Zwischen Liebe und Pulverfass

  20.12.2024 Wohlen

Gastbeitrag zu Weihnachten von Arlette Bär, Eheberatungsstelle Lenzburg-Freiamt-Seetal in Wohlen

Weihnachten ist nicht nur das Fest der schönen Geschenke. Es ist auch die Zeit «zwischen Liebe, Erwartungen und dem Pulverfass Familie». Dies thematisiert Psychologin Arlette Bär in ihrem Gastbeitrag.

Weihnachten – das Fest der Liebe, der Familie, der Besinnlichkeit. Jedes Jahr wird es herbeigesehnt, geplant und mit Erwartungen beladen, die oft schwerer wiegen als der schönste Weihnachtsbraten. Die Vorstellung von leuchtenden Kinderaugen, harmonischem Beisammensein und perfekt geschmückten Wohnzimmern steht im Kontrast zu den Realitäten, die sich allzu oft entfalten: Streit, Enttäuschung, Erschöpfung.

Der Wunsch nach Harmonie – und die Angst dazu

Wenn die Tage kürzer werden und der Dezember sich ankündigt, beginnt die Magie von Weihnachten bereits ihre Wirkung zu entfalten. Plötzlich sind wir wieder Kinder, die an den Duft von Guetzli und Zimt erinnert werden. Das Herz wird weich, und die Sehnsucht nach Geborgenheit und Frieden wächst. Doch die Erwartung, dass Weihnachten die Wunden eines ganzen Jahres (eines ganzen Lebens) heilt, ist ebenso unfair wie menschlich.

In Familien, wo das Jahr überschattet war von Konflikten oder unausgesprochenem Schmerz, entfaltet der festlich gedeckte Tisch oft auch seine Schattenseiten. Die Anwesenheit von Verwandten, die man kaum noch kennt, das Wiedersehen mit Geschwistern, die andere Lebenswege eingeschlagen haben, und die Gespräche, die zwischen Oberflächlichkeit und latentem Streit balancieren – all das kann das Herz schwer machen. Weihnachten überhöht, was ohnehin schon in uns lebt: den Wunsch nach Harmonie und die Angst, sie nicht zu finden.

Muss nicht vollkommen sein

Und plötzlich fliegen Worte, die sonst ungesagt bleiben, weil Weihnachten alles aus uns herausholt: das Gute, das Schöne, aber auch das Ungeheilte. Und darin liegt die Gelegenheit. Weihnachten zwingt uns, hinzusehen, zuzuhören und vielleicht sogar zu vergeben. Das Fest ist nicht perfekt und gerade darin liegt seine Kraft: im Chaos der Gefühle, im ehrlichen Versuch, einander nahe zu sein, und in den kleinen Momenten, die niemand geplant hat. Ein gemeinsames Lachen über ein misslungenes Geschenk, ein stiller Blick über den Tisch hinweg, der sagt: «Es tut mir leid», oder das Gefühl, dass es trotz allem gut ist, beieinander zu sein.

Wir müssen lernen, Weihnachten loszulassen – loszulassen von den Bildern, die wir uns selbst auferlegen. Es muss nicht vollkommen sein, damit es wertvoll ist. Es muss nicht friedlich sein, damit es wahrhaftig ist. Familie ist keine Konstante; sie lebt von Wandel, von Fehlern und von Vergebung. Vielleicht ist es gerade der Streit am Heiligabend, der zu einer Versöhnung führt, oder der unbeholfene Versuch, das auszusprechen, was sonst ungesagt bleibt.

Am Ende ist Weihnachten das, was wir daraus machen. Es kann ein Fest der Enttäuschungen sein, weil wir einander nicht gerecht werden, oder es kann ein Fest der Liebe sein, weil wir uns gerade im Unvollkommenen annehmen. Es ist nicht der geschmückte Baum oder die makellose Dekoration, die zählt, sondern der Mut, einander so zu begegnen, wie wir sind: verletzlich, hoffnungsvoll, voller Fehler und voller Liebe. Weihnachten zwingt uns zur Ehrlichkeit. Es erinnert uns daran, was wir haben und was wir vermissen. Es gibt uns die Möglichkeit, zu verzeihen, zu verstehen und neu zu beginnen.

Denn am Ende sind es nicht die teuren Geschenke oder das makellose Festessen, die uns in Erinnerung bleiben. Es sind die Momente, in denen wir uns wirklich nahe waren.

Weihnachten ist Liebe. Und Liebe ist nicht perfekt. Sie ist ein Fest, das sich entfaltet, wenn wir den Mut haben, all unsere Erwartungen loszulassen und uns selbst zu zeigen – verletzlich, ehrlich und menschlich. Weihnachten erinnert uns daran, was wirklich wichtig ist. Es schenkt uns die Möglichkeit, miteinander zu wachsen – auch und gerade dann, wenn es schwierig wird.

Am Ende ist es das, was wirklich zählt. … und falls die Weihnachtszeit doch zur Belastung für die Beziehung, für die Familie wird, besteht die Möglichkeit, Unterstützung bei einer Eheberatungsstelle zu suchen. Die ökumenische Ehe- und Paarberatung bietet Paaren, Einzelpersonen, Familien und Gruppen Unterstützung in einem geschützten Raum. Die professionelle Begleitung durch uns hilft, die eigentlichen Ursachen von Konflikten zu erkennen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Seit 2023 ist dieses Angebot dem Kirchlichen Regionalen Sozialdienst Wohlen und Umgebung von Caritas Aargau angeschlossen. Lassen Sie sich inspirieren. Entdecken Sie hilfreiche Informationen, Angebote und Unterstützung, die auf Ihre Bedürfnisse abgestimmt sind. Frohe Weihnachten und eine Zeit voller Liebe und Freude.

Arlette Bär, Psychologin, ökumenische Eheberatungsstelle Lenzburg-Freiamt-Seetal, Emanuel-Isler-Haus, Kirchenplatz 2, Wohlen. – Kontakte: Arlette Bär, eheberatung@caritas-aargau.ch – arl@caritas-aargau.ch – Telefon 056 622 92 66. – Info: caritas-regio.ch/angebote/familie/ familien-und-paarberatung.


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