Vom Rohstoff zum Kunstwerk
03.05.2022 JonenUrs Huber und Ruedi Roth klären über die Geschichte der gefällten Pappel auf
Der imposante Baumstamm im Joner Wald zog viele Blicke auf sich. Förster Urs Huber erklärt seine Bedeutung und Bildhauer Ruedi Roth formt daraus ein Kunstwerk.
Celeste Blanc
Vieles fällt den aufmerksamen Waldgängerinnen und Waldgängern bei ihren Spaziergängen durch die grünen Oasen der Region auf. So blieb auch der besonders grosse Baumstamm nicht unbemerkt, der in den letzten Wochen eingangs Joner Wald neben dem Holzschopf gelegen hat. «Es ist schon beeindruckend, wie viele Fragen wir zu diesem Baumstamm erhalten haben», erzählt Urs Huber, Förster des Forstbetriebs Kelleramt. «Obwohl die Passanten nicht wissen, was es für ein Holz ist, merken sie aber, dass die Grösse des Baums etwas Spezielles ist.»
Ein Leserfoto bezeugt dieses breite Interesse. Das Bild von Ruth Hilhorst wurde am 8. April in dieser Zeitung veröffentlicht. Dabei fragte sie, wofür dieser riesige Baumstamm wohl verwendet würde. Dieser Geschichte ist diese Zeitung nun nachgegangen. Auskunft geben Förster Urs Huber und Bildhauer Ruedi Roth aus Jonen. Huber blickt mit dem grossen Baumstamm auf die Geschichte der Region zurück, während Ruedi Roth daraus ein künftiges Kunstwerk schaffen wird.
Grosse Nachfrage aufgrund Industrialisierung
Imposant wirkt der Stamm der Pappel, der bis Mitte März noch in Ufernähe der Reuss gestanden hat. Und gewaltig ist er auch: Neun Meter Länge und einen Durchmesser von 1,7 Metern am unteren Stamm misst die Pappel, die im Schutzgebiet «Rüüsmatten» an der Reuss in Jonen aus Sicherheitsgründen hatte gefällt werden müssen. «Sie ist zu nahe an die Stromleitung, die oben durch-geht, herangewachsen. Bei einem Sturmwind wäre die Situation heikel geworden», erklärt Förster Urs Huber.
Beim Baum handelt es sich wahrscheinlich um eine kanadische Pappel, die im letzten Jahrhundert zahlreich und grossflächig entlang der Reuss «auf ertragslosen Grundstücken» gesetzt worden sind. Das Holz der Pappel wurde vor allem im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung im Freiamt immer wichtiger. Grund dafür waren seine besonderen Eigenschaften. «Das Holz ist einerseits sehr leicht. Andererseits bleibt es formstabil.» Somit sei das Holz ideal für die Produktion von Möbeln. Eine weitere Eigenschaft ist das schnelle Wachstum der Pappel. Deshalb sei die Pappel vor allem für die Herstellung von Verpackungsmaterial immer wichtiger geworden.
Ungestörtes Wachstum dank Reussdekret
Die Pappeln wurden grossf lächig entlang der Reuss gepf lanzt. Weitere Pf lanzungen wurden in den 1970er-Jahren wegen des Reussdekrets, das den Gewässer- und Uferschutz der Reuss vertraglich festhielt, eingestellt. Die Pappeln durften somit nicht mehr weiter verwertet werden. «Vermutlich gab es viel mehr Pappeln entlang der Reuss. Viele wurden entweder gefällt und sind, da sich das Ufer der Reuss wieder verbreitert hat, wahrscheinlich ins Wasser gefallen.» Dass Huber den Baum fällen musste, findet der Förster schade. Es handelt sich vermutlich um die dicksten in der Kellerämter Region. Dennoch sei die Fällung unumgänglich gewesen. Die Pappel aus der «Rüüsmatten» ist ungefähr 60 Jahre alt.
Für den Förster ist die Pappel ein spezieller Baum – vor allem ihr schnelles Wachstum imponiere. «Man sagt, dass man als Förster bei seinem Einstieg in den Beruf eine Pappel setzen soll. Diese kann er zu seinem Ruhestand wieder fällen.»
Kunst direkt aus Holz gefräst
Heute entdeckt die Industrie eine kleine «Pappel-Renaissance», wie Huber erklärt. «Vor allem energetisch ist sie in der EU auf dem Vormarsch.» Anstelle der grossflächigen Maisfelder würden zunehmend Pappeln angesetzt, die man als Biomasse für die Gasproduktion einsetzt. «Das macht insofern Sinn, als dass man keine Lebensmittel verschwendet, sondern Holz mit wenig Brennwert verwendet.» Nach der Fällung war klar, dass der Baum für die weitere Verarbeitung zu gross sei. «Normalerweise würde man gefällte Bäume an eine Sagerei weitergeben. In diesem Fall war es wegen des Durchmessers nicht möglich», so der Förster. So kontaktierte Urs Huber den Bildhauer Ruedi Roth, der gleich neben dem Holzschopf des Forstbetriebs Kelleramt ein kleines «Aussenatelier» führt, wo er die grossen Holzerzeugnisse bearbeitet. Hier lassen sich die noch nicht fertiggestellten Kunstwerke des Bildhauers bestaunen.
Für einen Bildhauer sei die Bearbeitung eines solch dicken Baumstammes ein Traum. «Und eine Herausforderung», zwinkert er. Seit 2010 wohnt Roth in Jonen und führt hier seine Kunstarbeiten durch. Schon mehrmals habe ihm Urs Huber, wenn man einen Baumstamm nicht weiterverwerten konnte, diesen übergeben. «Fast wie ein lokaler, kleiner Kreislauf», scherzt der Förster.
Unter Zeitdruck
Nun steht der unterste Teil des grossen Pappelstammes an Ruedi Roths Arbeitsplatz im Joner Wald. Der neun Meter lange Stamm wurde in drei Teile zerlegt. Die zwei kleineren Teile des Stammes werden vom Bildhauerehepaar Vogler in Hedingen bearbeitet. Das Bearbeiten eines Baumstamms ist für Roth immer ein besonderes Projekt. Denn der Bildhauer fräst seine Kunstwerke direkt aus dem Holz heraus, ohne zusätzliche Eingriffe durch zusammennageln oder -setzen. «Für mich ist das Kunstwerk im Holz drin, das ich einfach nur raushole.» An der Künstlerund Hobbyausstellung, die vom 20. bis 22. Oktober in Jonen stattfindet, möchte er dann das fertige Kunstwerk präsentieren. Zusätzlich möchte er eine Dokumentation zum Werdegang des Kunstwerkes den Interessierten vorlegen können. Dafür hat er einige Bilder gesammelt. «Vom Baumstamm zum Kunstwerk, sozusagen», so Roth.
Obwohl es bis zur Ausstellung noch knapp ein halbes Jahr hin ist, spürt der Bildhauer schon den Zeitdruck. «Bei meiner Arbeitsweise werde ich schon etwa drei bis vier Monate ausschliesslich an diesem Baumstamm arbeiten.» Bis er konkret mit der Schnitzerei anfängt, wird es wohl noch einen Moment dauern. An einem solchen Projekt beschäftigt ihn am längsten einerseits die Technik, also wie er das Holz bearbeiten soll, und andererseits die konkrete Idee, was er daraus macht. «Dann arbeite ich aber ausschliesslich an dieser einen Skulptur. Unterbreche ich die Arbeit zu lange, ist es für mich schwer, den Einstieg wieder zu finden. Sicher gibt es aber eine meiner Skizzen», wie der Bildhauer seine Arbeiten bezeichnet. Typisch für sein Schaffen sind die schlaksigen, menschenähnlichen und Geschichten erzählenden Figuren, für die der Künstler bekannt ist.