Relativ einseitige Schlacht
01.12.2023 Boswil, Region OberfreiamtDeutliches Ja zu flächendeckendem Tempo 30 an der «Gmeind» in Boswil
Es war das erwartet emotionale Thema, aber der Entscheid fiel am Schluss deutlich. Die Bevölkerung will gar auf mehr Strassen, als der Gemeinderat vorschlug, künftig nur noch 30 ...
Deutliches Ja zu flächendeckendem Tempo 30 an der «Gmeind» in Boswil
Es war das erwartet emotionale Thema, aber der Entscheid fiel am Schluss deutlich. Die Bevölkerung will gar auf mehr Strassen, als der Gemeinderat vorschlug, künftig nur noch 30 km/h fahren dürfen. Zudem wurde Vizeammann Jakob Dolder nach 14 Jahren im Gemeinderat verabschiedet.
Annemarie Keusch
Dass sein letztes Traktandum als Gemeinderat an einer «Gmeind» emotional werden würde, das wusste Jakob Dolder. Schon allein der Aufmarsch von 190 Stimmberechtigten deutete darauf hin. Die in den letzten Monaten und Jahren eingereichten Unterschriften für Tempo 30 in einzelnen Quartieren ebenso. Und die kontrovers geführten Diskussionen im Dorf waren auch Indiz dafür, dass es eng werden könnte an der «Gmeind». Tempo 30 ist emotional, war es schon in ganz vielen Gemeinden, vor rund zehn Jahren auch in Boswil, als verkehrsberuhigende Massnahmen, die unter anderem eine Tempobeschränkung an der Südstrasse, im Baumgarten und an der Flurstrasse vorgesehen hätten, abgelehnt wurden.
«Wir wollen nun die Meinung der Bevölkerung wieder abholen», betonte Dolder. Nachdem der Bundesrat die Einführung von Tempo 30 vereinfachte, hätte der Gemeinderat auch selber über eine Einführung entscheiden können. Zumindest wenn die dafür nötigen Investitionen weniger als 60 000 Franken betragen. «Für uns war klar, dass wir nicht in einzelnen Quartieren quasi heimlich Tempo 30 einführen wollen, sondern dies transparent vor die Versammlung bringen», betonte Dolder. 65 000 Franken war denn auch der beantragte Kredit. So viel koste es, die Gemeindestrassen mit Tempo 30 zu signalisieren, mittels Beschilderung und Bemalung auf der Fahrbahn.
Zeitverlust ist nicht riesig
Mehr Sicherheit, mehr Wohn- und Lebensqualität, es sind zwei der Ziele, die der Gemeinderat mit flächendeckendem Tempo 30 erreichen will. 50 km/h könne nur noch auf den Kantonsstrassen gefahren werden. «Und vom Kreisel via Vorstadt und Weissenbachstrasse bis ausgangs Dorf Richtung Weissenbach», betonte Dolder an der «Gmeind». «Die Schlacht ist eröffnet.» Damit führte Dolder in die Diskussionsrunde über.
Und schnell gingen Hände in die Höhe. Die Hand einer Frau, die monierte, dass es gerade im Bereich der Vorstadt immer wieder gefährliche Situationen gebe und hier ganz viele Schülerinnen und Schüler die Strasse queren. Später folgte der entsprechende Ergänzungsantrag. Ein anderer Votant betonte, dass die Quartierstrassen längst nicht mehr nur den Automobilisten gehören und diese doch auf die Hauptverkehrsachsen ausweichen sollten. «Ich habe es heute ausgerechnet. Vom Feuerwehrmagazin via Sarbachstrasse, Rosenweg, Weissenbachstrasse, Südstrasse würde es künftig vier Minuten dauern, anstatt zwei Minuten und zehn Sekunden.»
Nicht nur zugunsten der Kinder
Aber es gab auch andere Stimmen. Solche, die befürchten, dass die Kinder mit Tempo 30 den Respekt vor der Strasse verlieren, und die betonten, dass es auch mit Tempo 30 zu Unfällen kommen könnte. Zudem hielten sie fest, dass ganz viele Leute aus dem Dorf Strassen befahren, die eigentlich mit Zubringerdienst bezeichnet sind und nicht befahren werden dürften. «Kontrolliert doch das und setzt die Fahrverbote um, oder schraubt die Zubringerdienst-Tafeln ab», griff ein Votant den Gemeinderat an. Jakob Dolder betonte, dass auch der Gemeinderat immer wieder bei der Regionalpolizei nachfrage und um mehr Kontrollen bitte. «Aber auch bei der Polizei macht sich die Personalnot bemerkbar.»
Ebenso wurde an den gesunden Menschenverstand appelliert. «Die meisten fahren nicht 50 km/h in den Quartieren. Es braucht Tempo 30 nicht.» Dem widersprachen mehrere Votantinnen. Eine betonte, dass es sehr wohl einen Unterschied mache, ob ein Kind mit 30 km/h angefahren werde oder mit 50. «Gerade auf geraden Strassen drücken ganz viele aufs Gaspedal», betonte eine Stimmbürgerin. Ihre Aussage wurde von einer Boswilerin unterstützt, die viele Jahre am Kinderspital in Zürich gearbeitet hat. «Ich bin für Tempo 30, weil ich schon viele verletzte Kinder gesehen habe, die von Autos angefahren wurden.» Kürzerer Bremsweg, weniger weit weggeschleuderte Kinder, Tempo 30 sei sicherer. Und es kamen weitere Argumente. Dass Tempo 30 nicht nur für die Sicherheit der Kinder sei. «Auch ältere Leute, etwa beim Solino, sind schwächer und brauchen diesen Schutz», meinte eine Stimmbürgerin. Eine andere brachte vor, dass vielleicht genau diese Temporeduktion den Schleichverkehr durch die Quartiere weniger attraktiv mache.
Kurz vor Ende der Diskussion kam noch ein zweiter Ergänzungsantrag. Der Weiler Weissenbach solle doch auch in den Planungsperimeter einbezogen werden. Beide Anträge – Tempo 30 in der Vorstadt und Weissenbachstrasse bis Ortsausgang Richtung Weissenbach und im Weiler Weissenbach – wurden deutlich angenommen, ebenso die finale Schlussabstimmung. In Boswil darf ausser auf den Kantonsstrassen also bald nur noch 30 km/h gefahren werden.
«Grips-Gymnastik» statt Routine
Und dann war es vorbei, Jakob Dolders letztes Traktandum. 2009 wurde er in den Gemeinderat gewählt. «An unzähligen Sitzungen, Begehungen und Augenscheinen hat er sein Wissen für unsere Gemeinde eingesetzt», blickte Ammann Michael Weber zurück. In verschiedenen Kommissionen habe er Boswil vertreten. «Meilensteine sind sicher das Präsidium bei der Revision der Raumplanung BNO und GEP 2 sowie der Zusammenschluss der Feuerwehren Boswil, Kallern und Bünzen zur Regio-Feuerwehr Freiamt-Mitte», führte Weber aus. Jakob Dolder habe es geschafft, als finanzverantwortlicher Gemeinderat den Steuerfuss auf erträglichem Niveau zu halten. «Er hat uns auf den Boden der Realität gebracht, wenn wir finanzielle Luftschlösser bauen wollten», blickte Ammann Weber zurück
Dolder selber blickt zufrieden zurück. «Ich hätte nie gedacht, dass es 14 Jahre werden. Es war eine bereichernde Zeit.» Er könne ein solches Engagement nur allen empfehlen. «Gerade um das Alter von 50 sind viele beruflich in einer Routine gefangen. Im Gemeinderat kommen ganz andere, ganz neue Themen auf.» Dolder nennt es «Grips-Gymnastik». Es sei eine gute Zeit gewesen, in der der Gemeinderat bestens miteinander funktioniert habe. «Ich wünsche meinem Nachfolger Thomas Guggisberg genauso viel Freude und Erfüllung im Amt.»
Die Beschlüsse
Von den 1975 Stimmberechtigten nahmen deren 190 an der «Gmeind» teil. «Rekord, zumindest seit ich Ammann bin», sagt Michael Weber. Diskussionslos sagten die Anwesenden Ja zum Protokoll und zum Budget. Auch die je 250 000 Franken, an die Wasserversorgungsgenossenschaft für die Erstellung der wassertechnischen Erschliessung Weissenbachs und als Vorauszahlung der Grundeigentümerbeiträge an die Wasserversorgungsgenossenschaft für die wassertechnische Erschliessung Weissenbachs wurden ohne Gegenstimme angenommen. Gleiches gilt für die 140 000 Franken für die Sanierung der Mehrzweckhalle. Und auch das Ja zu den 150 000 Franken für die Sanierung der Beleuchtung der Schulhäuser zwei und drei war unbestritten.
Diskussionen gab es beim Kredit von 65 000 Franken für die f lächendeckende Einführung von Tempo 30. Der Ergänzungsantrag, dass Tempo 30 auch ab Kreisel Vorstadt bis ausgangs Dorf Richtung Weissenbach gelte, wurde mit 117 Ja- zu 47 Nein-Stimmen angenommen. Jener, dass Tempo 30 auch in Weissenbach gelte, wurde mit 128 Ja- zu 26 Nein-Stimmen gutgeheissen. Der Hauptantrag über die f lächendeckende Einführung von Tempo 30 fand mit 129 Ja- zu 57 Nein-Stimmen eine deutliche Mehrheit.
Unter Verschiedenes informierte Ammann Michael Weber über die neue Homepage der Gemeinde, über die aktuelle Situation beim Steueramt, nachdem Bünzen und Besenbüren den Vertrag mit Boswil kündigten, und über die aktuelle Flüchtlingssituation, die derart schwierig sei, dass die Betreuu ng n icht meh r ei ner Milizpolitikerin zugemutet werden könne und darum künftig ausgelagert werde. --ake