«Nicht immer ist alles klar»
07.11.2025 Mutschellen, Widen, GerichtGerichtspräsident Peter Thurnherr referierte am Seniorennachmittag über seine Tätigkeit
Unglaublich spannend und vielfältig sei seine Arbeit am Bezirksgericht Bremgarten, sagte Gerichtspräsident Peter Thurnherr. Spannend waren auch die Zahlen und ...
Gerichtspräsident Peter Thurnherr referierte am Seniorennachmittag über seine Tätigkeit
Unglaublich spannend und vielfältig sei seine Arbeit am Bezirksgericht Bremgarten, sagte Gerichtspräsident Peter Thurnherr. Spannend waren auch die Zahlen und Fakten, die er präsentierte, sowie sein Blick in die Zukunft.
Erika Obrist
Beim Begriff Gericht denken viele Menschen an «böse» Buben und Mädchen, die sich für ihre Missetaten verantworten müssen. Doch von den rund 4300 Verfahren, welche das Bezirksgericht Bremgarten im Jahr 2024 erledigt hat, entfielen lediglich etwas mehr als hundert auf Straffälle. Mehr als tausend Fälle betrafen den Kindesund Erwachsenenschutz, dazu kommen Scheidungen, Forderungen, Betreibungen und Konkurse sowie miet- und arbeitsrechtliche Streitigkeiten.
Allein schon diese Zahlen brachten die rund 120 Teilnehmenden am Seniorennachmittag der Gemeinden Berikon, Oberwil-Lieli, Rudolfstetten-Friedlisberg und Widen im Saal des Kibizi in Widen zum Staunen und zum aufmerksamen Zuhören. Und dass am Bezirksgericht Bremgarten inzwischen fast drei Dutzend Personen tätig sind, erstaunte ebenfalls. Neben den vier Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten arbeiten dort zehn Gerichtsschreiberinnen und -schreiber, vier Praktikanten, ein Dutzend Sachbearbeiterinnen sowie sechs Bezirksrichterinnen und -richter. «Der Personalbestand hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen», so Thurnherr.
Das liege zum einen an der Tatsache, dass dem Gericht, unter anderem mit dem Kindes- und Erwachsenenschutz, neue Aufgabengebiete zugeteilt wurden, zum anderen an den aufwendiger gewordenen schriftlichen Begründungen eines Urteils. «Genügte früher eine Seite, können es heute bis zu fünfzig sein.»
«Nahe an der Bevölkerung»
Thurnherr, der in Wohlen aufgewachsen ist und in Sarmenstorf wohnt, begann seine berufliche Tätigkeit nach dem Studium als Gerichtsschreiber in Bremgarten. Im Jahr 2000 wurde er Gerichtspräsident. «Für den Beruf Richter gibt es keine Ausbildung in der Schweiz – im Gegensatz zu anderen Ländern», zeigte er auf. Zudem sei man als Richter Chef von mehreren Mitarbeitern. «Auch das lernt man nicht an der Universität.»
Die Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten sowie die Bezirksrichterinnen und -richter werden im Aargau von der Bevölkerung des jeweiligen Bezirks gewählt. Bezirksrichterin oder Bezirksrichter kann jedermann werden; es braucht dazu keine juristische Ausbildung. «Somit sind wir ganz nahe an der Bevölkerung.» Und die Laienrichterinnen und Laienrichter hätten bei der Urteilsberatung dasselbe Stimmrecht wie der Gerichtspräsident beziehungsweise die Gerichtspräsidentin. «Das funktioniert noch immer sehr gut – und es ist günstiger als ein Gremium aus lauter Profis.» Aufgabe des Gerichts sei es, die Wahrheit zu suchen. Also Aussagen zu vergleichen und zu würdigen, technische Beweise einzubeziehen und danach ein Strafmass zu definieren. «Letzteres ist das Schwierigste.» Wichtig sei, die Tat zu verurteilen, und nicht den Menschen, der diese Tat begangen hat. Das scheint den Richterinnen und Richtern in Bremgarten zu gelingen, denn er selber habe noch selten bis gar nie negative Rückmeldungen von Leuten erhalten, über deren Taten er habe urteilen müssen.
Digitalisierung wird kommen
Seine Tätigkeit sei unglaublich spannend und abwechslungsreich, so Thurnherr, da sie verschiedene Fachgebiete umfasst. Deshalb habe er auch nicht ans Obergericht wechseln wollen. Er könne zum Glück gut vergessen, sodass die zum Teil schweren Schicksale nicht allzu sehr belasten. Doch er habe zuweilen auch Zweifel, ob seine Entscheidungen richtig seien. «Nicht immer ist alles klar.»
Um die Effizienz zu steigern, stehe in den nächsten vier bis fünf Jahren eine Digitalisierung an. Vorgesehen sei, Akten sowie Eingaben und Entscheide auf einer Plattform den Beteiligten zugänglich zu machen. Auch die Archivierung soll digitalisiert werden. «Heute füllen wir ganze Keller mit unseren Akten.»
Auch die künstliche Intelligenz sei im Kommen. Mit ihr könnten Protokolle verfasst und Übersetzungen vorgenommen werden. Die KI könnte auch Formalien prüfen. Fraglich sei, ob sie bereits jetzt «zwischen den Zeilen lesen» und Lügen erkennen könne. Aber eine Beweiswürdigung könne die künstliche Intelligenz wohl schon vornehmen. Letztlich stelle sich die Frage, wem die Menschen mehr vertrauen: dem Richter oder der künstlichen Intelligenz.
Die anschliessende Fragerunde dauerte dann beinahe so lange wie das Referat selber. Laut Hans Albisser, der Peter Thurnherr als Referent für den Seniorennachmittag hatte gewinnen können, bringe das die Wertschätzung gegenüber dem Referenten zum Ausdruck. Die Teilnehmenden bekräftigen die Wertschätzung mit einem lang anhaltenden Applaus.
Bei Kaffee und Kuchen sowie angeregten Gesprächen klang der Seniorennachmittag aus. Organisiert worden war er von der Arbeitsgruppe für Altersfragen Mutschellen.

