Kampf für autonomen Freiraum

  17.08.2022 Bremgarten

Sommerserie «Zeitgeschichte»: Die Entstehung des Kulturzentrums Bremgarten «KuZeB»

Seit 30 Jahren prägt das «KuZeB» mit seiner alternativen Ausrichtung die Kultur im Städtli. Ein Rückblick in die Anfangszeit zeigt, dass der Weg dahin nicht einfach war. Gründungsmitglied Patrick «Pat» Schneider erinnert sich.

Celeste Blanc

Harte Gitarrenriffs, lautes Schlagzeug, farbige, zerzauste Haare: Es ist ein schöner Nachmittag im Frühling 1992, als fetzige Punkmusik durch die Strassen von Bremgarten weht, in denen sich die Stände des Pfingstmarkts aneinanderreihen. Die Zuger Punkband «Die Cadizier» liess es auf der kleinen Dachterrasse der alten Kleiderfabrik Meyer & Co. – zur Freude der einen, zum Unverständnis der anderen – richtig krachen. Es war eine der ersten Aktionen, die den Anspruch auf einen Kulturraum unterstreichen sollten.

Turbulent, spannend, verrückt – so beschreibt «KuZeB»-Urgestein und Gründungsmitglied Patrick Schneider, den viele unter seinem Spitznamen Pat kennen, die Anfangszeit. Er sitzt hinter der Bar des Konzertsaals, zieht an seiner Zigarette und lässt den Blick die Wände entlangschweifen, die, wie alle Räume im «KuZeB», durch die bunten Malereien und verschiedenen Plakate Geschichten aus drei Jahrzehnten erzählen. «Es fühlte sich nach einer unglaublichen Aufbruchsstimmung an, die einen in ihren Bann zog.»

Neue Besetzungswelle

Zwei Jahre zuvor. Die Anfänge des «KuZeB» gehen auf den Sommer 1990 zurück. Im überschaubaren Bremgarten sollte etwas entstehen, das in den grossen Städten wie Zürich, Bern und Neuenburg bereits existierte: ein Kulturzentrum, in dem alternative Lebensformen unkompliziert und barrierefrei möglich sind. Dieser Wunsch wurzelte in der Jugend bewegung A nfang der 1980er-Jahre. Die Forderungen nach einem selbstbestimmten, autonomen Raum verebbten in den daraufkommenden Jahren, bis sie in einer neuen Welle Anfang 1990 wieder laut wurden. Nebst grossen Städten erreichten sie im Aargau unter anderem Rheinfelden, Aarau, Baden sowie auch das Freiamt und gingen mit Besetzungen von leer stehenden Räumen, vor allem alten Fabrikhallen, einher. Viele dieser Fabriken standen seit den späten 1970er-Jahren aufgrund des Umbruchs innerhalb der nationalen Industrie und der damit einhergehenden Deindustrialisierung leer. So auch die Kleiderfabrik Meyer & Co., die Anfang 1990 bereits seit 12 Jahren ungenutzt war.

Die erste Besetzung der Kleiderfabrik tätigte heimlich eine Handvoll Punks vom Mutschellen und von der Stadt Zürich, zu denen Pat Schneider und der damalige Mieter der Wohnung Jürg Keller nicht zählten. Die kleine Gruppe sei ihnen damals zuvorgekommen. «Jürg und ich standen bereits in Kontakt mit den Besitzern Guido und Max Meyer, um die Räumlichkeiten zu mieten und als Kulturraum zu nutzen», erzählt Schneider, der sich hinter der hohen Bar auf einen Hocker setzt. «In Bremgarten gab es damals, abgesehen vom Rathaus-Kollektiv, nicht viel für die jungen Erwachsenen. Das wollten wir ändern.» Er zeigt auf die kleine Bühne in der Ecke des Raums. «Erste Konzerte wurden von den Besetzern organisiert, und wir schlossen uns ihnen an. Da wurde uns das Potenzial des Hauses, einen nichtkommerziellen Kultur- und Freizeitraum zu schaffen, noch mehr bewusst.»

Mit der Besetzung liessen die Probleme mit den Behörden nicht lange auf sich warten. Es kam zu diversen Polizeieinsätzen und Razzien. Nebst Lärmstörung und Hausfriedensbruch wurden auch Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz geahndet. «Ein paar, die damals in der Drogenszene auf dem Platzspitz in Zürich verkehrten, hielten sich auch hier auf», blickt das Gründungsmitglied zurück.

Die Stadt wandte sich mit der Forderung, das Haus zu räumen, an die Brüder Meyer. Bilateral vereinbarten Besitzer und Besetzer, dass das Haus bis Ostern 1991 zu verlassen sei. Die Idee eines autonomen Kulturzentrums liess Schneider und seine Freunde jedoch nicht los. «Wir hielten uns daran, das Haus nicht dauerhaft zu bewohnen. Aber wir setzten alles daran, es als Vereinshaus zu nutzen.» Sie gründeten 1992 den «Verein KulturZentrum Bremgarten KuZeB». Nach anfangs diversen vergeblichen Versuchen, die Liegenschaft zu mieten, kam es schliesslich zwischen den Besitzern und dem Verein 1992 zu einer Einigung.

Gemeinsame Power

Pat Schneider war damals 30 Jahre alt. Dass sich die gleiche Möglichkeit für das «KuZeB» im Städtli auftat und es nach drei Jahrzehnten noch besteht, ist für ihn eine wahre Erfolgsgeschichte. Die meisten Besetzungen mit den gleichen Ambitionen mussten teilweise nach kurzer Zeit wieder geräumt werden. Er dankt den Brüdern Guido und Max Meyer, die ihnen stets wohlwollend gegenüberstanden. «Auch wenn sie sich wiederholt von uns distanziert haben, haben sie uns geduldet. Wir wussten, dass wir, wenn wir bleiben wollten, für die behördlichen Sachen selber verantwortlich sein mussten.»

Mit der Gründung packten alle an, um das marode Fabrikgebäude «als Denkmal zu erhalten». Aufnahmen von «KuZeB»-TV aus der Anfangszeit zeugen von den vielseitigen Sanierungsarbeiten. Dass man so viel Effort in das Haus gesteckt habe, war auch eine Wertschätzung an die Besitzer. Deshalb wurde das Schild «Meyer & Co.» an der Aussenfassade belassen und zwischenzeitlich aufgewertet. Für Schneider ist dieser Zusammenhalt etwas, was ihn während der ganzen «KuZeB»-Zeit begleitete: «Die Power, die entstehen kann, wenn alle anpacken, ist unglaublich. Wir haben seither viel zustande gebracht und Hunderte von Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Auch wenn die Träume manchmal zu gross waren.»

Zwischen eigenem Weg und Kompromissen

Das «KuZeB» polarisierte stark. Der berühmte Ausspruch «Schandfleck» haftet dem autonomen Zentrum noch heute an. Pat zuckt mit den Schultern: «Egal, was wir tun, wir haben seit Beginn mit diesem Vorurteil zu kämpfen.» Viele der Vorurteile waren unberechtigt. Nebst dem «Schandfleck» war auch die «Drogenhöhle» eine gängige Bezeichnung. «Wir haben den Konsum von harten Drogen nie geduldet.» Prägend und belastend waren in den frühen 90er-Jahren die Aktivitäten der «Radikalen Mutschellenfront», die die Gegend mit Übergriffen auf Asylbewerber und Andersdenkende terrorisierte. Die Gruppe versuchte wiederholt, Veranstaltungen in der Kleiderfabrik zu stören. Nach einem Angriff auf ein Rockkonzert «Rockballast» im Casino und massiver Zerstörung im leeren «KuZeB» am gleichen Abend wurden die Rechtsradikalen dann endlich für ihre Gewalt gegen die Asylbewerber verurteilt.

Schwierig wurde, dass einige Bewohnerinnen und Bewohner wie auch die Medien einen Link zum «Ku-ZeB» machten. «Wir hatten nichts damit zu tun. Aber Stimmen wurden laut, dass, wenn wir bestehen bleiben, die Rechtsradikalen automatisch angezogen würden.» In der Folge wurde vom «KuZeB» intensive Öffentlichkeitsarbeit geleistet und Pressekonferenzen sowie Aktionstage organisiert, um die Vorurteile abzubauen. Die vielen Auf lagen von Stadt, Feuerpolizei und AEW wurden nach konstruktiven Verhandlungen vom Verein mit grossem Engagement kreativ umgesetzt. «Egal, was man uns vorgeworfen hat: Wir haben für unseren selbst verwalteten Freiraum gekämpft und liessen uns nicht aufhalten.» Wenn Pat Schneider 30 Jahre später auf den Beginn zurückblickt, muss er schmunzeln. «Ich denke, dass viele keinen ‹rechtsfreien Raum› in Bremgarten haben wollten. Dabei stimmte das so nicht. Wir sind einfach nicht hierarchisch strukturiert und halten basisdemokratische Ansätze hoch. Uns sollte keiner reinreden, aber wir wollten Konstruktives leisten und unser Kulturzentrum im Rahmen der Legalität nach unseren eigenen Vorstellungen gestalten.»

Weitere Informationen zur Geschichte des «KuZeB» finden sich auf der Homepage der Zeitgeschichte Aargau (www.zeitgeschichte-aargau.ch/fundus/ kuzeb), der Homepage des Kulturzentrums oder im Buch «20 Jahre KuZeB» (bestellbar unter www.kuzeb.ch).


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