Über die Grenzen hinauswachsen

  17.07.2020 Boswil

Die 29-jährige Tanja Stäger, die in Boswil aufwuchs, verbringt diesen Sommer in einer Alpkäserei. Ihr Arbeitstag beginnt täglich früh um 5.15 Uhr, bis und mit Sonntag. Eine schwere Arbeit. «Mit meiner Arbeit in der Alpkäserei kann ich täglich über meine Grenzen hinauswachsen.» Für die Freiämterin ist der Sommer jedoch nicht nur geprägt von strenger Arbeit, sondern sie geniesst auch die Zeit, die sie für sich hat. «Abseits vom Alltag zu Hause habe ich hier die Möglichkeit, über mich und mein Leben zu reflektieren und herauszufinden, was ich wirklich möchte.» Eine Auszeit vom Alltag, die sich jeder einmal im Leben gönnen sollte, davon ist Tanja Stäger überzeugt. Sie vermisst zwar ihre Familie und Freunde, aber Heimweh hat sie bislang noch keines. Im Gegenteil, eine Fortsetzung soll folgen.


«Es geht einfach um dich selbst»

Die Boswilerin Tanja Stäger verbringt ihren Sommer in einer Alpkäserei

Die 29-jährige Tanja Stäger hat sich beruflich umorientiert und erfüllt sich in der Zeit bis zum Beginn ihres Studiums einen Wunsch: Sie verbringt eine Sommersaison in den Bergen und hilft tatkräftig in einer Alpkäserei aus.

Celeste Blanc

«Meine liebste Arbeit ist es, morgens die Milch entgegenzunehmen. Da lässt es sich immer noch gemütlich mit den Milchbauern plaudern», lacht Tanja Stäger. Seit Ende Mai arbeitet sie in der Bio-Alpkäserei Kiley im Diemtigtal. Für sie geht mit diesem Erlebnis ein Traum in Erfüllung. «Ich wollte schon immer in den Bergen eine Saison machen», erzählt die junge Frau, die in Boswil aufgewachsen ist. Bis zu den Alpabzügen im September wird sie noch auf der Alp sein. «Ich arbeite hart und schlafe sehr gut», zwinkert Stäger, «und das Schönste: hier oben bin ich stressund sorgenfrei.»

Typisch schweizerisch

Schon immer verbrachte Stäger viel Zeit in den Bergen. «Meine Grossmutter hatte auf dem Stoos ein Pistenrestaurant, wo wir oft zu Besuch waren und ausgeholfen haben», erzählt sie. Für die junge Frau stand es nie auf dem Plan, die Welt zu bereisen – hingegen eine Saison in den Bergen zu verbringen, das hatte sie schon seit geraumer Zeit im Hinterkopf. Lange fehlte ihr aber der Mut, diesen Schritt zu wagen. Stäger lacht: «In dieser Hinsicht war ich typisch schweizerisch – ich war besorgt um die Arbeit oder um die Wohnung.» Ende letzten Jahres kam dann der Sinneswandel. Sie hatte das Gefühl, stehen zu bleiben. Auch hatte sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Es begann für sie die Zeit des Umbruches – und sie fing an, sich in beruflicher und privater Sicht umzuorientieren.

Strenger als erwartet

Als sie für März 2021 die Zusage für das Studium zur HF Pflegefachfrau Psychiatrie bekam, zögerte sie nicht lange. Nun hatte sie die Möglichkeit, das Jahr bis zum Studiumsantritt frei zu planen – und somit endlich die Gelegenheit, ein paar Monate in den Bergen zu verbringen. «Und so fügte sich alles, als wäre es Schicksal», freut sie sich. Sie kündigte ihre Wohnung und ihren Job im Volg in Mühlau, um ihr persönliches Abenteuer anzutreten. Seit Ende Mai hilft sie der Familie Troger in der Bio-Alpkäserei Kiley aus, welche die Käserei für eine Genossenschaft, die von verschiedenen Bauern betrieben wird, unterhält. Die Arbeit in der Käserei hat es in sich. Stäger schmunzelt: «Mir war bewusst, dass die Arbeit streng ist. Aber ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so intensiv sein würde.»

Drehen und schmieren

Der Arbeitstag für die sympathische 29-Jährige beginnt täglich zwischen 5.15 und 5.30 Uhr, bis und mit Sonntag. Dann nämlich bringen die Milchbauern die Milch in die Käserei. Zehn Kannen Ziegenmilch schleppt Stäger dann täglich zu den Maschinen, wiegt diese und leert sie dann in den Trog. Eine schwere Arbeit, denn eine volle Kanne wiegt um die 46 Kilogramm. Insgesamt verarbeitet die Käserei pro Tag rund 2500 Liter Milch, die von den Bauern in Tanks geliefert wird. Diese wird dann in den Maschinen mit weiteren Zutaten wie Lab und Kultur gerührt, bis die Masse für die Presse bereit ist. Danach kommt sie in die Formen. «Wenn der Käse in Form ist, ist es wichtig, ihn regelmässig zu schmieren. Er muss gepflegt werden», weiss Stäger. Nach dem Salzbad werden die Alpkäse mit einer Bürste, Wasser und Salz verarbeitet, damit es eine schöne Schmiere gibt. «Die jungen Käse müssen danach mehrmals gedreht und geschmiert werden, damit sie nicht grau werden», so die junge Frau.

Über die Grenzen hinaus

Dreimal die Woche schmiert sie um die 250 grosse Alpkäse. Wenn der Keller voll ist, wird ein Teil der Ware zur Weiterverarbeitung und zum Verkauf abgeholt. Ihre Arbeit ist sehr vielfältig. Von der Milchannahme über die Produktion bis hin zur Auslieferung hilft die junge Frau dem Käser tatkräftig aus: «Nebst dem, dass wir grosse Alpkäse und täglich 180 Ziegenkäse mit Weissschimmel produzieren, werden dreimal die Woche Butter und einmal die Woche Joghurt verarbeitet.» Ab September kommen dann noch der Raclettekäse und die Mütschli hinzu. Für die Freiämterin ist es ein Highlight, dass sie mittlerweile viele Tätigkeiten selbstständig wahrnehmen kann. «Mit meiner Arbeit in der Käserei kann ich täglich über meine Grenzen hinausgehen. Am Ende von jedem Tag bin ich stolz auf mich, dass ich es durchgezogen habe», erzählt sie.

Kein Heimweh

Für Stäger ist der Sommer nicht nur geprägt von strenger Arbeit, sondern sie geniesst die Zeit, die sie für sich hat. «Abseits vom Alltag zu Hause habe ich hier die Möglichkeit, über mich und mein Leben zu reflektieren und herauszufinden, was ich wirklich möchte», meint sie nachdenklich, «es geht einfach mal um dich selbst.» Dennoch freut sie sich stets über Besuch von der Familie und Freunden. «Auch schreiben mir oft Kunden aus dem Volg, dass sie mich vermissen. Sie fragen nach, wie es mir geht oder ob sie mal auf einen Besuch vorbeikommen können», freut sie sich. Sie vermisst zwar ihre Familie, Bekannten und Freunde – Heimweh hat sie aber nicht. Sie kostet den Sommer im Diemtigtal in vollen Zügen aus. Für sie ist bereits jetzt klar: «Ich empfehle jedem, einen Sommer in den Bergen zu verbringen. Auch ich möchte nochmals eine Saison zusätzlich machen – dann aber im Winter am Pistenrand.»


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