Mehr leisten als gefordert

  13.07.2021 Geltwil

«Ein totes Bein lebt»: Maturarbeit vom Geltwiler Noah Christen und seinen Kantikollegen

Kann ein Amputat über mehrere Stunden durchblutet und mit Sauerstoff versorgt werden? Ja, kann es. Dies bewiesen vier Maturanden der Alten Kantonsschule Aarau in ihrer Diplomarbeit. Für ihre Arbeit erhielten sie die Gewissheit, dass es möglich ist, Gliedmassen in einem vitalen Zustand zu replantieren, und die Note 6.

Sabrina Salm

Noah Christen aus Geltwil hat ein grosses Ziel vor Augen: Der 20-Jährige möchte Medizin studieren. «Ich könnte mir auch vorstellen, bei Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten», sagt er. Für ihn steht schon lange fest: «Medizin, das ist es. Einen Plan B gibt es nicht.» Die Faszination zum Arztberuf, besonders zum Bereich Chirurgie, teilt er mit seinen Mitschülern der Alten Kantonsschule Aarau Julian Vögeli, Laura Widmer und Alexandra Hürzeler. Auch sie sind angehende Medizinstudenten. Für die vier war deshalb von vornherein klar, dass ihre Maturarbeit etwas Medizinisches enthält. «Wir alle waren bereit, mehr als nötig in diese Arbeit zu stecken», erzählt Noah Christen.

Grossen logistischen Aufwand

Sie entschieden sich, der Frage nachzugehen, ob man Gliedmassen konservieren und künstlich durchbluten kann, sodass genug Zeit bleibt, um sie zu replantieren. «Erstaunlicherweise fanden wir nur wenig Literatur zu diesem spezifischen Thema», erzählt Laura Widmer. Auch Maschinen, die für die Konservierung speziell für Gliedmassen ausgerichtet sind, gibt es keine oder wenn, nur als Prototypen in der experimentellen Forschung. Noah Christen und seine Mitschüler setzten sich deshalb zum Ziel, eine isolierte Perfusion an einer amputierten Extremität durchzuführen und das Amputat eines Schweinevorderlaufs für mindestens sechs Stunden künstlich zu durchbluten. Dafür bauten sie vorhandene Maschinen und Verbrauchsmaterialien gezielt um. Für ihre Maturarbeit haben sie einen hohen logistischen Aufwand auf sich genommen. Und es gelang ihnen tatsächlich, «das tote Bein am Leben zu erhalten». Dadurch ist diese Arbeit letztlich auch für die klinische Forschung von Interesse.


Totem Bein neues Leben eingehaucht

Noah Christen aus Geltwil hat mit drei Kollegen eine aussergewöhnliche Maturarbeit geschrieben

Die vier Maturanden Alexandra Hürzeler, Julian Vögeli, Laura Widmer und Noah Christen haben mit dem aussergewöhnlichen Titel «Ein totes Bein lebt» ein nicht ganz einfaches Thema für ihre Diplomarbeit gewählt. Sie wurde als beste Maturarbeit an der Alten Kantonsschule Aarau ausgezeichnet.

Sabrina Salm

Jetzt muss alles schnell gehen. Der Schweinevorderlauf wurde vom Schlachter genau so abgetrennt, wie es die 20-jährigen Maturanden aus dem Aargau gerne wollten. «Wir konnten es uns nicht leisten, mehrere Objekte zu verbrauchen. Deshalb gaben wir an, wie wir es gerne hätten», erklärt Noah Christen aus Geltwil. Bis es zu der Abholung des amputierten Vorderlaufs kam, haben Noah Christen, Laura Widmer, Julian Vögeli und Alexandra Hürzeler alles akribisch recherchiert, geplant und vorbereitet. So wurde der Vorderlauf gekühlt vom Schlachthof in ein improvisiertes Labor transportiert. Dann brauchte es höchste Konzentration, da es nur einen Versuch gab. Jeder wusste genau, was zu machen ist. Die Aufgaben wurden vorher verteilt. «Die ersten zwei, drei Stunden waren sehr stressig», erinnern sich Noah Christen und Laura Widmer zurück. «Wir haben uns versucht vorzustellen, wie es ist, wenn es dann geht. Doch während des Tests mit dem Schweinevorderlauf hatten wir keine Zeit, um zu kapieren, was wir gerade getan haben», lachen sie. «Das Bein lebte», diesen Gedanken begriffen sie erst später. «Und als wir die Laborergebnisse in den Händen hielten, erst recht», führt Noah Christen weiter aus.

Menschen helfen, ein wichtiges Ziel

Was die vier Kantonsschüler mit ihrem sechsstündigen Experiment für ihre Maturarbeit erreicht haben, davon hätten sie nicht mal zu träumen gewagt. Doch wie kamen sie darauf, ein medizinisches Thema für ihre Arbeit zu wählen? Dass die vier Maturanden in ihrer Diplomarbeit etwas Medizinisches machen wollten, war ihnen von Anfang an klar. «Wir wussten, wir wollten in dieser Arbeit mehr einsetzen als nur das Nötige.» Alle vier sind sehr ehrgeizig und wissen schon lange, dass sie Mediziner werden wollen. Bei allen soll es in Richtung Chirurgie gehen. Der Geltwiler Noah Christen könnte sich auch vorstellen, einmal bei den Ärzten ohne Grenzen unterwegs zu sein. Noah Christen, dessen Vater CEO der Firma Fumedica AG in Muri ist, hat schon früh medizinisches Interesse von zu Hause aus erhalten. Die Fumedica AG ist als Spezialanbieter von Produkten in verschiedenen medizinischen Bereichen bekannt. «Das hat mich schon immer fasziniert.» Er findet es ein sehr spannendes Gebiet. «Dass man dabei Menschen helfen kann, toppt das Ganze noch.» Die vier Maturanden sind sich bewusst, dass sie als Ärzte im eigenen Leben zum Teil zurückstecken müssen. Doch dies sind sie bereit einzugehen. Die Numerus-clausus-Prüfungen haben vergangene Woche stattgefunden.

Bei ihrer Maturarbeit unterstützt wurden sie von Dr. Erich Gygax, dem ehemaligen Chef-Kardiotechniker des Inselspitals Bern, der seit vier Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fumedica AG ist. «Er hat uns bestens beraten und stand uns mit seinem Wissen zur Seite.»

Herz-Lungen-Maschine umgebaut

Das medizinische Interesse der jungen Leute gipfelte darin, sich der Frage zu stellen, wie man Extremitäten nach einem Unfall konservieren und künstlich durchbluten kann, sodass genug Zeit bleibt, um sie zu replantieren. Bei ihrer Recherche fanden sie nicht viel Literatur darüber. «Es wurde bestimmt schon solche Forschung betrieben, einfach noch nichts veröffentlicht», erklärt Noah Christen. Auch entsprechende Maschinen für solche Anwendungen gab es nicht oder nur als Prototypen in der experimentellen Forschung. Da es die neusten Technologien für isolierte Perfusion bereits ermöglichen, Organe wie Herz oder Leber künstlich zu durchbluten, haben sich die vier Maturanden entschlossen, eine isolierte Perfusion an einer amputierten Extremität durchzuführen. Die Arbeit wurde in drei Arbeitsschritte unterteilt. In einem ersten Schritt wurden die bereits vorhandene Maschine und Verbrauchsmaterialien der heutigen Herzchirurgie umgebaut und so adaptiert, dass ein potenzielles Vorderlauf-Amputat angeschlossen werden kann. In einem zweiten Schritt wurden der Betrieb und die Handhabung der adaptierten Herz-Lungen-Maschine erlernt. Letztlich wurde dann ein Vorderlauf-Amputat an die adaptierte Maschine angeschlossen und die Vitalität des Amputates mithilfe von verschiedenen Laborparametern überprüft. Mit diesen Arbeitsschritten konnte der Versuch erfolgreich durchgeführt werden. Das Ziel, das Bein am Leben zu erhalten, haben sie erreicht. Zeit, diese Arbeit zu erweitern, haben sie jedoch keine und auch das Budget dazu nicht. «Wir haben viel gelernt daraus und konnten profitieren», ist sich Noah Christen sicher. «Dass wir das Ziel erreicht haben, kann uns niemand mehr nehmen.»


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