Glaube, Politik und Familie

  13.09.2022 Muri

Das Privatarchiv der Kaiserin Zita ist geöffnet

Die Kabinettausstellung «Für Gott, Kaiser und Kinder» im Museum Kloster Muri ermöglicht erstmals und exklusiv einen Einblick in die verschiedenen Facetten im Leben von Kaiserin Zita. An der Vernissage sprach ihr Enkel, Erzherzog Simeon von Habsburg, darüber, wie er seine Grossmutter erleben durfte.

Susanne Schild

«Nicht geschichtlich, politisch oder biografisch, sondern als Mensch soll Kaiserin Zita in der Ausstellung gezeigt werden. Einblicke in ihr Leben als Frau, Ehefrau, Mutter und Grossmutter werden preisgegeben», sagte Heidi Holdener, Geschäftsführerin Murikultur, an der Vernissage.

Der Titel der Ausstellung «Gott, Kaiser und Kinder» sei sehr treffend, lobte der Enkel der letzen Kaiserin von Österreich, Erzherzog Simeon von Habsburg. «Bei den Besuchen meiner Grossmutter in Zizers erlebte ich sie als sehr gläubige Frau.» Seit 1962 lebte Zita im St.-Johannes-Stift in Zizers, Bistum Chur. 1989 starb sie dort. Sie bestimmte, dass ihr Herz unter demjenigen ihres Gatten Karl I. von Österreich in der Loretokapelle in Muri beigesetzt werde.

Intelligent, unkompliziert, gottesfürchtig und bescheiden

«Sie war aber auch eine sehr moderne Frau. Jeden Tag schaute sie die Nachrichten», so der Erzherzog weiter. «Ich hatte das grosse Glück, sie zwanzig Jahre lang erleben zu dürfen. Sie war intelligent, unkompliziert, gottesfürchtig und sehr bescheiden. Ihre Prioritäten waren tatsächlich Gott, Kaiser und Kinder», bestätigte Erzherzog Simeon von Habsburg. Zita habe als Kaiserin die Geschichte geprägt, sei aber immer auch Ehefrau, Mutter, Grossmutter, Urgrossmutter und sogar Ur-Ur-Grossmutter gewesen. Seine Familie habe eine enge Beziehung mit Muri. «Uns verbindet eine lange gemeinsame Geschichte», so der Erzherzog. Umso erfreulicher sei es, dass das Privatarchiv seiner Grossmutter 2012 nach Muri kam. «Und ich bin überzeugt, dass es auch hier bleiben wird.» Einblicke in das bewegte Leben seiner Grossmutter werden noch bis zum 6. November zu sehen sein.


Eine unendliche Fundgrube

Vernissage der Ausstellung «Für Gott, Kaiser und Kinder»

hat das einzigartige und grossartige Privileg, das Archiv der letzten Kaiserin Europas für die Nachwelt erhalten zu dürfen. 2012 kam das Archiv nach Muri. Der Historiker und Archivar Dr. Josef Kunz ordnete und verzeichnete die über 60 Laufmeter Akten zusammen mit drei weiteren Personen. Thomas Frei ist Kurator der Ausstellung.

Susanne Schild

Ein imposanter Turm mit den Originalkisten lässt erahnen, wie riesig das Privatarchiv der Kaiserin ist. Auf dem Screen laufen Loop-Fotos aus fünf Fotoalben aus frühen Jahren. In den drei Vitrinen liegt eine Auswahl von Dokumenten und Briefen, welche Einblick in das Leben der Kaiserin erlauben. «Zwei besondere Frauen stehen mit dem Kloster Muri in Verbindung.

Ita von Lothringen, die zusammen mit Radbot von Habsburg mutmasslich um 1027 das Kloster Muri gründete, und Zita, die letzte Kaiserin von Österreich», sagte Heidi Holdener. Und weiter: «Das Archiv hier haben zu dürfen, ist eine grosse Freude und Ehre, denn Muri ist mit der Familie Habsburg stark verbunden. Das Kloster sei ein Erinnerungs- und Gedenkort.» 1000Jahre nach der Gründung habe man durch die Bestattung der Herzen von Kaiserin Zita und ihrem Gemahl Kaiser Karl I. wieder zu seinen Wurzeln in Muri zurückgefunden, bestätigte der Erzherzog Simeon von Habsburg. Seine Grosseltern führten ein bewegtes Leben. Acht Kinder gingen aus der Ehe hervor.

Ein für die europäische Geschichte wertvolles Archiv

«Es war mir als Historiker und Archivar vergönnt, zusammen mit einem Team während sechs Jahren dieses Archiv zu ordnen», sagte Dr. Josef Kunz. Muri habe damit ein Archiv, das eines Tages für die europäische Geschichte einen ganz grossen Stellenwert haben wird.

Ganz klar sei allerdings, Verursacherin sei die Kaiserin Zita höchstpersönlich. Sie habe, wie es sich für eine Dame von Welt gehört, laufend aufgezeichnet, was an grossen Geschichten abgelaufen ist. «Sie hat aber auch kleine Dinge notiert, beispielsweise aus dem Alltag der Kinder, aus dem Alltag der Kaiserin, Königin, und auch als Mutter von acht Kindern. Dazu gesellten sich später 33 Enkelkinder, 110 Urgrosskinder und 31 Ur-Ur-Grosskinder», so der Historiker.

Rückblende auf ein gelebtes Leben

Im Laufe der Jahre hat Zita alles gesammelt. «Es sind Momentaufnahmen, die sie auf Notizzettel geschrieben hat, Tausende von Briefen, Rosenkränze und vieles mehr. Man kann sich fragen: warum?», sagte Dr. Josef Kunz. Vermutlich weniger, um die eigene Grösse zu dokumentieren. Vielmehr, und das dürfte generell für alle gelten, die ein Tagebuch schreiben, weil man das, was einen im tiefsten Herzen bewegt, später in der Rückblende als ein gelebtes Leben erkennen möchte. All diese Erinnerungen in den Kisten, Koffern, Truhen und Schachteln waren allerdings nicht geordnet. «Sonst wäre meine Arbeit in einem halben Jahr erledigt gewesen», sagte Kunz. «Dr. Josef Kunz hat Ordnung in das Chaos gebracht», sagte Kurator Thomas Frei. Zita habe alles archiviert, da sie immer davon ausgegangen sei, dass ihr Sohn Otto eines Tages Kaiser von Österreich werden würde.

Die Wegstationen der Kaiserin müsse man kennen, um alles richtig einordnen zu können. Aufgewachsen in Pianore im Herzogtum Parma, dann Wien, Schönbrunn, dann Eckeratsau, dann Exil in der Schweiz, in Rorschach, Prangins, Hertenstein, Budapest und Verbannung nach Madeira. Es folgten Lequeitio in Spanien, Steenokkerzeel in Belgien, dann Flucht vor den Nazis nach New York, Quebec, nach dem Krieg dann wieder New York, 1949 dann Luxemburg und schliesslich 1962 Zizers. Immer kam das Archiv mit, und es wurde immer mehr.

Wie ein «Birchermüesli»

«Zuerst fehlte der Überblick», bestätigte der Historiker. Als das Archiv 2012 nach Muri kam, wusste niemand so genau, was in den weit über 100 Behältnissen war. «Eine unendliche Fundgrube», so Heidi Holdener. 2015 hatte Dr. Josef Kunz ein ganzes Jahr lang Kiste für Kiste durchstöbert und für jede Kiste ein Grobinventar erstellt. «Aber das war noch keine systematische Ordnung, weder chronologisch noch thematisch, und auch nicht nach Personen oder Ereignissen.»

Eine chronologische Ordnung wäre nicht infrage gekommen, so der Archivar, denn es wäre dann wie ein «Birchermüesli», Politisches mit Familärem, Kirchliches mit Reisen, Briefe an Präsidenten mit Kinderzeichnungen vermischt worden. Dutzende von Schachteln seien mit Materialien gefüllt, die Erzherzog Otto betreffen. Also hätten grosse Themen herauskristallisiert werden müssen.

Grünes Licht von den Enkeln

Um die Ausstellung realisieren zu können, habe man stark selektieren müssen, erklärte Kurator Thomas Frei. «Anfänglich hat es fast einen halben Tag gedauert, um einen Brief überhaupt zu entziffern. Es waren teilweise schnelle Notizen mit einem ungespitzten Bleistift.» Das gesammelte, für die Ausstellung infrage kommende Material habe er dann den Enkeln vorgelegt. «Shnell erhielt ich grünes Licht», sagte Frei. Jetzt konnte er loslegen. In den drei Vitrinen liegt eine Auswahl an Dokumenten und Briefen, welche einen Einblick in das Leben der Kaiserin erlauben. «Unter jedem Brief ist kurz der historische Zusammenhang beschrieben. Dann folgt meine Interpretation, warum das gemacht worden sei. Ein Historiker oder die Enkel hätten wahrscheinlich eine andere Ausstellung gemacht.» Die erste Vitrine zeigt persönliche Briefe an Karl. Die zweite ihre Religiosität und die dritte ihr Verhältnis zu den Kindern. Kaiserin Zita werde so als politischer Mensch mit ambitionierten Zielen und auch als besorgte Gattin und Mutter sichtbar.

Menschen kommen zu Wort, die die Kaiserin persönlich getroffen haben. «Sie bestätigen das Bild einer charismatischen, willensstarken Frau. In der Ausstellung wird man Antworten auf Fragen finden, die man nie gestellt hat. Aber man wird sich auch neue Fragen stellen», sagte Frei.


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