Wie einst die Mönche
18.11.2022 WohlenBernhard Jäggi half bei der Abschrift der Zürcher Bibel mit – sie ist im Kloster Kappel ausgestellt
Er blickt auf ein einmaliges Projekt zurück: Von 2012 bis 2020 hat Bernhard Jäggi im Kloster Kappel am Albis gemeinsam mit anderen Freiwilligen die ...
Bernhard Jäggi half bei der Abschrift der Zürcher Bibel mit – sie ist im Kloster Kappel ausgestellt
Er blickt auf ein einmaliges Projekt zurück: Von 2012 bis 2020 hat Bernhard Jäggi im Kloster Kappel am Albis gemeinsam mit anderen Freiwilligen die Zürcher Bibel von Hand reproduziert. «Die Auseinandersetzung mit dem Buch war äusserst interessant», so der Senior.
Celeste Blanc
Das Skriptorium, die Schreibstube in den Klöstern, war in früheren Zeiten nebst der Bibliothek der zentrale Bereich der Wissenstradierung. Sie war der Arbeitsplatz zahlreicher Mönche, die einen Grossteil ihres Lebens damit verbrachten, Handschriften und Bücher abzuschreiben und damit der Nachwelt zu hinterlassen.
Fast ähnlich wie damals jene Mönche arbeitete der Wohler Bernhard Jäggi im Skriptorium des Klosters Kappel. Während acht Jahren schrieb er mit unzähligen Fläschchen Tinte an rund 200Tagen mehr als 200 Seiten der Zürcher Bibel in Schönschrift nieder. «Diese Arbeit brauchte eine Menge Geduld und Ausdauer», erzählt der 90-Jährige schmunzelnd. Dieses Projekt entstand mit Ausblick auf das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation im Jahr 2017.
Fehlerbehebung mit Nagelfeile
Die Zürcher Bibel geht auf die Arbeit von Ulrich Zwingli zurück, die er zwischen 1524 und 1529 von Martin Luthers deutscher Übersetzung in die eidgenössische Kanzleisprache übertrug. 2007 wurde diese neu übersetzt. Im Gedenken an die beiden Reformatoren Luther und Zwingli hatte Pfarrerin Elisabeth Wyss-Jenny die Idee, die Zürcher Bibel von Hand abzuschreiben. Gemeinsam mit Kalligraf Hansulrich Beer gleiste die Projektleiterin 2012 das umfangreiche Vorhaben auf. «Insofern stellte die Abschrift eine tiefe Verbindung zur damaligen Arbeit von Luther und Zwingli dar», erklärt Jäggi.
Über eine Bekannte ist der Wohler vor zehn Jahren auf das Projekt des Klosters Kappel aufmerksam gemacht worden. Die darauffolgenden acht Jahre fuhr der rüstige Rentner alle zwei Wochen für einen Tag nach Kappel am Albis, um weitere Seiten der Bibel abzuschreiben. Insgesamt 2000 Seiten wurden im Rahmen dieses Projekts reproduziert: Zuerst das Neue Testament mit seinen 445 Seiten, dem das Alte Testament mit 1566 Seiten folgte. Von den insgesamt 34 Teilnehmenden war Jäggi einer der Ersten, die am Projekt mitarbeiteten. Nach dem Start im März 2012 schrieb Jäggi im Juli 2012 seine erste Seite und partizipierte bis zum Projektende im Jahr 2020.
Konzentriert sein über mehrere Stunden
Nebst der Schreibarbeit wurde der Textkorpus durch selbstgewählte kalligrafische Sujets der Helfenden ergänzt. Einige dieser kunstvollen Seiten stammen von Bernhard Jäggi. «Das ganze Projekt hat mich von Anfang an fasziniert», erzählt er. «Das Schreiben, das Sich-in-etwas-Vertiefen – es war ein unglaublicher Spass. Und das bei jeder einzelnen Seite.»
Doch die Arbeit war auch herausfordernd. Über mehrere Stunden musste man die Konzentration aufrechterhalten. Und was passierte, wenn man sich verschrieben hatte? «Viele Fehler sind mir in all diesen Jahren nicht passiert», lacht Jäggi. Dennoch sei es vorgekommen. Dann versuchte man, den Fehler mit einer Nagelfeile zu beheben. Diese Korrekturmethode hatte man im Laufe des Projekts entdeckt. «Das Büttenpapier ist dick und die Tinte konnte leicht ‹weggefeilt› werden.»
In die Wiege gelegt
Schon immer hatte Jäggi eine besondere Leidenschaft für Schriften und Druckarbeiten. Sein Grossvater hatte eine kleine Druckerei im solothurnischen Mümliswil, sein Vater beschrieb Urkunden. «Man kann fast sagen, es ist mir ein bisschen in die Wiege gelegt worden», scherzt der gelernte Schriftsetzer, der in Mümliswil aufgewachsen ist und vor 61 Jahren durch eine Anstellung bei der Druckerei Kasimir Meyer AG von Zürich nach Wohlen gekommen ist.
Bereits in der Oberstufe besuchte er zahlreiche Kalligrafie-Kurse. Seither ist es ein leidenschaftliches Hobby. «Ich habe über all die Jahre in der ganzen Schweiz immer wieder Kurse besucht und selber an Kursen unterrichtet.» Es verwundert demnach nicht, dass er beim Einsenden seiner Schriftprobe sofort ins Projekt aufgenommen wurde. «Normalerweise musste man vorab einen Kalligrafie-Kurs besuchen, um die Schrift zu lernen. Bei mir hat die Erfahrung gereicht.» Und auch die gewählte Schrift, die italienisch-kursiven Buchstaben, kannte Jäggi bestens.
Vergleichbar mit Meditation
Auch durch die inhaltliche Auseinandersetzung sieht Bernhard Jäggi das Projekt als persönliche Bereicherung an. Es ermöglichte einem, den Glauben in seiner ursprünglichsten Form besser und nochmals neu kennenzulernen – und das trotz des teilweise schweren Inhalts. «Als Katholik kannte ich die Geschichten des Neuen Testaments, jene aus dem Alten Testament waren mir hingegen weniger bekannt.» Ihn habe erstaunt, wie blutrünstig die Geschichten zum Teil waren. «Es wurde hauptsächlich Krieg geführt. Und das erbarmungslos, auch Frauen und Kinder wurden schlimm behandelt. Es war damals nicht besser als heute.»
Die Arbeit von Bernhard Jäggi und den anderen Freiwilligen, die die Zürcher Bibel in traditionellem Handwerk reproduziert haben, kann heute im Lesezimmer des Klosters Kappel betrachtet werden. Die insgesamt drei Bände der Bibel liegen geschützt hinter Glas. Das Buch wurde aber digitalisiert. So kann man am entsprechenden Monitor in Ruhe durch die kalligrafische Meisterleistung blättern. «Auch heute noch ist es ein spezielles Gefühl, bei einem so grossen Projekt von Beginn an dabei zu sein. Die Arbeit brachte Ruhe – man konnte es durchaus mit Meditation vergleichen.»