Sturm-und-Drang-Jahre

  03.08.2022 Kallern

Gelungene Premiere auf dem Niesenberg

Die Musikcollage «abARTiger Teufelskerl» der Fledermäuse auf dem Niesenberg feiert Erfolg.

Die Sänger überzeugten mit musikalisch anspruchsvollen Parts und setzten auch ihre Rollen äusserst ansprechend um. Mit dem beeindruckenden Ambiente im Restaurant Niesenberg und dem mundenden Essen überzeugte die Premiere die Besucher. Mit ihrem neusten Werk für das Operettenensemble die Fledermäuse schuf die Regisseurin Hanna Matti eine Hommage an die Jugendjahre Wedekinds und seine damaligen Bezugspersonen. --red


Tausendsassa und Herzensbrecher

Musikcollage «abARTiger Teufelskerl» der Fledermäuse auf dem Niesenberg

Mit ihrem neusten Werk für das Operettenensemble schuf Hanna Matti eine Hommage an die Jugendjahre Wedekinds und seine damaligen Bezugspersonen. Dabei setzt sie sich auch kritisch mit dem Künstler auseinander und kreierte dadurch eine unterhaltsame Musikcollage, gespickt mit vielen musikalischen Perlen.

Joël Gattlen

Frank Wedekind war seines Zeichens ein wahrer Tausendsassa. Schriftsteller, Dramatiker, Dichter, Schauspieler und Herzensbrecher. Er gehört heute zu den meistgespielten Dramatikern seiner Epoche. Seine Werke wie etwa «Frühlings Erwachen» werden regelmässig an Schweizer Schulen gelesen. Doch der grosse Erfolg war ihm zu Lebzeiten erst in seinen Mittvierzigern beschieden, was jedoch nicht heisst, dass Wedekinds früheres Leben nicht minder turbulent war.

Schon sein Vater war ein Weltenmann. Dieser stammte aus einem alten deutschen Adelsgeschlecht, war seines Zeichens Gynäkologe und arbeitete über zehn Jahre als Arzt des türkischen Sultans. Später wanderte dieser in die USA aus. Dort kam er dank Grundstückspekulationen während des kalifornischen Goldrausches zu einem sehr grossen Vermö- gen und heiratete schliesslich Emilie Kammerer, eine junge Schauspielerin und die spätere Mutter von Wedekind.

Schloss Lenzburg gekauft, Frauen den Kopf verdreht

Später emigrierte die Familie in die Schweiz nach Lenzburg, wo der Vater Schloss Lenzburg kaufte. Frank Wedekind drückte hier die Schulbank, verbrachte seine Jugendjahre und fand viele Freunde und Liebschaften. Mit seinen Gedichten verdrehte er den Lenzburger Frauen den Kopf. Später besuchte Wedekind gemeinsam mit Oskar Schibler, späterer Aargauer Regierungsrat und Polizeiund Justizdirektor, die Kantonsschule Aarau. Dabei trieben es die beiden an und nach Verbindungsfesten so wild, dass Schibler schliesslich sogar von der Kantonsschule flog. Dieser turbulenten Zeit, den Sturm-und-Drang-Jahren Wedekinds, widmete Regisseurin Hanna Matti ihr neustes Werk mit dem klingenden Namen «abARTiger Teufelskerl», welches sie für das Operettenensemble die Fledermäuse schrieb.

Besonderes Augenmerk legte die Regisseurin dabei auf Wedekinds frech-frivole Bänkellieder, erzählende Lieder mit häufig dramatischen Inhalten, und die beschaulichen Texte seiner Jugendfreundin, der Othmarsinger Mundartschriftstellerin Sophie Haemmerli-Marti. Gekonnt kombinierte Matti diese mit operettigen Stücken.

Fragwürdiges Frauenbild Wedekinds

Doch die Regisseurin gestaltete ihr neustes Werk nicht nur als reine Hommage an den bedeutenden Dramatiker, sondern setzte sich auch kritisch mit ihm auseinander. «Wedekind hatte ein äusserst bedenkliches Frauenbild. Dieses reduzierte er insbesondere auf Schönheit, Anmut und Beweglichkeit. Die drei zentralen Eigenschaften einer seiner Ansicht nach guten Frau. In meinem Stück redet Wedekinds Mutter ihm deswegen ins Gewissen und ermahnt ihn, dass ein biegsames Wesen irgendwann verformt wird und dadurch schliesslich verkümmert und nicht mehr sich selbst ist. Dies kann keinesfalls erstrebenswert sein», mahnt Matti.

«Die Proben waren dieses Jahr aufgrund der Hitze besonders herausfordernd. Diese macht, wenn man nicht aufpasst, aufgrund der Trockenheit den Stimmen zu schaffen. Aber es sind alles Profis, die wissen, wie damit umzugehen ist», sagt Matti. Relativ kurzfristig musste zudem Ersatz für die Mezzosopranistin Maja Hermann gefunden werden, welche sich eine virale Stimmbandentzündung einfing. «Mit Barbara Baer haben wir allerdings einen super Ersatz gefunden. Sie verfügt über eine Musical- und eine klassische Ausbildung. Eine perfekte Kombination also», schwärmt Matti. Generell begeisterte das Ensemble aus Andrea Hofstetter, Sopran, Barbara Baer, Mezzosopran, und den beiden Tenören Niklaus Rüegg und Daniel Zihlmann das Publikum. Die Sänger überzeugten mit musikalisch anspruchsvollen Parts und setzten auch ihre Rollen äusserst ansprechend um. Besonders gelungen war auch die Darbietung von Wedekind selbst, gespielt von Tenor Zihlmann. Rüegg überzeugte seinerseits mit seiner schalkischen Art und glasklarer Stimme.

Inspiration in Kunst von Anna Maria Gautschi geschöpft

Inspiration für ihr neustes Werk fand Regisseurin Hanna Matti in ihrer Leidenschaft für die Texte und Lieder von Wedekind und dem Kunstwerk mit dem Titel «Frauenzimmer» von Künstlerin Anna Maria Gautschi, der Mutter des Niesenbergwirts Jürg Meyer. «Ich finde ihre Kunst grossartig. Das Bild zeigt mehrere Frauen, was mich an Wedekinds ‹Tanten› in Lenzburg erinnerte, welche im Stück eine zentrale Rolle haben. Die ‹literarische› Minna von Greyerz, die ‹erotische› Bertha Jahn und die «philosophische» Olga Plümacher», verrät Matti.

Für das perfekte Operettenerlebnis auf dem Niesenberg trägt jedoch nicht nur die Musik und das Schauspiel der Fledermäuse bei, sondern auch das perfekt darauf abgestimmte kulinarische Erlebnis der Wirtsleute Nicole und Jürg Meyer-Erni mit ihrem Niesenberg-Team. Dies kam auch bei den Operettenbesuchern gut an. Unter diesen befanden sich Heinz (81) und Yvonne Geissberger (67), beide aus Tennwil. «Wir kommen seit vielen Jahren zur Operette und sind jedes Jahr aufs Neue begeistert. Es ist sehr eindrücklich, wie es Regisseurin Hanna Matti jedes Mal gelingt, etwas ganz Einzigartiges und Neues zu kreieren. Uns gefallen die Musik, das gute Essen und die wundervolle Stimmung hier auf dem Niesenberg», schwärmt das Ehepaar.

Die ursprüngliche Premiere vom 29. Juli wurde wetterbedingt neu auf den Sonntag, 7. August, verschoben. Es sind noch einige Plätze frei. Reservationen unter 079 217 06 25.


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