Der «Böse» wird ganz zahm

  19.08.2022 Sport

Mit Hilfe der Mutter Christine will Joel Strebel seinen zweiten Kranz am Eidgenössischen

Christine Strebel macht alles für ihren Sohn, den Freiämter Eidgenossen Joel Strebel. Die Mutter des Spitzenschwingers erzählt, wie er als kleiner Junge war, wieso er Erfolg hat – und warum sie sich in seiner Jugendzeit grosse Sorgen um ihn machte.

Stefan Sprenger

«Ach komm, Mami», sagt Joel Strebel und fährt sich etwas schüchtern mit der Hand über den Kopf. «Musst du das jetzt wirklich erzählen?», sagt er – und hat keinerlei Einfluss auf ihre Antwort. Die Mutter sagt. «Ja, das ist doch nicht schlimm. Du wolltest als kleiner Junge nie mit mir basteln. Du wolltest immer im Sandkasten spielen, draussen sein oder mit dem Vater auf die Arbeit mit.» Joel Strebel schaut die Mutter an: «Du hast natürlich recht.»

Die Mutter, die Powerfrau

Dieser Interviewtermin ist besonders. Für einmal erhält nicht der Eidgenosse Joel Strebel die grösste Aufmerksamkeit. Der Spitzenschwinger, dem man am Eidgenössischen Schwingund Älplerfest am 27./28. August einen Spitzenplatz zutraut, muss für einmal die Bühne seiner Mutter überlassen.

Christine Strebel selbst ist eine Powerfrau. Und sie kennt sich bestens aus mit dem Schwingsport. Die 52-Jährige lernte vor rund 30 Jahren Kurt Strebel in der «Pfyfe-Bar» in Meisterschwanden kennen. Auch er war ein starker Freiämter Schwinger, der in seiner Karriere 21 Kränze holte. Sohn Joel hat mittlerweile schon 28 Kränze und ist 2019 in Zug Eidgenosse geworden. Christine Strebel, die seit 20 Jahren am Guggibad-Schwinget mithilft, sagt: «Joel wird auch in Pratteln auftrumpfen. Ich spüre das.» Sohn Joel sitzt daneben und kann nur zahm lächeln. Die Mutter schaut ihn mit grossen Augen an: «Sehen Sie das? Er ist ein Schlitzohr. Genau wie sein Vater.»

In rund einer Woche wird die ganze Familie Strebel in Pratteln mitfiebern. Joel Strebel will seinen zweiten eidgenössischen Kranz. An vorderster Front wird seine Mutter Christine sein. «Ultranervös», werde sie sein. Für die Gegner ihres Sohnes hat sie im Vorfeld schlechte Nachrichten.


Mama und ihr «kleiner» Eidgenosse

Ein Treffen mit dem Eidgenossen Joel Strebel und seiner Mutter Christine Strebel

In einer Woche gilt es ernst: Joel Strebel ist die grösste Freiämter Hoffnung am «Eidgenössischen» in Pratteln. Sein grösster Fan ist Mutter Christine Strebel. Sie sagt: «Wenn er in Fahrt kommt, können sich seine Gegner die Socken hochziehen.»

Stefan Sprenger

25. März 1997. Ein kleiner Junge namens Joel kommt im Spital Muri zur Welt. 51 cm gross, 3750 kg schwer. Er kam elf Tage über dem errechneten Termin. Die Hebamme meinte, «das ist ein Junge, der weiss, was er will.» Heute ist dieses Baby 25 Jahre alt, 1,92 m gross, über 120 kg schwer – und ein gefürchteter Sägemehl-Athlet. Joel Strebel, 28-facher Kranzssieger und «Eidgenosse». «Und trotzdem ist er noch mein kleiner Junge», wie Mutter Christine Strebel erzählt.

Kennenlernen in der «Pfyfe-Bar»

Zum Mittagessen gabs Ghackets mit Hörnli und Apfelmus. Joel Strebel – der mit seiner Freundin gleich ums Eck in Aristau wohnt – geniesst sooft er kann die Kochkünste der Mutter. «Wenn meine Freundin nicht kochen kann, gehe ich zur Mutter», sagt Strebel – der von sich selbst sagt, dass er überhaupt nicht kochen kann. «Er ist aber kritisch. Ein heikler Esser. Er will immer alles frisch. Tupperware mag er gar nicht», sagt die Mutter. Joel Strebels Urteil über das Mittagessen garniert er mit einem saftigen Lachen: «Nicht schlecht.»

Mutter Christine Strebel macht alles für ihren Sohn. «Enorm stolz» sei sie auf ihn. Nicht nur, was seine sportlichen Höchstleistungen anbelangt. «Er ist auch menschlich gut rausgekommen. Freundlich, angenehm, ruhig.» Vater Kurt sei da schon etwas anders gewesen, offener, stürmischer. Kennengelernt haben sie sich Anfang der 1990er-Jahre in der «Pfyfe-Bar» in Meisterschwanden. «Sonntagabends war dort immer die Hölle los», weiss Christine Strebel, die damals jeweils extra aus ihrer Heimat Full-Reuenthal an den Hallwilersee kam. Und eines Abends stand dieser grosse, breite Mann vor ihr. «Gestürmt» habe er, wie sie sagt. Kurt Strebel wollte Christine ausführen. Zuerst blockt sie. Dann sagt sie doch zu für ein erstes Date. «Aufgrund eines familiären Notfalls hat er mir dann abgesagt. Das tat schon weh.» Aber er kriegt eine zweite Chance und nutzt diese. Sie verlieben sich. «Und dann gings ruckzuck.» Sie ziehen gemeinsam nach Unterlunkhofen (später nach Birri, dann nach Aristau). Im Dezember 1996 – zwei Jahre nach dem ersten Date – heiraten sie zivil. Im März 1997 kommt Joel zur Welt. Im September 1997 heiraten sie kirchlich – inklusive Taufe von Joel. Zwei Jahre später folgt Tochter Lisa.

«Eine duregeh» liegt nicht mehr drin

Gleichzeitig erlebt Christine Strebel die letzten Züge der Schwingerkarriere ihres Mannes. An den Kranzgewinn 1996 am Aargauer Kantonalschwingfest in Beinwil erinnert sie sich bestens. «Die Freiämter hatten damals eine ganz starke Truppe. Marcel und Wisi Villiger, die Schmid-Brüder aus Hägglingen – oder Stefan Strebel.» Insgesamt acht Freiämter konnten ans Eidgenössische. Doch damals sei vieles anders gewesen. Trainiert wurde zweimal pro Woche, Velofahren gehörte auch dazu. «Alles war viel weniger professionell. Dafür wurde ein Kranzgewinn umso heftiger gefeiert», lacht Christine Strebel. Geblieben sei aber der riesige Zusammenhalt unter den Freiämter Schwingern. «Das erlebte ich damals und auch heute gleich.»

Wenn Christine Strebel von damals erzählt, hört ihr Sohn Joel gespannt zu. Er hat viele Geschichten schon mal gehört – aber nicht alle. Als es ums «Festen» geht, kann er sich ein Lachen nicht verkneifen. Die Mutter riecht den Braten sofort: «Ja, ja. Joel hat als junger Bursche auch mal Gas gegeben.» Sie hatte manchmal Angst um ihn. Im Alter zwischen 15 und 18 Jahren sei er viel unterwegs gewesen, im Ausgang mit Freunden. Schliesslich wurde er viel ruhiger, der Ausgang wurde sehr selten. Mit 19 fokussiert er sich voll auf den Schwingsport. «Eine duregeh», das liegt nicht mehr drin. Die Mutter ist froh. Und sie glaubt, dass auch bei ihrem Mann Kurt Strebel mehr möglich gewesen wäre in dessen Schwingkarriere, wenn er dieselben professionellen Voraussetzungen gehabt hätte wie Joel. Immerhin: Kurt Strebel nimmt in seiner Karriere an zwei «Eidgenössischen» teil – beide Male ist nach vier Gängen aber schon Schluss.

Für Joel Strebel wird das «Eidgenössische» in Pratteln am 27. und 28. August bereits die dritte Teilnahme sein. In Zug 2019 holte er sich den begehrten Kranz und krönte sich zum Eidgenossen, zum «Bösen». Und 2022? «Ich freue mich. Der Kranz ist das Ziel. Natürlich», sagt Joel Strebel, der das Selbstvertrauen und das Wissen hat, dass er auch grosse Kaliber ins Sägemehl befördern kann. «Wenn er in Fahrt kommt, müssen sich seine Gegner die Socken hochziehen. Wenns ihm läuft, dann gehts ab», sagt die Mutter euphorisch.

Joel Strebel zur Mutter: «Du musst ja nicht schwingen»

Joel Strebel freut sich sehr auf diese Tage in Pratteln. «Der Einmarsch am Samstagmorgen, die rund 50 000 Zuschauer, das wird schon geil.» Die Mutter weiss: «Vor drei Jahren in Zug war er nervöser. Jetzt ist er schon Eidgenosse. Ein Vorteil.» Der Sohn stichelt rüber zur Mutter: «Du musst ja nicht schwingen.» Ihr ist vor allem wichtig, dass ihr «kleiner» Joel gesund bleibt. «Und wenn er sich den Kranz holt, würde ich ihm das von Herzen gönnen.»

Christine Strebel ist eine Powerfrau. Das muss sie auch sein, um ihren Schwingermännern die Stirn zu bieten. Im Familienbetrieb «Kurt Strebel Zäune und Vorplätze», wo Vater und Sohn arbeiten, ist sie für die Büroarbeit zuständig. Sie arbeitet zudem sporadisch im Brotwagen in Merenschwand, schmeisst zu Hause den Haushalt – und macht als Mitglied der Theatergesellschaft Oberwil-Lieli gerne Theater.

«Erzähl jetzt keinen Seich»

Sie wird gefragt, was Joel Strebel für ein Kind war. Sie blickt ihn mit grossen Augen an. «Erzähl jetzt keinen Seich», sagt Joel Strebel. Am liebsten sei er mit dem Vater zur Arbeit gegangen. Er wollte immer draussen sein, etwas mit den Händen machen. «Filigrane Sachen wie basteln mochte er gar nicht», erzählt die 52-Jährige. In den Kindergarten und zur Schule ging er nie gerne.

Als 1-Jähriger kriegt Joel Strebel von Ex-Schwinger Marcel Villiger ein Edelweisshemd geschenkt. Am Guggibad-Schwinget 1998, als kleines Baby, trägt er dieses Hemd zum ersten Mal. Sein Weg in Richtung Schwingsport wurde schon früh geebnet. Doch als Jungschwinger musste er oft untendurch. Er war zwar gross, aber auch sehr schlank und meist 10 bis 20 kg leichter als seine gleichaltrigen Gegner. «Er musste sich alles erkämpfen», weiss die Mutter. Mit Stefan Strebel, dem heutigen höchsten Schwinger der Schweiz, hatte er einen hervorragenden Jungschwinger-Trainer. Trotzdem verlor er viel und oft. «Aber jede Niederlage hat ihn nur stärker gemacht.»

Die Eltern, die Freundin – und die Schwester Lisa

Stärke erhält er viel von der Familie und seinem Umfeld. In Pratteln wird er von einem Fanklub von rund 50 Menschen angefeuert. Zum engsten Kreis gehören Vater Kurt, Mutter Christine, Freundin Aline – und Schwester Lisa. Als sie zum Thema wird, geschieht etwas, das in Gegenwart von Joel Strebel eher selten geschieht. Er meldet sich zu Wort und möchte unbedingt etwas sagen. «Lisa arbeitet im Gesundheitsbereich und hilft mir immer mit meinen körperlichen Beschwerden. Und sie musste oft etwas zurückstecken, weil es wegen des Schwingens in der Familie oft um mich ging. Aber sie hat mich immer grossartig unterstützt, das will ich unbedingt sagen. Ich finde das wirklich toll. Ich bin dankbar für alle Menschen, die mir helfen und mich unterstützen. Ohne diesen grossen Support hätte ich es nie so weit geschafft.» Joel Strebel ist kein Mann der grossen Worte, aber ein Typ Mensch, der viel Demut in sich hat. Die Mutter wird noch ein wenig stolzer. «Er ist ruhig, sagt nicht viel. Aber wenn, dann hat es Hand und Fuss.»

«Ich werde in Pratteln hibbelig sein»

Noch eine Woche und dann steigt mit dem Eidgenössischen das absolute Saison-Highlight. «Meine Mutter ist wohl fast nervöser als ich», sagt Joel Strebel und stupft dabei die Mutter mit dem Ellbogen sanft an. «Ja, ja. Ich werde in Pratteln ziemlich hibbelig sein», meint sie. Die Familie hofft, dass man am Sonntagabend gemeinsam feiern darf, den zweiten eidgenössischen Kranz. Strebel cool: «Ganz ruhig. Es muss alles erst geschwungen werden.»

Mutter Christine Strebel wird für ihren «kleinen» Joel sowieso da sein – eidgenössischer Kranz hin oder her. Als er vor wenigen Monaten von zu Hause ausgezogen ist, «hat es mir schon ein wenig das Herz gebrochen», sagt sie. Aber sie habe ihn in gute Hände übergeben. Und wenn er mal Hunger hat, ist das Hotel Mama immer offen. «Was gibts morgen zum Mittagessen?», fragt Joel Strebel.


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