Carmen Bärtschi, Zürich, vormals Bremgarten und Wohlen.
Wagt es
«Warum bist du so unordentlich?» «Warum bist du so faul?» «Warum setzt du dich nicht einfach hin und machst die ...
Carmen Bärtschi, Zürich, vormals Bremgarten und Wohlen.
Wagt es
«Warum bist du so unordentlich?» «Warum bist du so faul?» «Warum setzt du dich nicht einfach hin und machst die Hausaufgaben, Buchhaltung, Steuererklärung?» «Du hast so viel Potenzial. Warum nutzt du es nicht?» «Wie konntest du dies nur vergessen?» Die Antwort?
Nun, das Blöde ist, dass Sie sich genau dasselbe fragen. Zumindest wenn Sie ADHS haben. Passiert dies ständig, kommen Sie nicht darum herum, sich dumm zu fühlen. Aus diesem Grund leiden auch so viele Menschen mit ADHS, oder ADS, wie der stillere Typ ohne Hyperaktivität genannt wird, unter einem schlechten Selbstwert und Depressionen. Oder auch Angststörungen. Denn wer weiss, dass er sich selbst nicht trauen kann, da er etwas vergessen haben könnte, wird, von Selbstzweifeln geplagt, manchmal einfach resigniert aufgeben oder aber versuchen, dies irgendwie wettzumachen. Zum Beispiel mit ellenlangen «To Do»-Listen oder Kalendereinträgen für alles.
Die Konsequenz ist eine überfüllte Agenda. Wie soll man hier noch entspannen? Somit wartet das Burn-out hinter der nächsten Ecke. Die Überforderung ist vorprogrammiert. Dies klingt alles sehr defizitär. Dabei wird jedoch vergessen, dass ADHS nicht einfach nur eine pathologische Störung, sondern auch mit Stärken verbunden ist und Vorteile für die Gesellschaft haben kann. ADHSler können Pioniere sein, Innovationen vorantreiben und über den Tassenrand hinausdenken. Pioniere sind Leute in einer Truppe, die ganz weit vorn laufen, die zuerst mit dem Gesicht nach unten im Matsch landen und als Erste den Pfeil im Rücken haben. Dies zu wagen, erfordert Mut, neue Wege zu gehen und zu scheitern.
Wie auch Constantin Seibt, ein Gründungsmitglied der unabhängigen Onlinezeitung «Republik», deren Leser und Leserinnen gleichzeitig Verleger und Verlegerinnen sind. Er hat mit 50 im Zuge der Gründung erkannt, dass er selbst ADHS hat, darüber in seiner ADHS-Kolumne geschrieben und sich öffentlich geoutet. Seinem Beispiel folgend, möchte ich hier dasselbe tun. Und allen nicht neurotypischen Menschen nahelegen, dies ebenfalls zu wagen. Sucht euch eure Nische. Wagt es, als Pioniere, Querulanten und Querdenker hervorzutreten und neue Wege zu gehen. Die alten haben uns hierher geführt. Doch sind wir zufrieden damit?