Rückendeckung von Regionalgrössen

  11.07.2025 Fussball, Sport

Jagd nach Akzeptanz

Fussballexperten zur Frauen-EM

Ob Schweizer Meister, Champions-League-Sieger, Nationalspieler – dem Freiamt mangelt es nicht an Fussballern, die in ihrer Karriere viel erreicht haben und eine grosse Expertise mitbringen. Die meisten von ihnen sind allerdings männlich. Momentan läuft in der Schweiz die EM im Frauenfussball. Einerseits kämpfen die Frauen immer noch um Akzeptanz in dieser Sportart. Andererseits sorgen die Spiele für viel Begeisterung. Wie stehen die männlichen regionalen Fussballgrössen zum Turnier? --jl


EM der Frauen in der Schweiz: Was sagen (männliche) Freiämter Fussballexperten über den Frauenfussball?

Der Frauenfussball strebt nach mehr Akzeptanz. Die EM in der Schweiz überzeugt mit vollen Stadien und bester Stimmung. Der Sport scheint auf dem richtigen Weg zu sein. Doch wie sehen erfahrene Freiämter Fussballgrössen das Turnier und die Entwicklung des Sports? Diese Zeitung hat nachgefragt.

Stefan Sprenger, Josip Lasic

Die Frauenfussball-EM in der Schweiz ist in vollem Gange. Das Turnier sorgt für Euphorie. Das belegen die Zahlen. Sechs der ersten 16 Spiele waren ausverkauft. 34 165 Zuschauer sahen das Spiel Deutschland gegen Dänemark. Ein Rekord für ein Frauen-EM-Gruppenspiel ohne Gastgeberbeteiligung. Bereits fünf Tage vor dem Turnierstart waren 600 000 Karten verkauft – mehr als je zuvor. Und obwohl die Vorrunde noch läuft, wurde schon die höchste Gesamtbesucherzahl einer Gruppenphase bei einer Frauen-EM erreicht. Das Interesse am Frauenfussball wächst. Der Kampf um die Anerkennung bleibt.

Im Freiamt sind zahlreiche Fussballexperten zu Hause, die Erfahrung auf allerhöchstem Niveau mitbringen. Was sagen die männlichen Fussballgrössen wie Ciriaco Sforza, Alban Pnishi, Sergio Colacino, Goran Karanovic und Alain Schultz zur Frauenfussball-EM? Der Wohler Sforza war zu seiner Aktivzeit EM- und WM-Teilnehmer. Er war UEFA-Cup- und Champions-League-Sieger, deutscher Meister mit dem 1. FC Kaiserslautern und ist die Freiämter Fussball-Koryphäe schlechthin. Er ist gegenüber dem Frauenfussball sehr positiv eingestellt. «Er ist heutzutage sehr beliebt und interessant zum Zuschauen. Ich werde mir sicher auch Spiele der EM ansehen.»

Der Bremgarter Pnishi war ebenfalls Profi und sogar Nationalspieler des Kosovo. Der heutige Captain des FC Wohlen konnte bisher nicht mehr als das Eröffnungsspiel der Schweizer Nati sehen, da er in den Ferien war. «Aber die Resultate habe ich durchaus verfolgt. Frauenfussball hat in den letzten Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht und verdient definitiv viel mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung. Bei Teams wie Spanien ist ausserdem sehr viel Qualität zu sehen.» Die Schweizerinnen sind seiner Sicht nach noch nicht auf dem Level der Topnationen angekommen. Er hofft aber, dass das Turnier dem noch zusätzlichen Schub verleiht. «Für die Spielerinnen ist es nur schon eine riesige Ehre, ihr Land bei einer Heim-EM vertreten zu dürfen. Es wäre schön, wenn nach dem Turnier zukünftig auch in der heimischen Liga mehr Zuschauer den Weg ins Stadion finden.»

Sergio Colacino: «Wird zu stark mit Männerfussball verglichen»

Sergio Colacino war zuletzt Interimstrainer beim FC Muri. Jetzt legt der Sekundarschullehrer aus Wohlen eine fussballerische Pause ein, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Diese betrifft aber lediglich seine Trainertätigkeit. Der Ex-Profi, der 2000 mit dem FC St. Gallen Schweizer Meister geworden ist, verfolgt Fussball nach wie vor. Da auch er in den Ferien weilt, konnte er sich von der Frauen-EM bisher primär die Zusammenfassungen ansehen. «Aber schon da konnte man die tolle Stimmung in den Stadien beobachten.» Durch seine Tätigkeit als Lehrer erhält Colacino einen Einblick, wie Frauenfussball bei der jüngeren Generation ankommt. «Ich merke bei den Schülerinnen, dass die Popularität steigt. Das finde ich auch gut so. Was mir weniger gefällt: Momentan wird Frauenfussball noch zu stark mit Männerfussball verglichen. Ich glaube aber, dass das wie bei anderen Sportarten bald mal kein Thema mehr sein wird.» Colacino ist der Ansicht, dass es noch starke Niveauunterschiede zwischen den einzelnen Nationen gibt. Das technische Niveau im Allgemeinen gefällt ihm aber sehr gut. «Ich bin überzeugt, dass die Heim-EM eine zusätzliche Euphorie auslösen könnte und das für die Entwicklung des Sports weiter förderlich sein kann. Wichtig wäre allerdings, dass der Verband dafür sorgt, dass dieser Event auch einen nachhaltigen Effekt hat.»

Goran Karanovic: «Niveau hat sich deutlich verbessert»

Der Dottiker Ex-Profi Goran Karanovic, ebenfalls vom Frauenfussball-Fieber infiziert, versucht, möglichst viele Spiele der Heim-EM zu sehen. «Der Frauenfussball hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und an Reichweite gewonnen. Das Niveau ist gut und hat sich in den letzten Jahren durch die Investitionen in die Infrastruktur und Professionalisierung des Frauenfussballs deutlich verbessert. Die Heim-EM wird viele junge Mädchen dazu animieren, Fussball zu spielen, was wiederum den Konkurrenzkampf und das Niveau steigern wird. Ich freue mich sehr über diese Entwicklung.»

Der ehemalige FC-Wohlen-Captain Schultz gibt zu, dass er vor diesem Turnier noch nicht so viel Frauenfussball verfolgt hat. «Aber der Sport hat genauso seine Berechtigung wie jede andere Sportart auch. Egal, ob bei Männern oder Frauen», sagt er und fügt augenzwinkernd an: «Sport ist ja gesund, egal welcher. Aber ernsthaft. Ich habe beim Spiel der Schweizerinnen gegen Island zum ersten Mal eine ganze Partie über 90 Minuten verfolgt – und richtig mitgefiebert.»

Vergleiche zum Männerfussball findet Schultz nicht zielführend. «Dynamik und Athletik sind natürlich nicht gleich wie bei den Männern. Aber technisch sind bei den Frauen viele gute Ballstafetten zu sehen. Okay, es gibt hin und wieder auch haarsträubende Fehlpässe, wo man sich fragt: ‹Was hat sie sich in dieser Situation überlegt?› Das kann aber auch bei den Männern vorkommen. Wegen solcher Dinge kann man nicht behaupten, dass das Niveau des Turniers schlecht ist.» Schultz geht davon aus, dass die Heim-EM einen Boom auslösen wird. Er ist gespannt, ob das ein kurzfristiger Hype ist oder ob sich daraus eine längerfristige Entwicklung ergeben wird.

Frauenfussball kämpft seit Jahren um Akzeptanz. Zumindest bei den männlichen Fussballgrössen im Freiamt ist diese bereits vorhanden. Und sie stehen mit ihrer Meinung nicht alleine da. Die EM in der Schweiz ist nicht die erste, die mit Rekorden aufwartet. Den Final der letzten EM in England zwischen dem Gastgeberteam und Deutschland verfolgten 87 192 Zuschauerinnen und Zuschauer im Wembley-Stadion. Das bestbesuchte Spiel an einer EM der Männer war der Final 1964 zwischen der Sowjetunion und Spanien. Die Zuschauerzahl dort: 79 115 Personen. Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfussball sind vorhanden. Beides hat aber seine Daseinsberechtigung. Und den Frauen gelingt es, sich immer stärker zu etablieren.


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