Wenn musikalisch ein Licht aufgeht
14.10.2025 Musik, MuriMit viel Gefühl für die Musik
Leonardo Bizzotto aus Muri hat seine internationale Fagott-Karriere in Manchester lanciert
Das Fagott ist seine Leidenschaft. Mit ihm drückt sich Leonardo Bizzotto aus. Nach dem Studium in Manchester ...
Mit viel Gefühl für die Musik
Leonardo Bizzotto aus Muri hat seine internationale Fagott-Karriere in Manchester lanciert
Das Fagott ist seine Leidenschaft. Mit ihm drückt sich Leonardo Bizzotto aus. Nach dem Studium in Manchester will er als Berufsmusiker durchstarten.
Thomas Stöckli
Den Masterabschluss hat Leonardo Bizzotto in der Tasche. Schon seit dem Sommer 2024. Dieser Titel alleine ist allerdings noch kein automatischer Türöffner für den nächsten grossen Karriereschritt. Seine Rolle als «Junior Fellow» am Royal Northern College of Music in Manchester ermöglicht es ihm zumindest, den mit einem gewissen Rückhalt anzugehen.
Wo es hingehen soll, ist für den talentierten jungen Mann klar: in ein grosses Orchester. Aktuell bewirbt er sich beim Basler Symphonieorchester, nächstes Jahr dann allenfalls auch noch in Italien, an der Opera di Roma und am Gran Teatro La Fenice di Venezia. Doch die Hürde liegt hoch. Bei den jeweils rund 50 ausgewählten Fagottisten, die überhaupt zum Vorspielen eingeladen werden, achten die Fachleute jeweils insbesondere auf die Perfektion der Technik. Denn die ist vergleichbar.
Kein Vorteil für den 26-Jährigen, der seine Stärke in der künstlerisch-leidenschaftlichen Ausdrucksform sieht.
Schliesslich wird die auch in der italienischen Schule höher gewichtet, der er sich zuordnet. Für die Fagott-«Castings» sieht Leonardo Bizzotto denn auch primär auf der mentalen Ebene Steigerungspotenzial. Bei Sportlern habe er stets bewundert, wie die es schaffen, ihr Bestmögliches zum entscheidenden Zeitpunkt abrufen zu können.
Leonardo Bizzotto will mit dem Fagott Emotionen vermitteln – am liebsten in einem guten Orchester
Nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums in Manchester ist Leonardo Bizzotto, Fagottist aus Muri, bereit für den nächsten Karriereschritt.
Thomas Stöckli
Kaum volljährig geworden, ging er zum Rektor und teilte dem mit, dass er nicht mehr in die Schule kommen werde. Wenige Monate vor der Matur. Leonardo Bizzotto spricht von einem Überdruss von Mathe und Physik, aber auch von einer «verrückten Lebensphase». Wie auch immer: Ein halbes Jahr später studierte er bereits am Royal Northern College of Music in Manchester.
Kompromisslos auf Musik gesetzt
Dieses Studium hat der Murianer im Juli 2024 abgeschlossen. In Manchester ist er, mittlerweile 26-jährig, nach wie vor. Seit seinem Masterabschluss engagiert er sich als «Junior Fellow». «Das ist eine Art Assistenzlehrer», erklärt er. In dieser Rolle unterrichtet er mittlerweile im zweiten Jahr Studierende und spielt selber im Orchester mit, insbesondere wenn zusätzliche Fagotte gefragt sind oder es in externen Projekten besonders anspruchsvolle Werke zu spielen gilt.
Bizzotto hat also voll auf die Karte Musik gesetzt. Und das war nicht immer einfach. Zwar habe er schon zu Beginn recht gut Englisch gesprochen, blickt er zurück, «aber den Mancunian-Akzent des Busfahrers habe ich drei Wochen nicht verstanden», sagt er und lacht. Der Akzent, der typisch ist für Manchester und Umgebung, hebt sich durch einen stärkeren nasalen Klang und die Ersetzung von «th»- Lauten durch «f» oder «v» vom «normalen» Englisch ab.
Kulinarik und Pub-Kultur
Zuerst lebte der Teenager etwas ausserhalb der Stadt. «Wir hatten viele Pakistani im Viertel», sagt er. Wohler fühlte er sich nach dem Umzug in die Nähe von Chinatown. Hier sagte ihm das kulinarische Angebot deutlich besser zu, insbesondere die Nudel- und Hotpot-Gerichte. «Gut essen zu können, das war mir wichtig», betont er. Mit dem Gang ins Ausland war auch ein Entwicklungsschritt in ein selbstständigeres Leben verbunden. «Ich habe gelernt, selbst zu kochen», so Bizzotto. Wobei ihm als Italiener Pasta-Gerichte besonders zusagen.
Zur britischen Lebensart gehört die Pub-Kultur. «Wenn man ins Royal Northern College of Music reinkommt, ist rechts gleich das Schul-Pub», beschreibt Bizzotto. Während er es sich aus Zürich gewohnt war, dass nach dem Üben alle wieder nach Hause gehen, wird hier das Verbindende mehr gepflegt. «Das hat schon etwas Schönes», sagt der Fagottist. Er habe das auch eine Zeit lang mitgemacht, dann aber gemerkt, dass es doch nicht so seins sei: «Ich übe am Abend lieber.»
Harziger Start an der Violine
Lanciert hat klein Bizzotto seine Musikkarriere an der Geige. Sein damaliger Lehrer fokussierte zu Beginn vollständig auf die Bogenführung. Die entsprechende Instruktion: «Nimm den Apfel – lass den Apfel», konnte der Junge bald nicht mehr ertragen. Er wechselte ans Klavier. Des Übens überdrüssig, habe er auch da unzählige Noten zerrissen.
Beim Musiker-Vater kam das natürlich nicht gut an. Renato Bizzotto versuchte, ihn für sein Instrument, die Oboe, zu begeistern. Dass es schliesslich das Fagott wurde, habe vor allem an seinem ersten Lehrer Matthias Racz gelegen. «Der nimmt sonst keine Anfänger, entsprechend gross war die Ehre», so Bizzotto junior. Sein Teil des Deals war es, jeden Tag mindestens eine halbe Stunde zu üben. Bis zur Volljährigkeit sei das nicht immer ganz freiwillig erfolgt, gibt Leonardo Bizzotto zu.
Heute übt der Fagottist in 40-Minuten-Blöcken drei bis sechs Stunden am Tag, die Orchesterarbeit nicht eingerechnet. «Ich habe mir angewöhnt, zwischen 8 und 9 Uhr aufzustehen, einen Kaffee zu trinken und dann Technik zu üben», sagt er. «Das ist wie Muskeltraining fürs Instrument.» Das tut er am Morgen, weil es am meisten Überwindung braucht. Die Pflicht vor der Kür.
Castings um Orchesterplätze
Der Masterabschluss allein ist nämlich noch kein Türöffner, um es in ein grosses Orchester zu schaffen. «Heute braucht es einen Master, um nur schon vorspielen zu dürfen», so Leonardo Bizzotto. Und dazu bewirbt er sich regelmässig. Aktuell beim Basler Symphonieorchester, nächstes Jahr etwa in Italien, an der Opera di Roma und am Gran Teatro La Fenice di Venezia. Als einer von jeweils etwa 100 bis 200 Fagottisten. Zum Vorspielen werden vielleicht 50 eingeladen. Drei schaffen es in die finale Runde. Und nicht in jedem Fall bekommt dann auch tatsächlich einer den Job.
Diese Art von Castings sagt Leonardo Bizzotto eigentlich gar nicht zu: «Ich finde es schwierig, Musiker zu vergleichen», sagt er. Zumal dann das Augenmerk stärker auf dem Technischen liege als auf der künstlerischleidenschaftlichen Gestaltungsform. Und gerade die ist dem 26-Jährigen wichtig. Er, der sich der italienischen Schule zuordnet, die das Musikalische in den Vordergrund stellt. «Im Konzert kann man auch mal musikalisch ein Licht aufgehen lassen. Das würde beim Vorspielen gerügt, da muss alles perfekt nach Buch sein», erklärt er den Unterschied.
Von klein auf vor Publikum
Entsprechend freut er sich, wenn es ihm gelingt, die Emotionen, die er beim Spielen empfindet, auch beim Zuhörer ankommen zu lassen. Sein Instrument bietet auch die dazu nötige Vielfalt. «Das Fagott ist das Chamäleon unter den Instrumenten», sagt er, «es ermöglicht sowohl sehr hohe wie auch sehr tiefe Töne.» Weiter eignet es sich sowohl für fröhlich-verspielte wie auch sehr melancholische Passagen. «Das Traurige gefällt mir besonders», sagt Leonardo Bizzotto. Als Unterstützer der Soli geht es oft darum, andere besser tönen zu lassen.
Beim Fagott ist es das Mundstück, das Rohr, das den Ton zu einem grossen Teil ausmacht. Dazu kommen das Fingerspiel, die Luftführung und der Ansatz. Und wo sieht der junge Mann bei sich selbst noch Entwicklungspotenzial? «Fagott-technisch habe ich kein Defizit», sagt er selbstbewusst. Weil er schon von klein auf vor Publikum auftreten durfte, werde er auch kaum noch nervös. Steigern könne er sich dagegen im mentalen Bereich: «Mich beeindruckt es, wie Sportler auf den Moment hin abliefern können», sagt er. Und: «Das bin ich noch am Lernen.»
«Muri Competition» als Ziel
Als nächsten Karriereschritt will Leonardo Bizzotto nun einen Job in einem guten Orchester ergattern. Sein Traum wäre eine Kombination von Kammermusik und Orchester, aber das ist für einen Fagottisten praktisch unmöglich. Andere Instrumente sind beliebter und auch die Kompositionen beschränken sich weitgehend aufs 17. Jahrhundert, die Zeit, als das Fagott «en vogue» war. Toll fände er die Kombination von Orchestertätigkeit und Professur.
In der Zwischenzeit will Leonardo Bizzotto seine Fähigkeiten auch an Wettbewerben unter Beweis stellen. Insbesondere an der «Muri Competition», die sein Vater Renato Bizzotto initiiert hat und immer noch leitet. Das höchstdotierte internationale Stelldichein für junge Oboen- und Fagott-Solisten findet alle drei Jahre statt, das nächste Mal im April 2026. «Im November muss ich mein Bewerbungsvideo einschicken», sagt Leonardo Bizzotto.
Sein Ziel ist es, den Final zu erreichen. «Die Skills dazu habe ich, wenn ich fleissig genug bin», ist er überzeugt. «Wenn ich mit meiner Darbietung zufrieden bin, die bei der Jury aber nicht ankommen sollte, kann ich auch damit leben», fügt er an.