Mit Blaulicht durch das Freiamt
27.08.2024 Mutschellen, BerikonSommerserie «Hinter den Kulissen»: Rettungsdienst TCS-Intermedic in Berikon
Seit 1987 gibt es den Rettungsdienst Intermedic in Berikon. Seit Anfang Jahr gehört er zu TCS Ambulance. Diese Redaktion durfte ein Team während eines Morgens ...
Sommerserie «Hinter den Kulissen»: Rettungsdienst TCS-Intermedic in Berikon
Seit 1987 gibt es den Rettungsdienst Intermedic in Berikon. Seit Anfang Jahr gehört er zu TCS Ambulance. Diese Redaktion durfte ein Team während eines Morgens begleiten.
Roger Wetli
Der Rettungswagen fährt mit Blaulicht und Martinshorn vom Mutschellen über Unterlunkhofen, Rottenschwil über Aristau in Richtung Spital Muri. Ich sitze auf dem Beifahrersitz, fahren tut der Rettungssanitäter Sascha Pulver. Hinter mir kümmert sich die fast fertig ausgebildete Rettungssanitäterin Edith Bienz zusammen mit einer Praktikantin um die Patientin. Es ist ein spezielles Gefühl, in diesem Fahrzeug zu sitzen und zu beobachten, wie die anderen Verkehrsteilnehmer darauf reagieren. Viele verlangsamen ihre Fahrt, suchen eine Stelle, wo sie auf der Strassenseite anhalten können. Manche wirken etwas erschrocken und verwirrt. «Das klappt meist gut», erklärt mir Sascha Pulver. «Klagen gibt es eigentlich nur nachts von Leuten, die schlafen wollen. Allerdings beschwerte sich auch mal ein Vater, weil seine kleine Tochter wegen uns um 13.30 Uhr nicht schlafen konnte.» Er hat kein Verständnis für dieses Verhalten. «Einer unserer nächsten Einsätze könnte ja zu ihnen führen. Dann sind sie auch froh, wenn wir schnell helfen.» Er erklärt, dass per Gesetz Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet sein müssen, damit die Rettungswagen zum Beispiel schneller als signalisiert fahren dürfen.
Pulver steuert sein Fahrzeug konzentriert und zügig nach Muri. Schliesslich gilt es eine Patientin möglichst schnell in die Obhut des Spitals zu bringen. «Aktuell scheint ihr Zustand stabil. Man weiss aber nie, wie sich das weiter entwickelt», gibt er zu bedenken. Die Kurven von Oberwil-Lieli nach Unterlunkhofen fährt er mit Bedacht und viel Routine. Schnelles Bremsen vermeidet Sascha Pulver, um der Patientin nicht zu schaden. «Oberstes Credo ist, dass wir keinen Unfall machen. Denn damit wäre niemandem gedient. Anstelle einer Patientin hätten wir dann gleich vier weitere und zusätzlich ein Einsatzteam weniger.»
Geist und Körper auf «Einsatz»
Rückblende: 9 Uhr in der Zentrale der Intermedic in Berikon – die Ruhe einer ausgehenden Pause wird jäh durch einen Alarm beendet. Edith Bienz wollte eigentlich noch auf die Toilette. Daraus wird jetzt nichts. «Vorgabe ist, dass wir spätestens drei Minuten nach Alarm mit dem Rettungswagen unterwegs sind», hatte sie zuvor in einer ruhigen Minute erklärt. Zu viert fahren wir los in eine Mutscheller Gemeinde. Welche das genau ist, darf aufgrund des Patientenschutzes nicht geschrieben werden. Das Team hat erfahren, dass eine 86-jährige Frau in ihrem Haus gestürzt ist und Quetschungen und Blutungen erlitten hat. Für die Rettungssanitäter ist zudem wichtig zu wissen, dass die Frau unter Blutverdünner steht. Eine Blutwunde wird sich bei ihr deshalb nur langsam selbst verschliessen. Ist Edith Bienz nervös? «Eine gewisse Anspannung verspüre ich immer. Wir werden uns jetzt vor Ort ein Bild machen. Ich rechne mit einer 99-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass wir die Frau ins Spital fahren müssen. Mein Geist und mein Körper sind jetzt auf Einsatzbereitschaft geschaltet.»
Vor Ort treffen wir eine ältere Frau an, die immer noch im Gang ihres Hauses auf dem Boden liegt. Sie ist ansprechbar, erinnert sich noch an den vorherigen Tag und wie sie soeben gestürzt ist. Ein Teil ihres Kopfes sieht blutverschmiert aus. «Die Haut um den Kopf ist mit sehr vielen Adern durchsetzt. Darum wirkt dort eine Wunde schnell schlimm», erklärt mir Bienz später. «Die Gefahr besteht bei Kopfverletzungen immer, dass dort zu viel Blut verloren geht.»
Mit Trage transportieren
Sie und Sascha Pulver entscheiden sich, die Patientin mit einer Trage beim Haus abzuholen, eine erste Notpflege im Rettungswagen vorzunehmen und sie dann ins Spital zu fahren. Während Edith Bienz bei der Patientin bleibt, richtet Pulver zusammen mit der Praktikantin die Trage. Zuerst muss sie aber noch mit einem Tuch nach draussen getragen werden. Im Rettungswagen schliesst das Team verschiedene Gerätschaften an die Patientin. So erhält sie etwa Kochsalzlösung und der Blutdruck wird gemessen. Zusammen mit einer zufällig anwesenden Verwandten der Patientin bespricht das Team, ob ins Spital Muri oder Baden gefahren werden soll. Telefonisch wird nach einem Platz in Muri gefragt, und nach dem Ja eine Ankunft in 20 Minuten angekündigt. Dann fährt Sascha Pulver los.
Unterwegs hält Edith Bienz die Anzeigen der Messgeräte im Auge und beobachtet den Zustand der Patientin. Dazu führt sie laufend Gespräche mit ihr. «Das ist wichtig, um allenfalls Verschlechterungen festzustellen und um sofort darauf reagieren zu können», erklärt sie. Gegen Ende der Fahrt beginnt die Patientin zu stöhnen. Ihre Blase ist so voll, dass sie Schmerzen auslöst.
Im Notfall des Spitals Muri angekommen geht alles sehr schnell. Das Team bringt die Trage mit der Patientin ins Gebäude. Dort steht bereits ein Spitalteam bereit, das die Frau zusammen mit dem Rettungsteam in einen Raum begleitet. Der Journalist bleibt hier draussen. Später erklärt mir Edith Bienz, dass sie in der Notfallstation die Übergabe gemacht hätten. «Wir teilten unsere Beobachtungen mit und alle von uns eingeleiteten Schritte. Wichtig ist, dass diese Übergabe möglichst sauber vor sich geht, damit die richtigen Behandlungen eingeleitet werden können.»
Bereits nach wenigen Minuten erscheint das Rettungsteam mit der Trage wieder beim Rettungswagen. Hier wird sie grob geputzt und die vorher benötigten Medikamente durch neue ersetzt. Als das geschehen ist, ein kurzes Verschnaufen. Jetzt teilt Sascha Pulver der kantonalen Einsatzzentrale mit, dass sein Team wieder für Notfälle bereit ist: «Die Intermedic verfügt zwar über Gebiete mit klar definierten Einsatzgemeinden, das wird aber durchbrochen, weil die Einsatzleitstelle 144 immer das nächste freie Rettungsteam aufbietet», weiss Edith Bienz. «Am Vortag hatten wir zum Beispiel einen Patienten nach Aarau gebracht. Kurz nach Abfahrt zum Rückweg erhielten wir die Meldung über einen Notfall in Hunzenschwil und sind dorthin gefahren.» Nach drei Einsätzen an diesem Tag sei sie erst gegen 16 Uhr zum Mittagessen gekommen. Und das bei Schichten, die jeweils von 7 bis 19 Uhr und von 19 bis 7 Uhr dauern.
Ein Traumberuf
Für die Zofingerin Edith Bienz ist es ein Traumberuf, den sie hier ausführt. «Ich wollte das bereits als kleines Mädchen machen. Ich wurde dann früh Mutter. Und da es kein Beruf für Teilzeitengagements ist, begann ich jetzt 2019 mit der Ausbildung zur Rettungssanitäterin.» Diese schloss sie im August mit den letzten Prüfungen ab. Bienz schätzt an ihren Job die Abwechslung, das Ungewisse und dass sie Menschen in Not helfen kann. «Kein Tag ist gleich. Wenn etwas geschieht, müssen wir sofort los.» Nachts besteht die Möglichkeit, zwischen den Einsätzen zu schlafen. «Das klappt bei mir aber schlecht. Denn die Bereitschaft, jederzeit loszufahren, muss trotzdem immer da sein.» Wenn es mal keinen Notfall gibt, überträgt Edith Bienz die ausführlichen Einsatzprotokolle in ein Abrechnungssystem oder kümmert sich um eines der zahlreichen Ämtli der Intermedic in Berikon. «Dazu zählen etwa das Einschweissen von Notfallpaketen mit zum Beispiel Desinfektionsmitteln, Grundmedikamenten, aber auch das Putzen der Küche oder der Dienstkleider. Uns wird es nicht langweilig. Zumal wir nie wissen, wann der nächste Alarm uns aus der Ruhe reisst.» Sie betont, dass der entscheidende Schritt für die Rettungen bei Dienstantritt geschieht: «Wir prüfen aufgrund einer Checkliste, ob im Rettungswagen alles Material vorhanden ist, und reinigen ihn. Zwar wird das auch durch das vorherige Team gemacht. Es kann aber mal was vergessen gehen.» Edith Bienz mutmasst, dass sie in diesem Jahr wohl neben der Schule und Praktika rund 210 Notfälle gemeistert hat. «Pro Tag sind es oft einer bis zwei. Es können aber auch mehr sein. Nur in Ausnahmefällen geschieht nichts.»
Man müsse für diesen Job geerdet sein. «Ich erlebte bereits, wie Menschen gestorben sind. Und es gibt teilweise schlimme Bilder. Das Umkleiden nach dem Dienst und die Autofahrt nach Hause nach Zofingen helfen mir, zu verarbeiten und loszulassen.» Zudem würden bei Bedarf Einsätze im Team besprochen. Von den Patienten erhielten sie nur selten Rückmeldungen. «Beim heutigen Einsatz hatten wir aufgrund des Vorkommnisses Zeit. Trotzdem mussten wir vorwärtsmachen. Dadurch, dass die Patientin auf der ganzen Fahrt mit mir gesprochen hat, vermutete ich aber, dass der Sturz in ihrem Kopf nicht so viel Schaden angerichtet hat.»
Die Fahrt von Muri zurück zur Einsatzzentrale in Berikon verbringe ich wieder hinten im Rettungswagen. Laufend rechne ich mit einem weiteren Alarm, auf den das Team sofort reagieren muss. Ich verspüre eine gewisse Anspannung, die erst verfliegt, als ich mich vom Team verabschiede. Für dieses ist diese Ungewissheit Alltag, für mich doch ungewohnt.
Intermedic zu TCS Ambulance
1987 gründete Bruno Nägeli den Rettungsdienst Intermedic in Berikon. Heute beschäftigt der Betrieb inklusive freier Mitarbeiter rund 50 Personen. Neben dem Rettungsdienst werden auch Verlegungsund Flughafenfahrten übernommen sowie Grossanlässe betreut. Beim Rettungsdienst sind pro Schicht in der Regel zwei Teams à zwei Personen im Einsatz. Seit der Gründung bildet das Unternehmen Rettungssanitäter aus. Aktuell sind vier Personen im Studium. In diesem Februar verkaufte Bruno Nägeli die Intermedic an TCS Ambulance, den grössten privaten Akteur im Notfall- und Krankentransport. «Für das Team in Berikon hat sich dadurch bisher nichts verändert», betont er. TCS Ambulance ist in sieben Kantonen – Aargau, Bern, Luzern, Zug, Zürich, Waadt und Genf – tätig und operiert von 14 Stützpunkten aus mit über 30 000 Einsätzen im Jahr. --rwi



