Musik gewordene Lebensfreude
23.09.2025 Musik, MuriDie Schöpfung gefeiert
Bettagskonzert in der Klosterkirche Muri
Glückseligkeit pur. Anders lässt sich das Duett von Carmela Konrad, Aargauer Sopranistin, und Jonathan Sells, Bariton aus London, kaum beschreiben. Als Adam und Eva feiern sie ...
Die Schöpfung gefeiert
Bettagskonzert in der Klosterkirche Muri
Glückseligkeit pur. Anders lässt sich das Duett von Carmela Konrad, Aargauer Sopranistin, und Jonathan Sells, Bariton aus London, kaum beschreiben. Als Adam und Eva feiern sie zum Abschluss der von Joseph Haydn vertonten Schöpfungsgeschichte ihre Verbundenheit – und ihr Paradies: «Wie labend ist der runden Früchte Saft!», frohlockt er. Und sie, nicht minder euphorisch: «Wie reizend ist der Blumen süsser Duft!» Die Begeisterung springt in der gut gefüllten Klosterkirche Muri auch aufs Publikum über. Es feiert das Bettagskonzert des Singkonvents Freiamt mit lang anhaltendem Applaus und Jubelrufen – und wird mit einer Zugabe belohnt. --tst
Das Bettagskonzert «Die Schöpfung» von Joseph Haydn wurde mit stehender Ovation und Jubelrufen gefeiert
Der Singkonvent Freiamt und seine Gäste haben dem Publikum in der Klosterkirche Muri ein eindrückliches Konzerterlebnis beschert. Mit einem Werk, das die Natur, die Liebe und die Schaffenskraft würdigt.
Thomas Stöckli
Er ist eine Ode an das Leben, die Liebe und die Freude, der dritte und finale Teil der «Schöpfung» von Haydn. Sinnbildlich dafür steht das Duett von Adam und Eva, in der Klosterkirche verkörpert durch die Stimmen von Jonathan Sells (Bass) und Carmela Konrad (Sopran). «Der tauende Morgen, o wie ermuntert er!», singt er. «Die Kühle des Abends, o wie erquicket sie», fügt sie an. In einem gefühlstrunkenen Hin und Her steuern beide auf den gemeinsamen Part hin: «Mit dir erhöht sich jede Freude, mit dir geniess’ ich doppelt sie; mit dir ist Seligkeit das Leben; dir sei es ganz geweiht.»
In diesem Moment des kompletten Hochgefühls geht die Mahnung von Tenor Zacharie Fogal als «Uriel» beinahe unter, die Fortdauer des Glücks nicht aufs Spiel zu setzen: «... wenn falscher Wahn euch nicht verführt, noch mehr zu wünschen, als ihr habt, und mehr zu wissen, als ihr sollt.» Doch das ist nicht mehr Teil der «Schöpfung». Die endet bei Haydn mit dem Schlusschor, dem Lobgesang. Und der wird vom Publikum frenetisch bejubelt. So intensiv und lang anhaltend, bis Dirigent Walter Siegel und die Solisten wieder ins Oktogon zurückkommen. Als Zugabe gibt es den gefeierten Schlusschor gleich nochmals zu hören.
Kontrastreiche Partien
Mit seinem jährlichen Bettagskonzert hat der Singkonvent Freiamt, unterstützt durch das Barockorchester «L’arpa festante» aus München und die drei erwähnten Solostimmen, sein Publikum einmal mehr begeistert. «Die Schöpfung» ist ein abwechslungsreiches Oratorium, das alle Beteiligten zur Geltung bringt, mit seiner Abfolge von rezitativen Elementen und Arien der Gesangssolisten, mit stimmgewaltigen Chorpassagen und orchestralen Überleitungen.
Schon die Einleitung gehört den Instrumentalisten. Sie lassen die Weite, Leere und Rohheit des herrschenden Chaos vor dem inneren Auge Gestalt annehmen. Der Chor hat seinen ersten Auftritt als Geist Gottes. Mit der Wucht eines musikalischen Sonnenaufgangs aus finsterer Nacht lässt der Licht werden. Das Oktogon ist erfüllt vom hellen Klang. Zum Ende des ersten Teils, der mit dem vierten Schöpfungstag abschliesst, sind dann die drei Solostimmen erstmals vereint zu hören.
Christlich – und aufklärerisch
Die beiden krönenden Schöpfungstage, jene von Tieren und Menschen, hat Haydn in den zweiten Teil gepackt. «Den Morgen grüsst der Lerche frohes Lied, und Liebe girrt das zarte Taubenpaar», trillert Carmela Konrad in heller Klarheit. Später verleiht das Orchester den Tieren nuancenreich ihre Aura: Die Blechbläser als brüllende Löwen, die Streicher als gelenkige Tiger, die Flöten als weidende Rinder – und für das in langen Zügen am Boden kriechende Gewürm lenkt Jonathan Sells seine Stimme in tiefste Lagen. Zacharie Fogal ist es dann, der als Uriel die «Krönung der Schöpfung» beschreiben darf: «... aus dem hellen Blicke strahlt der Geist, des Schöpfers Hauch und Ebenbild.» Spätestens hier zeigt sich, dass das Werk wohl ein christliches ist, aber kein kirchliches: Das Menschenpaar wird nicht als demütig dargestellt, sondern als erhaben und stark – «getragen vom Optimismus des aufklärerischen Denkens», heisst es dazu im Programmflyer. Und Fogal beeindruckt mit dem Stimmumfang seines Klangorgans.
Stimmiges Ensemble
Der Singkonvent hat seinem Publikum einen beeindruckenden Abend geboten. Mit einem Werk, welches die Vielfalt der Natur feiert und hoffnungsvoll stimmt. Mit einem homogenen Ensemble, das Walter Siegel aus dem Chor, dem Orchester und den Gesangssolisten geformt hat. Und mit einem Konzert, welches das Publikum in der Klosterkirche Muri zu berühren vermochte. Die Messlatte liegt hoch für die kommenden Jahre. Am Bettagskonzert 2026 soll ein Werk von Mendelssohn zu hören sein. Welches, das ist noch nicht bestimmt. Fürs Jahr des Klosterjubiläums plant der Singkreis mit der «Messe von Muri» von Johann Valentin Rathgeber (1682–1750). Der Komponist hat diese Gerold Haimb gewidmet, der von 1723 bis 1751 Fürstabt des Klosters Muri war.