Mutige Kämpferin

  15.09.2020 Jonen

«Prix Courage» für Susi Schildknecht?

Susi Schildknecht ist eine von acht Personen, die für den «Prix Courage» des «Beobachters» nominiert wurden.

Die Zeitschrift lobt die 58-jährige Jonerin für ihren Mut, trotz entstelltem Gesicht ein normales Leben in der Bevölkerung zu führen. Sie hatte sich jahrelang zu Hause versteckt, weil sie sich für ihr Aussehen schämte. Schildknecht erfuhr verschiedene Arten von Diskriminierung wie demütigende Blicke oder Beschimpfungen. «Irgendwann habe ich gelernt, dass ich nicht diejenige sein muss, die sich schämen muss», erklärt sie. «Das hat sehr viel Mut gebraucht.»

Die rechte Seite ihres Gesichtes deckt Susi Schildknecht ab, da sie durch Krebs und unsachgemässe Operation das rechte Auge, die Nase, die Stirn und einen Teil der rechten Wange verloren hat. Die Ganze trägt sie jetzt so lange, bis die Wiederherstellung abgeschlossen ist. Die Nominierung des «Beobachters» ist für Schildknecht eine grosse Ehrung. Sie hofft, anderen Menschen mit Handicaps Mut zu machen, sich ebenfalls selbstbewusst der Öffentlichkeit zu zeigen. --rwi


«Gar nicht so mutig»

Susi Schildknecht ist für den «Prix Courage» nominiert

Jährlich vergibt die Zeitschrift «Beobachter» ihren «Prix Courage» einer Person, die sich besonders mutig verhalten hat. Unter den acht Nominierten befindet sich heuer die Jonerin Susi Schildknecht, die sich trotz entstelltem Gesicht der Bevölkerung zeigt.

Roger Wetli

Das entstellte Gesicht von Susi Schildknecht ist, bis die Wiederherstellung abgeschlossen ist, halbseitig abgedeckt. Verursacht wurde das durch verschiedene Massnahmen gegen Krebs, aber vor allem auch, weil frühere Ärzte unsachgemäss operierten. Trotzdem versteckt sich Susi Schildknecht nicht. Über eine eigene Website erzählt sie, wieso sie entstellt wurde. Sie kämpft damit gegen Vorurteile der Gesellschaft gegenüber Andersartigen. Dafür wurde sie jetzt durch den «Beobachter» für den «Prix Courage» nominiert.

Doofe Bemerkungen kontern

Die Nomination des «Beobachters» bedeutet Susi Schildknecht sehr viel. «Das hat mich sehr berührt und gefreut», erklärt sie. «Berührt, weil ich mich selber gar nicht so mutig finde. Gefreut, weil mir dies die Möglichkeit gibt, der Gesellschaft beizubringen und zu zeigen, dass auch ein entstellter Mensch ein lebenswertes Leben führen kann und gerne lebt und sonst ausser dem Gesicht ganz normal ist.» Doch ihr Hauptziel sei es, Betroffenen Mut zu machen, sich nicht zu verstecken und sich keine despektierlichen Bemerkungen gefallen zu lassen. «Ich habe Betroffenen schon einige Tipps gegeben, wie man auf doofe Bemerkungen kontern kann.»

Die Probleme der ehemaligen Stadtzürcher Politikerin begannen vor elf Jahren während des Wahlkampfs um ein Amt als Gemeinderätin. Sie hatte Schweissausbrüche und extreme chronische Schmerzen. «Nach 21 Ärzten, die alle sagten, mir fehle nichts, mich nie richtig untersuchten und meine Beschwerden nie ernst nahmen, stellte ich mir per Google-Recherche eine Selbstdiagnose, die später als richtig bestätigt wurde.» Was folgte, war ein Spiessrutenlauf mit vielen Operationen, neuen Hoffnungen und erneuten Enttäuschungen. Ab 2016 war das Gesicht von Susi Schildknecht total entstellt. «In Ihrem Alter ist das Aussehen ja nicht mehr so wichtig», hatte ihr ein Professor gesagt.

Aufgeben oder dem Schicksal in die Augen schauen

Frühere Ärzte sagten Schildknecht, der Krebs sei nun weg. «Ich spürte aber, dass da irgendwas noch war, deswegen ging ich 2017 ins Unispital Basel. Dort gelangte ich endlich zu einem Arzt, der mich richtig untersuchte und auch ein MRI veranlasste.» Man stellte fest, dass der Krebs überall in ihrem Kopf war, mit Ausnahme des Gehirns. Sie hatte die Wahl: Noch drei bis vier Monate zu leben oder eine riskante 19-stündige Operation über sich ergehen zu lassen. Sie entschied sich für das Leben.

«Als ich dann aus der Narkose nach der radikalen Operation erwachte, ohne Nase, ohne Stirn, ohne rechte Wange, ohne Augenhöhle und ohne rechtes Auge, wusste ich, dass ich jetzt drei neue Möglichkeiten hatte», blickt Susi Schildknecht zurück. «Entweder ich gehe zu Exit und gebe auf oder ich vegetiere zu Hause versteckt langsam vor mich hin oder ich stelle mich der Situation.» Sie tat Letzteres nach dem Motto von Bob Marley: «Du weisst nie, wie stark du bist, bis Starksein die einzige Wahl ist, die du hast.»

Gutes Umfeld hilft ihr

«Wenn ich unterwegs bin, gibt es schon mühsame Leute, die doof aufdringlich gaffen. Am Anfang bin ich dann jeweils weinend nach Hause gegangen», erklärt sie. «Heute gaffe ich genauso doof zurück. Doch sonst sind die Reaktionen der Menschen gut. Klar, viele Kollegen und Kolleginnen melden sich nicht mehr. Doch dies geschieht leider vielen kranken Menschen.» Sie habe aber ihren Mann, der immer zu ihr stehe. «Unsere Beziehung wurde sogar noch liebevoller und stärker. Und ich habe drei sehr liebe Kolleginnen, die mit mir durch dick und dünn gehen.»

Durch ihre Nominierung hofft Susi Schildknecht, bei den Ärzten etwas zu bewirken, die sie nicht ernst genommen oder gar falsch behandelt hatten. «Es wäre schön, wenn diese Beschwerden von Patienten ernst nehmen oder aber, wenn sie als Arzt überfordert sind und nicht mehr weiterwissen, dies zugeben und nicht einfach planlos weiterbasteln auf Kosten des Patienten.» Es dürfe nicht sein, dass ein Arzt sich als erfahrenen Gesichts-Chirurgen ausgibt, obwohl er eigentlich nur einfache Schönheitsoperationen macht. «Man sagt immer, Politiker würden nicht die Wahrheit erzählen. Doch glauben Sie mir, Ärzte lügen noch viel mehr.»

Die Website von Susi Schildknecht ist www.krebsgesicht.ch. Über www. beobachter.ch/prixcourage kann abgestimmt werden, wer der acht Nominierten die Auszeichnung erhält. Dabei zählen die Stimmen der Leser und diejenigen einer Jury je zur Hälfte.


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