regional-Fussball mag dies unrealistisch erscheinen, aber das ist unsere Sarmi-Philosophie: bodenständig und nachhaltig.» So verlässt die Kultfgur den FC Wohlen leise – und umsonst.


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