Religiosität oder Spiritualität
03.10.2025 Literatur, MuriReligiosität im Brennpunkt
Urs Pilgrim stellt sein Werk «Homo religiosus» vor
Die Buchvernissage mit Podium zog viele Besucher in den Caspar-Wolf-Saal des Hotels Caspar.
Einen interessanten Abend erlebten die rund ...
Religiosität im Brennpunkt
Urs Pilgrim stellt sein Werk «Homo religiosus» vor
Die Buchvernissage mit Podium zog viele Besucher in den Caspar-Wolf-Saal des Hotels Caspar.
Einen interessanten Abend erlebten die rund 130 Zuhörenden an der Buchvernissage von Urs Pilgrim. Das Thema «Wo Biologie und Spiritualität sich berühren» wurde mit zum Teil hochstehenden Diskussionen und Ausführungen geführt. Es scheint einen Nerv der Zeit getroffen zu haben. Auf dem Podium waren Physiker und Humanist Hans Widmer und Theologe und Lektor des NTN-Verlags Markus Zimmer sowie Autor und Mediziner Urs Pilgrim. Nach der Einführung durch den Autor und den Diskurs des Humanisten und des Theologen stellte das Publikum seine Fragen. Ein lebendiger Austausch entwickelte sich. --vaw
Urs Pilgrim Muri stellt sein Buch «homo religiosus» im Hotel Caspar vor
Der Abend war spannend, statt der 70 erwarteten Besucher kamen rund 130 Leute an die Buchvernissage. Niemand störte sich, dass die Zeiten nicht eingehalten wurden. Alle lauschten aufmerksam den Worten und Ausführungen von Autor Urs Pilgrim und den beiden theologischen und humanistischen Experten und ihren Kontras und Ausführungen.
Verena Anna Wigger
Die Crew des Hotels Caspar bringt Stühle, damit alle Gäste eine Sitzgelegenheit finden. Und immer noch mehr Leute strömen in den Saal. Das Thema scheint zu interessieren. Urs Pilgrim stellt sein neustes Werk vor, in dem er eine Erklärung für Zusammenhänge zwischen Biologie und Religiosität aus einer neuen Perspektive gesucht hat.
«Homo religiosus» heisst sein neues Werk. Aus seiner Sicht soll mehr Verständnis zu mehr Verstehen führen. Das möchte er in zwanzig Minuten den Anwesenden näherbringen, was sich als Herkulesaufgabe herausstellt. Unterhaltsam und mit Tiefe führt er durch die acht Kapitel seines Werks. Pilgrim geht darin auf Religiosität und Spiritualität ein und welche Berührungspunkte sie zu Biologie und Medizin haben.
Warum hat er dieses Buch geschrieben? Den Nutzen der Religion sieht er auch darin, dass Gemeinschaften auf den Menschen Einfluss haben. Wie er dies in seinen Sprechstunden als Arzt erlebt hat. Im Buch fragte er sich, ob die Materie den Geist oder der Geist die Materie beeinflusst und welches massgeblich sei. Dazu brachte er ein Beispiel mit. Wenn man zu viel Alkohol trinke, beeinflusse die Materie den Geist, so Pilgrim in seiner Ausführung. Was im übervollen Saal zu einem hörbaren Schmunzeln führt.
Wissen und Glauben
Weiter führt er aus, dass ein Kapitel im Buch vom Wissen und Glauben handelt und wie wir damit umgehen. Pilgrim erwähnte Martin Luther, der dem Glauben Priorität gab. Auch Nobelpreisträger Anton Zeitlinger, der unter der Woche Agnostiker und am Sonntag ein gläubiger Christ ist. Anhand dessen Leben zeigt Pilgrim auf, dass Wissen und Glauben sich komplementär verhalten. Für den Autoren ist jedoch klar: «Die Basis einer verantwortungsbewussten Medizin soll faktenbezogen sein.» Zum Schluss fragte er, wie hilfreich Religiosität heute sei. Dabei zitierte er Theologin Beatrice Acklin, welche sagt: «Der christliche Glaube hat keine Funktion; er ist im Grunde unnützlich.» Dem widersprach er, und darum habe er sein Buch verfasst. Als Erklärungshilfe, um Religiosität und Religionen zu verstehen.
Das Podium
Hans Widmer, Physiker und CEO internationaler Unternehmen, ist zugleich auch Humanist und Autor. Er und Theologe Markus Zimmer, Lehrbeauftragter und Lektor des NZN-Verlags in Zürich, äusserten sich ebenfalls zum Werk von Urs Pilgrim. Widmer warf zu Beginn seiner Ausführungen ein: «Euer Glaube ist nur legitimiert durch das Glück, das er euch verschafft.» Und an Urs Pilgrim gerichtet sagte er, das Buch bringe acht Kapitel «Sprengstoff» mit. Es relativiere Religion, die gut sei, wenn sie guttut. Für ihn gilt Glaube, der gelebt wird, oder er habe keinen Nutzen, so Widmer weiter in seinen Ausführungen. Zugleich forderte er Pilgrim auf, ein weiteres Buch zu schreiben und darin die Rolle der Kirche in der Religion zu durchleuchten.
Markus Zimmer ging auf die drei Aspekte der Theologie ein. Zum einen gehe es da um die akademische Theologie. Was die Frage stellt: «Ist Jesus ein Mensch oder Gott?» Denn, wenn er ein Gott sei, dann sei es nicht möglich, dass er am Kreuz gestorben sei. Dann ging er auf die Kirche ein, welche die Organisation sei. Der dritte Teil der Theologie sei der Aspekt der Spiritualität. Hier gehe es laut Zimmer darum: Egal ob es einen Gott gibt, egal ob es einen Jesus gegeben habe, «Religion ist etwas, was den Menschen dienen soll», so Zimmer. Er stellte die Frage: «Ist Religion etwas, was nützt?» Er ist überzeugt davon, und man könne die Nützlichkeit auch messen. Sie sei aber auch ein Selbstzweck. Dies erläuterte er anhand des Beispiels eines Musikvereins. Dieser lebe nicht nur von den Auftritten, er lebt von den Proben. So könne auch Religion etwas nützen, wenn man da mitmache. Darum habe Religion einen Zweck, und zwar die Gemeinschaft zu fördern oder dazuzugehören.
Darin sieht Widmer aber auch die Problematik: «Das Problem der Gemeinschaft ist Abgrenzung.» Wenn sich Religion nicht abgrenze, sondern in sich definiere, dann hätten wir keine Probleme mehr, führte der Humanist aus. Er ist auch der Meinung, dass die Mitglieder der Kirche schauen müssen, dass die Organisationen nicht übermütig werden.
Angeregte Wortmeldungen und Diskussion
Ein Besucher meldete sich mit den Fragen, wann Frauen gleichberechtigt würden in der Kirche und wann das «Zwangszölibat» aufgehoben werde. Worauf ihm Theologe Zimmer antwortete, es gäbe da viele Gründe, die vorgeschoben würden. Für ihn komme es da auf die Glaubwürdigkeit an. Wichtig dabei sei auch die Gemeinschaft und wie glaubwürdig es für sie ist. Disziplinarische Aussagen seien nicht mit Glauben verhaftet, sagte Zimmer.
Eine Besucherin sprach das Elternsein an und wie diese ihre Kinder erziehen und sie auf den Weg senden sollen. Hierauf gab Vater und Grossvater Hans Widmer die Antwort. Er glaube, «wir müssen ruhigere Eltern werden, wir können den Kindern nicht mehr mit Unglaubhaftem begegnen». Pater Benedikt Staubli, der auch im Publikum sass, sagte dazu: «Wir müssen Wege finden, die nicht trennen, sondern Gemeinschaft stiften.» Was er als eine Herkulesaufgabe sieht. Theologe Zimmer antwortete auf die Frage aus dem Publikum, ob Religion noch etwas Attraktives sei. «Leute sehen, die ihren Glauben leben – das zieht an oder stösst ab», so die schlichte Erkenntnis von Markus Zimmer.