Von tief unten nach ganz oben

  26.05.2020

Zekriya flüchtete aus Afghanistan und fand dank den Naturfreunden Anschluss in der Schweiz

«Gratulation, Sie haben eine tolle Arbeit geschrieben.» Zekriya hat es geschafft. 2016 aus Afghanistan geflüchtet, schloss er nun seine Lehre als Metallbaupraktiker ab.

Fussball, Kickboxen, Ringen. Die meisten wählten Sportvereine, Zekriya nicht. «Mir war nach all dem Erlebten nicht nach einer Kampfsportart zumute.» Zekriya wählte die Naturfreunde Oberfreiamt, als seine Lehrerin am BKS für Flüchtlinge die Aufgabe stellte, alle sollen sich einem Verein anschliessen und so mit der Schweizer Bevölkerung in Kontakt kommen.

2017 war es, als Zekriya erstmals die Generalversammlung der Naturfreunde besuchte. Damals sprach er noch wenig Deutsch, mehr mit Händen als mit Worten. Viele andere Teilnehmende meinten, der junge Mann hätte sich in der Veranstaltung getäuscht. Aber Zekriya, der seinen Nachnamen aus Angst vor Verfolgung aus seinem Heimatland nicht nennen will, war am richtigen Ort.

Mittlerweile spricht der 22-Jährige die deutsche Sprache und ist ein fester Bestandteil des Vereins, nimmt an Wanderungen teil. Und er schrieb seine Vertiefungsarbeit, die er als Abschluss seiner Metallbaupraktiker-Lehre abzugeben hatte, über den Verein. Morgen Mittwoch wird er für seine Arbeit von der Berufsschule Lenzburg ausgezeichnet. Die Naturfreunde und Zekriya – es ist die Geschichte eines jungen Afghanen, der in der Schweiz Anschluss fand. Aber sobald es möglich ist, will er zurück in seine Heimat. --hsk/red


Nicht nur Arme gehen zu Fuss

Die Geschichte eines jungen Flüchtlings aus Afghanistan ist eng mit den Naturfreunden Oberfreiamt verbunden

Weil er nicht von den Taliban als Kämpfer eingezogen werden wollte, flüchtete Zekriya. Auch dank den Naturfreunden Oberfreiamt hat der mittlerweile 22-Jährige wieder ganz viel Boden unter den Füssen – und eine abgeschlossene Berufsausbildung.

Zekriya verbrachte seine Jugend in Afghanistan im Bamiyan-Tal, dort, wo die 1500 Jahre alten Buddhas von den Taliban aus dem Felsen gesprengt und zerstört wurden. Seine Kindheit verlief so weit gut, bis 2016. Er war gerade 17 Jahre alt, als er gewarnt wurde, dass ihn die Taliban als Kämpfer einziehen wollten. Hals über Kopf verliess er seine Familie, foh über die Berge und das Meer. Er erreichte völlig mittellos, entkräftet und von brutalen Schlägen mit Gewehrkolben im Gesicht gezeichnet die Schweiz. Er hatte vorerst keine Ahnung, in welchem Land er war.

2017 wohnte er noch mit anderen jungen Männern in der fensterlosen Zivilschutzunterkunft der Gemeinde Oberrüti unterhalb der Turnhalle. Oft konnten die Asylanten nicht schlafen, weil ein Fest oder eine laute Veranstaltung nebenan bis in den Morgen dauerte. Die Unterkunft war nur durch eine einfache, verschlossene Tür getrennt. Der tagelange Aufenthalt im dunklen Bunker hat ihm auf die Seele geschlagen. «Ich wusste manchmal gar nicht, ob es hell oder dunkel, regnerisch oder sonnig war.» Er verlor das Zeitgefühl. Ein grosser Wunsch war, eine Lehrstelle zu fnden. Er wollte jeden Beruf annehmen, nur nicht Metzger. Heute ist Zekriya 22 Jahre alt und nicht wiederzuerkennen. Der einst deprimierte und traumatisierte junge Mann hat wieder Boden unter den Füssen und Freude am Leben zurückerlangt. Er schaut voller Zuversicht in die Zukunft.

Vereinsmitglieder wurden seine Freunde und Helfer

Bei den Naturfreunden Oberfreiamt fand er Anschluss. Kurz nach der ersten Teilnahme an der Generalversammlung war ein Ausfug in die Berge geplant. Den jungen Mann wollte man gleich mitnehmen. Gute Wanderkleider und Schuhe mussten her, die wurden ihm von den Mitgliedern geschenkt und die Kosten für die Ausfüge alle übernommen. «So lernte ich, dass Wandern und Schneeschuhlaufen hier Hobbys sind, nicht wie in meiner Heimat, wo nur die armen Leute zu Fuss gehen.» Wer dort etwas auf sich hält, fährt Motorrad, Bus oder Auto.

Hohe Berge gibt es in Afghanistan viele, diese besteigen ergab für Zekriya früher aber keinen Sinn. Doch er bemerkte den Unterschied zu seinem Volk, erkannte, dass eine schöne Aussicht, das sportliche Wandern und gemütliche Beisammensein seinen Anreiz hat. So erlebte er seit Langem wieder eine menschliche Zuneigung und Freundlichkeit, die ihm als Flüchtling sonst nicht gerade entgegengebracht werden. Mittlerweile zählt er das Wandern neben dem Skateboarden zu seinen Hobbys.

Ein grosser Wunsch ging in Erfüllung – eine Lehrstelle

Noch fehlte ihm das Tüpfchen auf dem i, eine Lehrstelle. Als Autoersatzteil-Verkäufer hatte er von zu Hause schon Erfahrung, verständlich, dass er sich in Richtung Metallbranche orientieren wollte. Der Präsident der Naturfreunde machte ihm Hoffnung, ihm in seiner damaligen tsfrma eine Lehre als Metallbaupraktiker zu verschaffen. Das war nicht ganz einfach, denn sein Asylgesuch wurde abgelehnt und er besass somit Status F. Solange in Afghanistan aber Krieg tobt, kann er nicht ausgeschafft werden. Nach einer positiv verlaufenen Schnupperlehre stand dem Lehrbeginn 2018 nichts mehr im Weg.

Der Rat seiner ehemaligen Lehrerin, Vereinen beizutreten, war somit der Schlüssel zu seinem Erfolg. In seiner Vertiefungsarbeit an der Berufsschule Lenzburg, eine Projektnach der zweijährigen Lehre, machte er den Verein zum Thema. Er erarbeitete die Geschichte der Naturfreunde-Bewegung, die als Teil der terbewegung in Wien vor 125 Jahren entstanden ist und die in der Nazizeit im 2. Weltkrieg verboten wurde. Nur gerade in der Schweiz hat die Naturfreunde-Bewegung überlebt.

Beste Noten und ein Dilemma

Heute ist sie aufgeteilt in die internationale und nationale Organisation. Zekriya stellte Nachforschungen an und schrieb über die erst 2005 gegründete Sektion Oberfreiamt-Oberrüti, über seine Vereinszugehörigkeit, was er als Jungmitglied unter den eher älteren Personen erleben durfte, und berichtete mit Fotos über seine Teilnahme an Schneeschuhund anspruchsvollen Wandertouren, von denen er viele mitgemacht hat. «Ich bleibe gerne im Verein, die Naturfreunde haben mir viel geholfen und auf die Wanderungen gehe ich weiterhin gerne mit.»

Die Zeugnisse und Arbeitsberichte der Gewerbeschule Lenzburg sind hervorragend und liegen, ausser in Sprache, alle über der Note 5,5. In Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit erhielt er die Maximalnote. Deshalb fällt das Empfehlungsschreiben seines Lehrbetriebs sehr positiv aus. «Als eine pfichtbewusste, gewissenhafte Person, aufgeschlossen, stets freundlich, hilfsbereit und allseits anerkannt und geschätzt», steht über ihn im Bericht. Über einen jungen Mann, der nun in der Asylantenunterkunft in Auw lebt, weit entfernt von seiner Familie, und der im Leben meist nur Schlimmes erlebt hat.

Rückkehr nach Afghanistan als grösster Wunsch

Eigentlich möchte Zekriya, nach einem Jahr Unterbruch, die weiteren drei Jahre für die ordentliche Metallbauerlehre anhängen. Damit er den Flüchtlingsstatus F, «vorläufge Aufnahme», loswird, muss er erst fnanziell auf eigenen Beinen stehen. Das kann er nur erreichen, wenn er genug verdient, was mit der Fortsetzung der Lehre mit Lehrlingslohn zu wenig ist. Deshalb ist er jetzt auf Stellensuche als Metallbaupraktiker mit Option Lehrfortführung zum Metallbauer.

Berufsbildung an erster Stelle

Zekriyas grösster Wunsch ist, wieder nach Afghanistan zurückzukehren und ein Metallbaugeschäft zu eröffnen. «Doch das ist erst möglich, wenn ein gemässigter Präsident gewählt wird.» Und wenn das zu lange dauert, möchte er möglichst mit einer Afghanin hier eine Familie gründen. Eine Freundin hat Zekriya aktuell allerdings nicht.

Und wenn eine Rückkehr unmöglich ist, wird er später Präsident der Naturfreunde Oberfreiamt? «Muss ich das?», fragt er lachend. «Aber Wanderleiter, das könnte ich mir vorstellen. Aber erst, wenn die Berufsbildung abgeschlossen ist.» --hsk


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