Oberfreiamt

  22.06.2021 Kolumne

Annemarie Keusch, Redaktorin.

Ursprünglich war es nicht ein Gebiet. Ein Personenverband von freien Bauern, die einem Gericht unterstellt waren, wurde im Mittelalter als Freiamt bezeichnet. Ab dem dritten Jahrhundert gibt es im Schwarzwald ein solches, ab dem sechsten Jahrhundert im Schweizer Mittelland. Zwischen dem Lindenberg und dem Heitersberg sowie von der Endmoräne bei Othmarsingen bis zur Reuss bei Dietwil. Dieses Gebiet wurde ursprünglich als Freiamt bezeichnet. Und sogar die Gegend rund um Affoltern am Albis gehörte dazu. Heute umfasst das Freiamt die Bezirke Muri und Bremgarten, ohne Gemeinden, die zum Bezirk Lenzburg gehören. Und ganz sicher ohne Orte, die im Kanton Zürich liegen.

So weit, so gut. Ein wenig komplizierter wirds bei der Trennung zwischen Ober- und Unterfreiamt. Bezirk Muri = Oberfreiamt, Bezirk Bremgarten = Unterfreiamt. So einfach könnte es sein. Ist es aber nicht. Vom Kirchturm in Fahrwangen zum Kirchturm in Oberlunkhofen eine gerade Linie gezogen, das ist die historische Grenze. Waltenschwil gehört also nicht zum Oberfreiamt, auch wenn es in dieser Zeitung zum Ressort Oberfreiamt gehört. Historisch falsch, eigentlich. Eingebürgert hat sich das aber über all die Jahre – und das nicht wegen der Ressortzuteilung in der Regionalzeitung. Da muss schon ein Leser, der im Freiamt aufgewachsen ist und seit Jahrzehnten nicht mehr hier lebt, auf diesen «Fehler» hinweisen. Aber es gibt auch andere, weit kompliziertere Fälle als Waltenschwil.

Ein ganz schwieriger ist zum Beispiel Boswil, das Dorf, in dem ich aufgewachsen und mit dem ich stark verbunden bin. Hier verläuft die Grenze mitten durchs Dorf, mitten durch den «Sternen». Gefühlt ganz klar dem Oberfreiamt angehörend, stimmt es bei einem Teil der Boswilerinnen und Boswiler nicht. Wenn auch nur knapp, mein Elternhaus liegt im Oberfreiamt. Glück gehabt. Auch wenn es nicht wehtäte, gebürtige Unterfreiämterin zu sein. Aber sicher ist sicher. Eine Rolle bei der Suche nach einer Wohnung, nachdem ich nach vier Jahren Exil in Wohlen wieder zurück in «mein» Boswil gezogen bin, spielte dieser Faktor aber nicht. Trotzdem: Ich wohne jetzt tiefer im Oberfreiamt, ganze 200 Meter. Die Luft ist hier nicht besser, aber die Berge sind näher. Ein Hoch auf das Oberfreiamt.


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