Mehr Zeit fürs Paradies
12.04.2024 SchwingenSchwinger Reto Leuthard gibt am Guggibad-Schwinget am Sonntag seinen Rücktritt
Neun Jahre nach seinem ersten Kranzgewinn ist Schluss. «Es ist besser so», sagt der 27-jährige Reto Leuthard.
Stefan Sprenger
...Schwinger Reto Leuthard gibt am Guggibad-Schwinget am Sonntag seinen Rücktritt
Neun Jahre nach seinem ersten Kranzgewinn ist Schluss. «Es ist besser so», sagt der 27-jährige Reto Leuthard.
Stefan Sprenger
Hagnau bei Merenschwand. Ist das der berühmte Busen der Natur? Reto Leuthard muss lachen: «Für mich ist es das Paradies.» Hier ist er aufgewachsen, auf einem Bauernhof. Man muss sagen: Idyllischer geht es kaum. Rundherum ist alles grün. Die Reuss nur einen Steinwurf entfernt. Die Kantonsgrenze zu Zürich und Zug nur wenige 100 Meter entfernt. Vor wenigen Monaten hat Reto Leuthard den Hof von den Eltern übernommen. Gemeinsam mit seiner Freundin lebt er in einer heimeligen Wohnung, kümmert sich um die 300 Tiere auf dem Hof und die 64 Hektaren Land. Leuthard ist aber nicht nur Landwirt, sondern auch Schwinger. An den letzten drei «Eidgenössischen» war er dabei, holte total neun Kränze. Doch nun ist Schluss. Am Guggibad-Schwinget ob Buttwil wird er am Sonntag zum letzten Mal ins Sägemehl gehen. Man könnte nun meinen, der Schwinger des SK Freiamt macht es wegen seiner neuen Aufgabe auf dem Bauernhof. Doch das wäre nur die halbe Wahrheit. Dass er mit 27 Jahren aufhört, hat mehrere Gründe. «Das Schwingen wird immer mehr zu einem Müssen», erklärt er. Für ihn war der Sport immer ein Hobby. Mit kleinem Aufwand holte der 120-kg-Mann aber viel raus. Leuthard – der noch nie in seinem Leben in einem Kraftraum war – sagt: «Der richtige Moment ist da.» Nach dem Rücktritt hat er mehr Zeit für sein Paradies: Hagnau bei Merenschwand.
Ein Brocken, den alle mögen
Kleiner Aufwand, aber ziemlich grosser Ertrag. Reto Leuthard war an den letzten drei «Eidgenössischen» dabei. Der Merenschwander beendet am Sonntag beim Heimfest im Guggibad seine Karriere. Und das mit 27 Jahren.
Stefan Sprenger
Da gibt es nichts zu rütteln. Der Brocken hat entschieden: Aus. Schluss. Vorbei. Reto Leuthard will nicht mehr. Eidgenosse Joel Strebel wollte ihn überreden, weiterzumachen. Und er zog dafür alle Register. Strebel wollte ihm eine neue Ausrüstung spendieren und so erzwingen, dass Leuthard noch eine Saison dranhängt. «Ich musste aber merken, dass er sich nicht umstimmen lässt», so Strebel. «Da bin ich stur», sagt Leuthard. Mit 27 Jahren beendet er seine Karriere. Am Sonntag im Guggibad hat er seinen letzten Einsatz. «Ein Rücktritt vom Rücktritt ist ausgeschlossen», sagt Leuthard.
«Reti ist Reti»
Für den Schwingklub Freiamt ein herber Verlust. Und besonders für Joel Strebel. Die beiden sind gute Kumpels, kennen sich seit den Jungschwingern, gingen gemeinsam in die Berufsschule (Landmaschinenmechaniker) und sind jeweils gemeinsam an die Schwingfeste gefahren. Strebel sagt: «Reti ist Reti. Ein guter Typ. Im Sägemehl war es nie einfach gegen ihn, er hat ziemlich PS und eine eindrückliche Postur. Es ist schade, er wird sehr fehlen.»
Wenige Tage vor dem Guggibad-Schwinget erzählt Reto Leuthard von seiner Karriere und seinen Beweggründen. Treffpunkt ist sein Wohnort.
Ein Bauernhof in der Hagnau, einem Weiler von Merenschwand. An diesem idyllischen Ort ist er aufgewachsen. «Hier ist mein Paradies», sagt er. Als er diese Worte spricht, fährt sein Vater Walter mit dem E-Bike beim Bauernhof vor. «Alles gut?», fragt er seinen Sohn Reto. «Alles bestens», meint dieser. Der Vater wird gefragt, ob er am Sonntag auch beim letzten Einsatz seines Sohnes am Guggibad-Schwinget mit dabei ist. Der Vater meint: «Ich kann nicht. Jemand muss auf den Hof schauen.»
«Ich habe diesen Sport gelebt und geliebt»
Der Bauernhof in der Hagnau wird schon seit Generationen von der Familie Leuthard geführt. Mit Onkel Hans Henggeler hat man eine Betriebsgemeinschaft. Vor wenigen Monaten sind die Eltern von Reto Leuthard kürzergetreten. Er ist jetzt der Boss. Der Schwinger schaut nun auf die 60 Milchkühe, 30 Rinder und über 200 Mast-Munis. Viel Arbeit. Reto Leuthard, der einst Landmaschinenmechaniker lernte und später die Meisterprüfung als Landwirt erlangte, ist nun noch mehr eingebunden als zuvor.
Ist das der Grund für seinen Rücktritt vom Schwingsport? Leuthard wippt mit dem Kopf auf die Seite. «Jein», sagt er. Natürlich ist er nun auf dem Hof noch mehr gefordert. Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Die Trainings und Schwingfeste sind in letzter Zeit immer mehr zu einem «Müssen» geworden. «Es ist nun genug», meint er.
Leuthard erklärt: «Ich habe diesen Sport 20 Jahre lang gelebt und geliebt. Ich durfte viele schöne Dinge erleben.» Dreimal war er an einem Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest dabei. 2016 in Estavayer-le-Lac, 2019 in Zug, 2022 in Pratteln. Zweimal durfte er sechs Gänge schwingen. Er holte zwei Nordwestschweizer (NWS) Teilverbandskränze. Leuthard war mindestens ein Mal an allen Bergfesten der Schweiz. Den «schönsten Kranz», wie er findet, gewann er 2022 beim Kantonalschwingfest in Beinwil/Freiamt.
Ein Minimalist?
Leuthard sagt, er habe nie einen Kraftraum von innen gesehen. Und er war auch nie verletzt, war nie im Spital (ausser bei der Geburt). «Gesundheit ist das Wichtigste», sagt er. Wie schafft man es, eine ganze Karriere lang nicht verletzt zu sein? Leuthard lacht: «Vielleicht, weil ich nie das letzte Risiko eingegangen bin.» Leuthard hat ver- gleichsweise nur einen minimalen Aufwand für den Schwingsport betrieben. Die Kadertrainings des NWS-Verbandes «haben mich oftmals angegurkt». Für ihn war das Schwingen ein Hobby. Aber mit seinen Leistungen kratzte er trotzdem am Status des Spitzensportlers. Leuthard ist ein gewollter Minimalist, der allerdings trotz geringem Trainingsaufwand sehr viel Ertrag herausholte.
Leuthard gehört der goldenen Generation der Freiämter Schwingerwelt an. Mit Joel Strebel und den Brüdern Andreas und Lukas Döbeli hat er die Zeit als Jungschwinger durchgemacht, drei «Eidgenössische» erlebt, tausendmal gemeinsam trainiert. «Wir waren ein gutes Team. Schon immer.» Während die drei Eidgenossen einiges mehr an Aufwand betrieben, blieb Leuthard seinem Stil treu: «Schwingen ist ein Hobby.» Er wünscht den drei Freiämter «Bösen» noch eine lange und erfolgreiche Karriere. «Ich hoffe, dass sie gesund bleiben und ihre Ziele, die sie sich stecken, auch erreichen.»
«Im Publikum kenne ich jeden»
Was hat er nun für Ziele? «Am Sonntag im Guggibad will ich den letzten Gang gewinnen, nochmals ein gutes Schwingfest zeigen.» Dass er gerade an diesem Fest seinen Abschied feiert, hat natürlich seinen Grund. «Der Guggibad-Schwinget ist etwas ganz Besonderes», meint er. «Im Publikum kenne ich praktisch jeden. Und so ist es für mich wunderschön, hier zum letzten Mal an einem Fest zu schwingen.» Im Jahr 2019 stand er im Schlussgang im Guggibad und verlor gegen Eidgenosse Nick Alpiger nach wenigen Sekunden. Eine erneute Schlussgangteilnahme wäre natürlich ein perfekter Abschluss. Der optimale Gegner wäre Joel Strebel. Oder? «Nein. Ich will doch den letzten Gang meiner Karriere gewinnen.»
Nach seinem Rücktritt wird er weiterhin Schwingfeste besuchen, als Fan. Im Training des Schwingklubs Freiamt wird er ebenfalls noch dabei sein. Ganz ohne geht es eben doch nicht. Zudem will er mehr Zeit mit der Freundin verbringen. «Mit ihr wandern zu gehen, darauf freue ich mich. Wir haben eine wundervolle Schweiz und es gibt noch viele Ecken, die ich gerne sehen würde», sagt er. Mit seiner Freundin Nicole Koller ist er seit sechs Jahren zusammen. Sie leben gemeinsam in der Hagnau. Sie ist Ernährungsberaterin und hat am Wohnsitz ihr Beratungszimmer. Leuthard hat auf der Verbandsseite als Lieblingsgetränk «Coca Cola» und als Lieblingsessen «Cordon bleu» angegeben. Nicht gerade gesund. Gibt es da einen Rüffel von der Freundin? Leuthard muss laut lachen. «Ein bisschen. Man kann immer Dinge anpassen», meint er. Aber sein Cordon bleu lässt er sich nicht nehmen.
In seinem Zuhause zeigt Reto Leuthard die Andenken einer 10-jährigen Aktivkarriere. Über ein Dutzend massive Glocken sind aufgehängt. Zu jeder einzelnen weiss er eine Geschichte. Jene, die er 2015 am Kantonalschwingfest in Würenlingen gewann, steht für seinen ersten Kranz. Jene, die er 2022 am Kantonalschwingfest in Beinwil ge- wann, steht für seinen letzten Kranz. Leuthard wird etwas wehmütig. «Ich habe mit wenig Aufwand viel erreicht. Ich gehe mit einem Lachen.
Schöne Worte vom Schwingerboss
Und er kriegt auch Lob von ganz oben. Stefan Strebel, höchster Schwinger der Schweiz (aus Villmergen), kennt Leuthard schon lange und sagt: «Für den Aufwand, den er betrieben hat, legte er eine sehr gute Karriere hin.» Und wie auch seine Freiämter Teamkumpels sieht Stefan Strebel im grossen Brocken aus Merenschwand mehr als einen Schwinger. «Er war immer ein starker Teamplayer und wichtig für die Stimmung. Er ist loyal, ruhig, sehr sympathisch. Für den Schwingklub Freiamt ist er eine grosse Bereicherung. Reto Leuthard ist enorm wertvoll.» Eidgenosse Joel Strebel freut sich, dass Leuthard wenigstens noch in den Trainings der Freiämter dabei sein wird. «Dort wird er uns versuchen zu ärgern.» Und natürlich wird der Brocken aus der Hagnau, den alle mögen, weiterhin für beste Stimmung sorgen.