Mit der Geige auf die grösste Bühne
16.05.2025 WohlenIn die Welt hinaus
Eurovision Song Contest: 1990 war Egon Egemann dabei – und tippt nun auf den Sieger in Basel
Die Schweiz ist im ESC-Fieber. Das Musikspektakel findet in Basel statt – und wird morgen Samstag den Gewinner küren. ...
In die Welt hinaus
Eurovision Song Contest: 1990 war Egon Egemann dabei – und tippt nun auf den Sieger in Basel
Die Schweiz ist im ESC-Fieber. Das Musikspektakel findet in Basel statt – und wird morgen Samstag den Gewinner küren. Der Wohler Egon Egemann erinnert sich an seinen Auftritt.
Stefan Sprenger
Sein Auftritt für die Schweiz war umstritten. Als Egon Egemann die Vorausscheidung gewinnt und klar ist, dass er die Schweiz am Eurovision Song Contest 1990 in Zagreb vertreten darf, gab es eine eher kritische Haltung ihm gegenüber. Eine Zeitung kritisierte seine langen Haare. «Egon Egemann hatte seine mehr als schulterlangen Haare für das Fernsehpublikum schwer sichtbar zu einem Rossschwanz zusammengebunden.» Aber der grösste Kritikpunkt war seine Nationalität. «Er ist gar nicht Schweizer, sondern Österreicher», schrieb eine Zeitung. Darauf angesprochen muss Egon Egemann (der bürgerlich Lackner heisst) lachen. «Ja, dass ich kein Schweizer war, hat schon polarisiert. Aber ich nahm es locker», sagt der heute 70-Jährige (der übrigens 1992 eingebürgert wurde).
«Halbe Milliarde sehen zu»
Am ESC 1990 legte er einen tollen Auftritt hin. «Musik klingt in die Welt hinaus», hiess sein Song. Am Ende wurde es der gute 11. Rang. Und ein Millionenpublikum schaute zu. «Eine halbe Milliarde sehen Egon Egemann beim Fiedeln zu», titelte eine Schweizer Zeitung. «Das hat mich ordentlich nervös gemacht», meint er. Den ESC in Basel verfolgt er am Samstag am TV. Seine Favoriten: «Der schwedische Sauna-Song, der Kontertenor aus Österreich – aber auch die eher klassischen Beiträge von Frankreich und der Schweiz gefallen mir sehr.» Egemann schwelgt in Erinnerungen an den ESC 1990 und erzählt, wieso sein Grossvater eine wichtige Rolle in seinem Leben spielte.
Eurovision Song Contest (ESC): Egon Egemann erinnert sich an einen der besten Momente seiner eindrücklichen Karriere
Mit Geige, Charme und viel Talent. 1990 vertritt der Wohler Egon Egemann die Schweiz am ESC in Zagreb. Und dies, obwohl er zuerst gar nicht begeistert davon war. «Ich habe mich überreden lassen», sagt er. Es wurde sein grösster Auftritt. Und in jenem Moment dachte er an seinen Grossvater.
Stefan Sprenger
1960. Ein kleines Dorf in der Nähe von Graz. Der 5-jährige Egon kriegt von seinem Opa eine Geige geschenkt. Das Instrument wurde sein Schicksal. «Dieser Moment hat mein ganzes Leben geprägt», sagt er heute. August Höller, sein Grossvater mütterlicherseits, war ein Kunstschmied, ein bodenständiger Mann, ein Hobby-Geiger. Und er fördert das Kind extrem. «Er hat mir alles gezeigt, was er wusste. Er hat mich von Anfang an begleitet.»
Als der Opa starb
Egon Lackner – wie er mit richtigem Namen heisst – kommt deshalb rasant vorwärts. An der Musikhochschule kommt er in die Klasse der Begabten. «Das Gymnasium habe ich quasi im Vorbeigehen gemeistert», sagt er. Und er verfolgt ein Ziel: «Ich wollte Geige spielen – und nichts anderes.» Er übt sieben Stunden jeden Tag.
Im Hause Lackner ist er musikalisch bestens aufgehoben. Die Mutter singt, der Vater tanzt, der Bruder spielt Saxofon, die Schwester Geige. Beide studieren Musik – und so auch Egon. Er studierte Klassik und Jazz in Graz und Wien. In jener Zeit erhielt er von deutschen Studienkollegen den Übernamen «Egemann». Und fortan nannte er sich Egon Egemann.
«Gesehen. Geredet. Getroffen. Verliebt.»
In seiner Zeit an der Universität in Wien geschieht auch etwas Tragisches, was ihn zutiefst erschütterte. «Ich kam aus Wien nach Hause. Mein Grossvater erlitt einen Herzinfarkt mit 72 Jahren. Er war sofort tot. Daran hatte ich zu beissen.» Opa August Höller, der bis zu jenem Zeitpunkt bei praktisch jedem Auftritt dabei war – und immer enorm stolz war auf seinen Enkel –, ist plötzlich weg. «Meine Gedanken waren oft bei ihm, besonders während dem Geigespielen.» Und das tat Egon Lackner weiterhin sehr oft. Er studierte eine Zeit lang am Berklee College of Music in Boston, USA. Das Leben spült ihn in die Schweiz. Und in das Lokal «Hacienda» in Auenstein zu einem Auftritt. Dort lernt er die Wohlerin Cornelia Schwegler kennen. «Gesehen. Geredet. Getroffen. Verliebt», sagt er kurz und glücklich. Sie heiraten 1981. Sie leben in Wohlen (bis heute). Tochter Ramona kommt 1986, Sohn Sascha 1988. Das Familienglück ist perfekt. Übrigens: Heute sind beide Kinder sehr musikalisch. Sascha ist Ton-Ingenieur und Profi-Gitarrist, Ramona unterrichtet an einer Musikschule.
Ende der 80er-Jahre hat er im Streba-Areal in Wohlen sein erstes Tonstudio. Egemann – der schon mit den «Paldauern» durchstartete – ist damals Mitglied der DRS Bigband als Geiger und Produzent. Als Musikredaktor beim Radio DRS wirkt er in der Vorjury beim Eurovision Song Contest mit.
Und irgendwann hat der bekannte Künstlermanager und Musikproduzent Urs Keller eine Idee. «Er meinte, ich solle doch beim ESC teilnehmen, weil es noch nie jemanden gab, der mit Geige auf die Bühne ging und dabei auch singt. Er sah darin viel Potenzial», erzählt Egon Egemann. Er selbst sei «wenig überzeugt» gewesen. «Doch ich liess mich überreden. Zum Glück», wie er meint.
Seine Frau hat den ESC-Song komponiert und getextet
Er nimmt an der Ausscheidung des «Concours Eurovision de la chanson» in Lugano teil. Die Experten- und Journalistenjury zeigte weniger Begeisterung. Doch das Publikum ist verliebt und wählt ihn aus. Er gewinnt die Ausscheidung und darf am ESC teilnehmen. Damals heisst es im «Wohler Anzeiger»: «Komponiert und getextet wurde das Lied ‹Musik klingt in die Welt hinaus› von Ehefrau Cornelia.» Eine waschechte Wohlerin trägt also ihren Teil zu diesem Erfolg bei.
Seine Herkunft polarisierte
In den Medien polarisiert Egon Egemann. Er wird als «Österreicher, der die Schweiz vertritt» dargestellt. «Ich hatte damals den C-Ausweis, war aber schon mehr als 10 Jahre wohnhaft in der Schweiz. Dennoch war es ein Problem, irgendwie. Ich habe es locker gesehen.» 1992 wird er übrigens eingebürgert.
Und dann kam er, der grosse Moment. 5. Mai 1990. «Eine halbe Milliarde Menschen schauen zu», schreibt eine Zeitung im Vorfeld. Ganz so viele waren es nicht (nur rund 150 Millionen). Egon Egemann betritt im weissen Anzug die Bühne – und war sehr nervös. «Als ich auf die Bühne ging, dachte ich: Jetzt schauen Millionen Menschen live zu, das darfst du nicht vermasseln», erzählt er lachend. «Meine Strategie war, dass ich nur für die Menschen in der Halle spiele und nicht an die vielen Leute vor dem TV denke.»
Österreich gibt null Punkte
Es klappt. Er vermasselt es nicht. «Ich habe immer davon geträumt, auf so einer riesigen Bühne zu stehen», erinnert er sich. Mit einem grossen Orchester (60 Menschen) – und live, was heute nahezu undenkbar wäre – trägt er seinen Song «Musik klingt in die Welt hinaus» vor. Er wird von Dänemark und Griechenland als Nummer eins eingestuft – zwölf Punkte. Portugal gibt acht Punkte, die Türkei sechs, Jugoslawien fünf Zähler. Vom Heimatland Österreich gibt es nur liebe Grüsse – und null Punkte. Am Ende holt Egon Egemann 51 Punkte, der 11. Rang von 22 Teilnehmern.
Was hat der Auftritt gebracht? «Es war ein einmaliges Erlebnis und unglaublich interessant.» Und es schaffte viel Aufmerksamkeit. Der Star-Geiger profitierte davon – und ging seinen musikalischen Weg weiter. Er stand auf vielen grossen Festivalbühnen, auch international. Aber so gross wie jene am ESC 1990 war sie nie mehr.
648 Titel
In seiner Karriere produzierte er 18 Alben (als Egon Egemann) – und unzählige weitere, bei denen er involviert war. Er spielte in mehreren erfolgreichen Formationen, auch gemeinsam mit seinen Kindern («Two Generations» oder «Mad Manoush»). Er schrieb und komponierte total 648 Titel, die bei der Urheberrechtsgesellschaft Suisa erfasst sind. Im Jahr 2020 erhielt er den Wohler Kulturpreis. Sein grösster Erfolg: «Meine Familie. Und dass ich immer von der Musik leben konnte.» Sein Opa August Höller wäre ganz bestimmt stolz. Welches ist sein bester Song? «Immer der letzte, den ich gemacht habe.» Apropos: Am 22. Mai kommt sein neues Album raus (mit EANN Project Egon Egemann), 15 Songs, die Geige im Mittelpunkt.
Ein Song auf dem Album heisst «Crazy Animal Klub». Ein schönes Werk mit lustigem Video, in dem Tiere tanzen. Er widmet den Song seinen Enkelkindern Paulina, John und James. Weil der Opa enorm stolz ist auf seine Enkel.
Seine Worte zum ESC in Basel
«Queerness ist am ESC omnipräsent», sagt Egon Egemann. Und verweist auf den Schweizer Sänger Nemo, der 2024 den Eurovision Song Contest (ESC) gewann – und so den Anlass in die Schweiz holte. «Nemo strotzt vor Musiktalent, sein Sieg hat mich nicht überrascht», sagt er weiter. Nach 1956 in Lugano und 1989 in Lausanne ist es die dritte Austragung hierzulande. Über 150 Millionen Menschen sehen am TV zu, wenn morgen Samstagabend in der Basler St. Jakobshalle der Final des 69. ESC über die Bühne geht.
Schweizer Beitrag «gefällt mir»
Für die Schweiz tritt die Sängerin Zoë Më mit dem Song «Voyage» an. Egemann sagt: «Ein schöner Titel, der mir gefällt.» Chancen auf den Sieg rechnet er der Schweiz aber nicht aus. Der Wohler Musikexperte und Profi-Geiger wirkte einst in der Vorjury für den Schweizer ESC-Beitrag mit (als Musikredaktor bei Radio DRS) und verfolgt den Anlass in jedem Jahr, «aus professionellem Interesse», wie er sagt.
Um zu gewinnen, benötige es viele Faktoren. «Sympathie, Klamauk, Song-Idee, Gesang. Es geht beim Eurovision Song Contest nicht nur um die Musik, sondern ein politischer Hintergrund bestimmt ebenfalls mit. Dies hält diesen Anlass am Leben.»
Er sieht Schweden ganz vorne
Seine Favoriten auf den Sieg: «Der schwedische Sauna-Song. Der Tenor aus Österreich. Oder der Beitrag von Frankreich.» Er selbst wird den Final zu Hause auf dem Sofa am TV mitverfolgen – und er wird sich denken: «Toll, dass ich da auch mal dabei war.»
Übrigens: Fünf Länder sind automatisch für den Final qualifiziert. Das Gastgeberland – also die Schweiz – und diejenigen Länder, die am meisten in die veranstaltende europäische Rundfunkunion (EBU) einzahlen. Das sind Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich.
Am Samstag (21 Uhr) startet der Final am Eurovision Song Contest in der Basler St. Jakobshalle. --spr