Wohler mit Liechtenstein-Samba

  29.05.2020

«Unsere Regionalfussball-Stars von früher»: Gerhard Schädler, liechtensteinischer Nationalspieler

Gerhard Schädler ist ein Wohler, der lange in Brasilien gelebt und für Liechtenstein gespielt hat. Der Innenverteidiger war nicht der stärkste Techniker. Dank viel Kampfgeist und Willen kann er aber auf eine interessante Karriere zurückblicken.

Josip Lasic

Sehr viele Andenken an seine Zeit als Fussballer hat Gerhard Schädler nicht. Doch bei der Frage nach dem Trikot von Kubilay Türkyilmaz muss er in seiner Wohnung in Kölliken nicht lange suchen. Das Dress ist innerhalb von zwei Minuten gefunden. Der heute 60-jährige Wohler konnte am 12. März 1991, nach dem Freundschaftsspiel zwischen Liechtenstein und der Schweiz, mit «Kubi» das Leibchen tauschen und hält dieses Andenken in Ehren. Zuvor war Schädler – im Dienst des Fürstentums – in der Lage, den Schweizer Goalgetter über fast das gesamte Spiel abzumelden. «E wändige Siech» sei der «Kubi» gewesen, sagt der ehemalige Innenverteidiger. «Ich wusste nicht, wie ich ihn decken soll, damit er mir nicht schnell entwischt.» Irgendwie ging es aber. Und «Kubi» konnte beim 6:0-Sieg der Schweizer «nur» ein Tor gegen das Fürstentum erzielen.

Sich selbst beschreibt Schädler als «gross und schlaksig». Vor der Partie gegen die Schweiz sagte der Wohler, der damals beim FC Hägglingen in der 2. Liga spielte, gegenüber der Zeitschrift «Sport»: «Jonglieren ist nicht meine Stärke. Ich lebe vom Kampf.» Der damalige Hägglingen-Trainer Gery Schmidlin ergänzte: «Am Mann ist er besser als am Ball.» Und ausgerechnet dieser Schädler bot dem Schweizer Star Paroli.

Der «klassische Innenverteidiger»

Dass es so weit kommen würde, hätte zehn Jahre vorher kaum jemand vorausgesagt. Nur schon, dass Schädler für Liechtenstein angetreten ist, war eine grosse Überraschung. Bis heute betont der gelernte Elektromonteur, dass er Wohler ist. Ganz korrekt ist das nicht. Sein Bürgerort ist Vaduz. Die Schädlers sind allerdings vor Jahren aus Liechtenstein nach Wohlen gezogen. Der Ex-Fussballer gehört zur dritten Generation seiner Familie in Wohlen und hatte lange Zeit mit dem «Ländle» nicht viel am Hut.

Und mit Fussball auf Länderspielniveau ebenfalls nicht. Der Sport war eine grosse Leidenschaft für ihn, aber bei Weitem nicht seine einzige. Er war daneben Sänger in einer Rockband und ging sehr gern mit Freunden aus. «Der Sport hat mich aber davor bewahrt, wirklich grosse Dummheiten zu machen», sagt er lachend. Die Karriere wurde ausserdem immer wieder unterbrochen. Ein halbes Jahr lang arbeitete der Akkord-Elektriker im Irak, damals noch von Saddam Hussein regiert. Mehrmals zog es ihn zum Leben nach Brasilien. «Ich habe immer das gemacht, worauf ich gerade Lust hatte», sagt er. «Die Fussballer heute sind sicher professioneller als ich es war. Oft vergessen sie dabei aber zu leben.»

Gelebt hat Schädler neben dem Fussball. Auf seine Fähigkeiten auf dem Platz passt die beschönigte Beschreibung: «Klassischer Innenverteidiger». Die Aufgaben bestehen dabei aus rennen, kämpfen, grätschen, köpfeln, den Ball wegtreten – oder im Notfall den Gegner. «Das war meine Welt. Jeder kann einen schlechten Tag haben, aber rennen und kämpfen kann man immer. Das fehlt mir im heutigen Fussball», sagt der 60-Jährige. «Es ist grossartig, wie sich der Sport technisch und taktisch entwickelt hat. Eine Augenweide den heutigen Spielern zuzusehen. Aber mir fehlen die Typen auf dem Platz. Fussballer sind heute teilweise richtige Weicheier.»

Vom Regionalfussball an die Seite des Europameisters

Schädler war kein Weichei, aber auch kein Filigrantechniker. Der Haudegen pendelte fussballerisch deshalb lange im Freiamt zwischen 2. und 4. Liga. Wohlen, Bremgarten, Wohlen – und dann plötzlich Brugg in der 1. Liga. «Es war erstaunlich, dass ich auch dort immer gespielt habe. Beispielsweise habe ich neben dem Fussball auch geraucht. Heute undenkbar.» Als er aus Brugg wieder nach Wohlen zurückkam, spielte auch sein Stammverein in der 1. Liga. In den Abstiegsspielen ging es gegen Einsiedeln. Ein Funktionär des FC Glarus – damals in der Nationalliga B – kam, um einen anderen Wohler zu beobachten und sah Schädler.

So wechselte der Wohler 1989 plötzlich in die NLB. Sein Spielertrainer war kein geringerer als Hans-Peter Briegel, Europameister mit Deutschland 1980. Auch er kam frisch zu den Glarnern. Briegel als Libero und der gross gewachsene Schädler als Innenverteidiger davor, das passte. «Wir haben in der gesamten Saison kein Gegentor nach einem hohen Ball bekommen», sagt Schädler stolz. «Briegel und ich haben uns gut verstanden. Er war eine Kampfsau und ich war eine Kampfsau.»

Als der Wohler in der Zeitung las, dass Liechtenstein ein Testspiel gegen die USA bestreitet, wollte er dabei sein. Er wollte sich aber nicht beim Verband des Fürstentums anbiedern. Stattdessen wurde ein Freund beauftragt, den damaligen liechtensteinischen Trainer Erich Bürzle von den Fähigkeiten des Innenverteidigers zu überzeugen. Die Liechtensteiner, deren Topclub Vaduz damals nur in der Schweizerischen 1. Liga spielte, nutzten die Chance auf die Verstärkung aus der NLB.

Die unbekannte Hymne und der Trikottausch mit «Kubi»

«Ich kannte vor der Partie nicht mal die liechtensteinische Hymne», sagt Schädler lachend. Das Spiel gegen die USA ging mit 1:4 verloren. Schädler hätte gern das Trikot mit einem der US-Amerikaner getauscht, doch der Verband hatte es verboten. Er hatte zu wenig Geld, um neue Trikots anzuschaffen.

Knapp ein Jahr später sollte Schädler aber die Gelegenheit zu einem Trikottausch bekommen. Die Schweiz musste in der EM-Qualifikation gegen Rumänien antreten. Marcel Koller, der heutige Trainer des FC Basel, hätte in dieser Partie gesperrt gefehlt. Also musste ein Freundschaftsspiel her, in dem Koller seine Strafe absitzen konnte. Der kleine Nachbar aus Liechtenstein durfte als Sparring-Partner herhalten. Schädler, mittlerweile wieder im Freiamt beim FC Hägglingen, war wieder dabei. Seine Ansage vor dem Spiel: «Ich tausche heute ein Trikot und kaufe dann dem Verband selbst ein neues.» Nach diesem Spruch gestattete der Verband den Spielern die Leibchen zu tauschen. Und Gerhard Schädler erhielt sein «Kubi»-Dress.

Danach war die Nati-Karriere des Innenverteidigers zu Ende. Obwohl Liechtensteins Fussballverband seit 1974 Mitglied der FIFA und der UEFA ist, bestritt das Team aus dem Fürstentum lange keine Pflichtspiele. Die Qualifikation zur WM 1994 stand als Start für die Liechtensteiner zur Debatte. «Da wäre ich dabei gewesen. Noch ein paar Spiele gegen grössere Teams hätte ich gern mitgenommen.» Die Liechtensteiner entschieden sich aber, erst ab der Qualifikation für die EM 1996 anzutreten. Schädler fühlte sich da zu alt, um noch mitzumischen.

Der rebellische Nicht-Turner

Es hat nicht viel gefehlt und all das wäre nie passiert. Vater Albert Schädler, früher selbst Akteur beim FC Wohlen, hatte etwas dagegen, dass sein Sohn Fussball spielt. Stattdessen hat er ihn im Turnverein angemeldet. «Ich war definitiv kein Turner», sagt Gerhard Schädler lachend. Und ganz nach dem Motto: «Ich habe immer das gemacht, worauf ich gerade Lust hatte», verliess er den Turnverein heimlich und ging zu den Fussballern. «Ein Jahr lang wussten meine Eltern nicht, dass ich Fussball spiele.»

Diese Einstellung verfolgte Schädler ein Leben lang. Besonders, wenn es um Brasilien ging. Der Wohler mit den Wurzeln aus Liechtenstein hat dort eine weitere Heimat gefunden. «Obwohl ich fussballerisch nicht gerade ein Brasilianer bin», sagt er lachend. Er startete in Südamerika einen Versuch, Visitenkartendruckmaschinen zu vertreiben. Ohne grossen Erfolg. «Das kann passieren. Man muss Dinge probieren. Und wenn es nicht klappt, muss man wieder aufstehen und weitermachen.» Statt geschäftlichen Erfolg zu haben, hat er sich verlieben können. In seine Frau Helen, in Land und Leute – und in einen Fussballclub: Corinthians São Paulo.

Eine Zukunft in Portugal

Schädler, der nach eigener Aussage gern provoziert, wollte das der Familie seiner Frau zeigen. Sein Schwiegervater ist Fan vom FC São Paulo, der Bruder seiner Frau von Palmeiras São Paulo, beides Lokalrivalen von Corinthians. Bei einem Besuch bei der Familie überraschte er die beiden mit einem temporären Tattoo des Wappens von Corinthians. Zum Dank stellten sie ihm die Koffer vor die Tür. «Ich habe keine Angst anzuecken», sagt er lachend. Die Verbindung zum Land blieb bestehen. Zurück in der Schweiz hat er mit seiner Frau die Zeitschrift «Jornal Perfil» für brasilianische Einwanderer herausgegeben. Nach seiner Pensionierung will er mit seiner Frau erneut auswandern. Allerdings «nur» nach Portugal. «Ich liebe Brasilien, aber die hohe Kriminalität ist stressig», sagt er. «Ich wurde einmal überfallen. Eine Viertelstunde mit einer Pistole am Kopf, und du darfst keinen Ton sagen, sonst wirst du erschossen. Das Land soll keinesfalls auf die Kriminalität reduziert werden. Aber das war unangenehm.»

Fussball schaut sich Gerhard Schädler heute nur noch im Fernsehen an. Als Zuschauer war er in den 90er-Jahren zum letzten Mal im Stadion. «Mir fehlen echte Typen auf dem Platz», sagt er erneut. Er war definitiv einer.


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