Wenn es im Alter wieder kribbelt
16.08.2024 WohlenDrei Wohler gehören zu einem Sechser-Team, das zu einer mehrwöchigen Expedition durch die Mongolei startet
Die drei kennen sich aus der Schulzeit. Die liegt aber schon mehr als 60 Jahre zurück. Trotz fortgeschrittenem Alter wagen sich Marcel Lüthi, ...
Drei Wohler gehören zu einem Sechser-Team, das zu einer mehrwöchigen Expedition durch die Mongolei startet
Die drei kennen sich aus der Schulzeit. Die liegt aber schon mehr als 60 Jahre zurück. Trotz fortgeschrittenem Alter wagen sich Marcel Lüthi, Thuri Fischer und Kurt Meier jetzt auf eine ganz besondere Reise. Rund 4500 Kilometer quer durch die mongolische Wüste.
Chregi Hansen
Etwas passieren kann immer. Das ist allen Teilnehmern bewusst. So wie bei der letzten Tour durch die Atacamawüste in Bolivien und Chile, als gleich drei der sechs Männer unter einer groben Magen-Darm-Verstimmung litten. Und die Patienten möglichst schnell aus der grossen Höhe in ein Spital in tieferen Regionen gebracht werden mussten.
Oder bei einer früheren Fahrt durch die Sahara, als mitten in der Wüste eine Kardanwelle an einem Auto brach und notfallmässig Ersatz besorgt werden musste. Via Funkspruch an einen Piloten, der das Gebiet überflog, wurde ein Bekannter in der Schweiz kontaktiert, der eine Ersatzwelle besorgte und damit nach Italien fuhr, wo er sie einer anderen Expedition mitgeben konnte, die auf dem Weg in die gleiche Gegend war. «So konnten wir nach ein paar Tagen in einer Oase die Reise doch noch fortsetzen», berichtet Marcel Lüthi.
Nah bei Land und Leuten sein
Den pensionierten Swissair-Piloten werden viele ältere Wohler noch kennen. Er stammt aus der Familie der Turner-Lüthi. Aufgewachsen im Wil, lebt er seit vielen Jahren in Regensberg, die Verbindung zu Wohlen ist aber geblieben. Marcel Lüthi gehört seit vielen Jahren zur Gruppe «Celeste Adventures», welche sich regelmässig mit Offroadern auf Abenteuerreise begibt. «Wir sind Kollegen, die es alle reizt, abseits der gewohnten Pfade unterwegs zu sein und Land und Leute auf unmittelbare Art kennenzulernen», sagt er. Zu sechst in drei Fahrzeugen durch unbekannte Gegenden fahren und dabei die Natur erleben, das sei einfach jedes Mal der Hammer.
Inzwischen ist die Gruppe fast schon in Wohler Hand. «Es gab in all den Jahren immer wieder mal Wechsel», erklärt Lüthi. Beim letzten Trip vor sieben Jahren war Thuri Fischer erstmals dabei. «Wir kennen uns aus der Schulzeit. Bei einem zufälligen Treffen hat Marcel mir von diesen Expeditionen erzählt und dass sie noch einen Mitfahrer suchen. Und weil Reisen mein Lebenselixier ist und ich auch schon einige abenteuerliche Trips unternommen habe, bin ich gern eingestiegen», sagt der ehemalige Einwohnerratspräsident und Spezialist für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz. Und als dieses Jahr wieder ein Platz frei wurde, fragte Fischer seinen Kumpel Kurt Meier, ob er nicht mitkommen wolle. «Als ehemaliger Transportunternehmer kennt er sich mit Fahrzeugen ja bestens aus», schmunzelt Fischer.
Meier, mit 77 Jahren ein respektive zwei Jahre älter als die anderen beiden, musste nicht lange überlegen. «Ich mag es, aus dem 08/15-Trott auszubrechen», sagt er. Auch er ist immer mal wieder abseits der gewohnten Routen unterwegs, hat längere Aufenthalte und Reisen in China, Nepal, Annapurna, Indien oder Peru hinter sich. Und freut sich auf die Herausforderungen, die ihn jetzt erwarten. «Solche Reisen sind ein unvergessliches Erlebnis, von dem man lange zehrt», sagt Fischer. «Nach solchen Reisen schätzt man das eigene Zuhause wieder mehr. Dann merkt man, wie gut es uns geht», fügt Meier an.
Eigentlich sollte nach dem letzten Mal Schluss sein
Dass er nun zum Team «Celeste» gehört, war so nicht geplant. «Eigentlich waren wir uns nach dem letzten Trip alle einig: Jetzt ist genug», erklärt Lüthi. Schliesslich werde man nicht jünger, sind inzwischen alle schon über 70 und die Reisen durchaus auch kräftezehrend. Aber bei einem der regelmässigen Treffen merkten die Mitglieder plötzlich, dass es sie wieder kribbelt. Schwieriger war diesmal die Auswahl des Reiseziels. «Wir haben schon viele Gegenden bereist und wollten eine neue Region entdecken», so Lüthi. Aber es werde immer schwieriger, noch Gegenden zu finden, die mehrheitlich unberührt geblieben sind und die ein Abenteuer versprechen.
Nun ist die Wahl auf die Mongolei gefallen. Diese kennt Lüthi von einer 65-tägigen Reise von Peking nach Paris mit Oldtimer-Fahrzeugen. «Leider war diese extern angebotene Tour nicht optimal organisiert und haben wir nur wenig von der Mongolei gesehen», berichtet er. Umso mehr freut es ihn, nun das Land ausgiebig bereisen zu können. Die Mongolei sei unglaublich faszinierend: Landschaft und Natur, aber auch Kultur und Menschen. Die Klimabedingungen sind extrem unterschiedlich, die Temperaturen schwanken zwischen +50 und –50 Grad, die Lebensbedingungen sind alles andere als lebensfreundlich, und gerade in den Wüstenregionen wird der Wind zum grossen Problem. Die Route führt durch Stein- und Geröllwüsten, führt in die Berge und an wunderbaren Seen vorbei. «Die Mongolen leben heute noch zu einem grossen Teil als Nomaden. Das bevorzugte Fortbewegungsmittel ist das Pferd. Es gibt in den meisten Regionen keine oder nur wenige Strassen», weiss Lüthi.
Für Thuri Fischer und Kurt Meier ist die Mongolei völliges Neuland. Sie lesen derzeit fleissig Literatur darüber. «Die Geschichte des Landes ist höchst spannend», stellt Fischer fest. Und Meier hat gemerkt, dass die in ihren Ländern jeweils verehrten Wilhelm Tell und Dschingis Khan zu einer ähnlichen Zeit gelebt haben. Wobei das Mongolische Reich zu jener Zeit eine gigantische Grösse hatte und vom Japanischen bis zum Kaspischen Meer reichte. Noch heute, wo der Mongolische Staat ungleich kleiner ist (aber immer noch viermal grösser als etwa Deutschland), wird Dschingis Khan als Held verehrt. «Man spürt aber auch die verschiedenen Einflüsse durch China und Russland in den letzten Jahrzehnten», hat Lüthi erfahren.
Minutiös vorbereitet
Die dreieinhalbwöchige Tour ist alles andere als eine Erholungsreise. Und muss minutiös vorbereitet werden. Die sechs älteren Herren sehen sich zwar durchaus als Abenteurer auf Expedition, aber gehen das Ganze mit der nötigen Vorsicht an. «Jeder im Team übernimmt spezielle Aufgaben», erklärt Fischer, der sich beispielsweise um die medizinische Versorgung kümmert. Lüthi wiederum ist dank seiner Swissair-Vergangenheit ein Spezialist für Navigation und Kommunikation. Und Meier ist in Sachen Fahrzeuge ein Allround-Profi. Auch die anderen drei Mitglieder bringen je ihre speziellen Fähigkeiten ein. Werner Bührer unternimmt seit seinen Jugendjahren Abenteuerreisen, Jürg Dünki ist der Koch und ruhige Kopf im Team. Und der ehemalige Garagist Hans Rudolf Flückiger ist der zweite Neuling und Spezialist für Autos. Zu Hause in der Schweiz wird zudem Reto von Atzigen die Rolle als Emergency Manager übernehmen, der bei Fragen und Notfällen zum Einsatz kommt. «In der Wüste können wir nicht mal schnell googeln, wo wir an Benzin kommen oder wo es ein Spital gibt. Aber wir können ihn über Funk kontaktieren und er organisiert alles Nötige», erklärt Lüthi.
Sich in jeder Situation zu helfen wissen
Die Reise soll zwar ein Abenteuer sein, aber alle sechs sollen gesund und munter zurückkehren. Die sechs Herren sind also risikofreudig, aber nicht lebensmüde. Es sei ein wenig wie eine Expedition ins Unbekannte alter Tage, aber mit modernster Ausrüstung, sagen sie. Das wichtigste Element in dieser Expedition sind natürlich die drei Offroad-Fahrzeuge. Zum Einsatz kommen drei einfache Toyota HJ78 Diesel mit wenig Elektronik, bestens ausgerüstete 4x4-Fahrzeuge mit hinten eingebauter Küche und Einbauten. Pro Fahrzeug sind zwei Benzintanks mit 90 plus 40 Litern fest eingebaut, dazu Reservekanister für den Notfall mit etwa 60 Litern. Um den beachtlichen Strombedarf für die vielen elektronischen Geräte bereitzustellen, wird das elektrische System leicht modifiziert mit einer zweiten Batterie mit vielen Anschlüssen und einem Wechselrichter von 12 auf 220 Volt. Ebenso wichtig wie das Benzin ist aber auch das Wasser, 50 Liter pro Fahrzeug sind jeweils dabei. Werkzeug gehört ebenso zum Gepäck, schliesslich muss sich die Gruppe bei Pannen selbst zu helfen wissen. Und natürlich braucht es genügend Vorräte, die Essenspläne sind jedenfalls schon erstellt.
Konflikte rechtzeitig ansprechen
«Das Ganze kann nur als Team gelingen», betont Fischer. Dieses muss auch in Stresssituationen funktionieren. «Wir leben sehr eng aufeinander. Das kann auch zu Konflikten führen. Darum ist es wichtig, sich jeden Abend auszusprechen und am Morgen den Tag zu planen», weiss Lüthi aus Erfahrung. Manchmal helfe es schon, wenn man mal einen Tag lang mit einer anderen Person im Wagen sitzt. «Irgendwann weiss man sich sonst nichts mehr zu erzählen.» Geschlafen wird im Auto oder bei Abstechern in Ortschaften auch mal in Jurten. Die Übernachtungen in einem Hotel lassen sich an einer Hand abzählen.
Trotz den grossen Herausforderungen soll die Reise auch ein Genuss werden. Die Sechser-Crew will in die Natur eintauchen und unvergessliche Momente erleben und auch in Bildern einfangen, darum wird man zwei Drohnen dabei haben. Zudem wird man sich bemühen, in Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung zu kommen. «Für viele ist es sicher ungewöhnlich, auf eine Gruppe wie uns zu treffen. Sechs ältere Herren aus der Schweiz in ihren Offroadern», ist sich Fischer bewusst. Kurt Meier wiederum hofft, dass es ab und zu auch eine Jassrunde gibt. Solche waren bei den bisherigen Reisen nicht üblich, aber neue Ideen sind immer willkommen. Wobei man abends meist schon müde sei, so Lüthi. Es ist nicht nur die körperliche Anstrengung, es sind auch die vielen neuen Eindrücke, die man verarbeiten muss.
Am 22. August geht es los
Noch gibt es einiges zu erledigen, bevor die Reise am 22. August in Ulaanbaatar losgeht. Mit zeitaufwendigen Analysen auf Google Earth wurden mögliche Routen evaluiert und mit Topo-Kartenmaterial analysiert. Erst Richtung Westen bis fast an die Grenze Kasachstans, dann Richtung Süden und schliesslich zurück an den Ausgangsort. Zu gewissen Gebieten gibt es nur wenig Informationen. Da muss man dann auch mal den Spuren in der Wüste folgen. Aber genau das sei das Abenteuer, das man suche, betonen alle drei. Am 14. September wollen sie wieder zurück in der mongolischen Hauptstadt sein. Vermutlich müde und abgekämpft, aber voller unglaublicher Bilder im Kopf. «Und vermutlich sagen wir wieder, dass es die letzte Reise war», schmunzelt Marcel Lüthi.
Die Reise online verfolgen
Wie bei den bisherigen Touren wird auch während der Tour durch die Mongolei täglich ein Bericht über die Ereignisse unterwegs sowie Bilder dazu online gestellt. Somit lässt sich die Reise live verfolgen und weiss man immer, wo die Expedition sich nun befindet. Dazu bietet die Homepage viele Hintergrundinfos zu den laufenden Projekten und auch Berichte zu früheren Touren. Zu finden sind diese Informationen unter www.celeste.li.