Ein tragischer Abend

  03.06.2022 Sport

Fussball, 1. Liga, 1. Aufstiegsspiel: Bulle – Wohlen 4:1 (3:0) – Rückspiel am Samstag (17 Uhr)

Der FC Wohlen wird vom FC Bulle verprügelt. Die Freiämter kassieren drei Tore innert 30 Minuten und zeigen die schlechteste Halbzeit der gesamten Saison. Und das ausgerechnet im ersten Aufstiegsspiel. «Miserabel», meint Captain Alban Pnishi. Das Team steht vor dem Rückspiel in den Niedermatten mit dem Rücken zur Wand.

Stefan Sprenger

Schlusspfiff. Freudenstimmung im morschen Stade de Bouleyres in Bulle. Kinder stürmen auf den Rasen. Sie feiern die Bulle-Spieler wie Helden. In der Club-Bar wird mit Cüpli angestossen. Die Stimmung unter den 1000 einheimischen Fans ist ausgelassen. Nach dem 4:1-Erfolg gegen den FC Wohlen glaubt hier niemand, dass man diesen Vorsprung im Rückspiel noch aus den Füssen gibt. Zu überlegen waren die Fribourger, zu desolat die Freiämter. Es war ein magischer Abend für Bulle und ein tragischer Abend für Wohlen.

Kein Licht über rechts, Bulle kommt über links

«Ein paar Spieler waren nicht bereit und wussten nicht, worum es geht. Es braucht aber alle, einfach alle», sagt Mittelfeldkämpfer Esat Balaj enttäuscht. Captain Alban Pnishi meint: «Ich hatte vor der Partie das Gefühl, dass wir bereit sind. Auf dem Platz hat man davon aber nicht viel gesehen.» Die Wohler sind von Beginn weg unter Druck. Bulle hat die zweitbeste Offensive der gesamten 1. Liga classic – und beweist diese Qualitäten eindrücklich. 8. Minute: Angriff über links: Bulle-Captain Maxime Afonso f lankt herrlich auf den früheren YB-Junior Robin Golliard. Seine Direktabnahme landet im Tor. Die Wohler Verteidigung ist dabei inexistent. «Wir kamen nie in die Zweikämpfe, standen immer zu weit weg von den Gegenspielern, haben sie immer schiessen lassen», sagt Pnishi.

Waser und Golaj mit groben Schnitzern

Der FC Bulle erhält die Offensive meist über links. Besser so, weil auf der rechten Seite die Fluchtlicht-Anlage den Geist aufgibt. Das Heimteam kommt mehrmals brandgefährlich vor das FCW-Tor. Doch es benötigt einen individuellen Fehler, damit man noch einen draufsetzen kann. Der Fehlpass des Yannick Waser, der einen schwarzen Tag einzog, überrumpelt die eigene Defensive. Bulle-Mittelfeldspieler Vedad Efendic schliesst sein herrliches Solo in die untere Torecke ab. 2:0 nach 30 Minuten. Es kommt noch schlimmer. Fehler des nervösen Edison Golaj, ein perfekter Schuss von Robin Golliard. 3:0 nach 38 Minuten. «Vielleicht waren wir zu selbstsicher», so Pnishi.

In der Offensive hat der FC Wohlen im ersten Durchgang drei Aktionen. Davide Giampà versucht von der Mittellinie den Goalie zu überrumpeln und scheitert nur knapp. Luigi Milicaj bringt nach einem Konter nur das Aussennetz zum Zittern. Und die Schwalbe von Luiyi Lugo im Strafraum brachte ihm nur die Gelbe Karte ein. Der FC Bulle beweist auch in der Abwehr eindrücklich seine Qualitäten, denn die Fribourger kassierten in der Meisterschaft nur 23 Gegentore und haben damit den besten Wert der gesamten 1. Liga classic.

Hoffnung keimt auf – und wird gleich wieder erstickt

In den zweiten 45 Minuten wollten die Wohler den Schaden in Grenzen halten und ebenfalls Tore schiessen. Der FCW bäumt sich auf. Jedenfalls ein bisschen. Denn irgendwie scheint an diesem Abend nicht viel gelingen zu wollen. Trotzdem gelingt Luiyi Lugo das Anschlusstor (58. Minute, 3:1). Während bei den rund 100 mitgereisten FCW-Fans etwas Hoffnung aufkeimt, explodiert die Stimmung im Stadion vollends. Nur zwei Minuten später fliegt ein Eckball in den FCW-Strafraum. Arthur Deschenaux setzt sich im Zweikampf mit Gianluca Calbucci durch. 4:1. Bulle feiert ausgelassen.

Immerhin: Der FC Wohlen hat bis zum Schlusspfiff noch zwei hochkarätige Chancen. Doch Lugo und der eingewechselte Schiavano vergeben aus bester Position. Auch der FC Bulle vergibt noch zwei Grosschancen. So bleibt es bei der 1:4-Niederlage im Hinspiel. Auch in dieser Höhe ein verdientes Resultat, denn Bulle war eine Klasse besser als die Wohler.

Pnishi: «Es ist noch nicht vorbei»

Für das Rückspiel am Samstag in den Niedermatten bedeutet dies eine sehr grosse Hypothek. Wohlen muss mindestens drei Tore mehr schiessen als Bulle, um sich wenigstens in die Verlängerung zu retten. Sonst ist die Aufstiegspoule schon nach der ersten von zwei Runden für den FCW vorüber. Die Wohler zeigen sich kämpferisch und geben nicht auf. «Es ist noch nicht vorbei. Wir müssen jetzt alles reinwerfen», sagt FCW-Captain Pnishi. Esat Balaj meint: «Wir haben jetzt ein Endspiel und liegen mit drei Toren hinten. Ich glaube, jetzt weiss auch wirklich jeder, worum es geht. Ich glaube an die Wende.»

«Wir müssen jetzt eben drei Tore schiessen»

Eine halbe Stunde nach Spielschluss steht Luigi Milicaj hinter dem Stadion. Die fröhliche Stimmung im Stade de Bouleyres und die klimpernden Cüpli-Gläser sind bis hierhin zu hören. Was für Gefühle hat Milicaj in diesem Moment? «Ich würde am liebsten sofort wieder auf den Platz gehen. Wir müssen jetzt eben mindestens drei Tore schiessen. Wir müssen daran glauben.» Glaubt er selbst noch daran? «Natürlich, sonst können wir Bulle ja gleich sagen, dass sie gar nicht nach Wohlen kommen müssen. Das wird noch ein harter Fight», verspricht er.


NACHGEFRAGT

«Ich habe das Team gewarnt»

Gefasst, enttäuscht und wohl auch etwas überrascht angesichts der schwachen Vorstellung seines Teams. FC-Wohlen-Trainer Ryszard Komornicki gibt nach der 1:4-Pleite im ersten Aufstiegsspiel gegen Bulle Auskunft über die Gründe dieser Niederlage.

Das Team kommt auf den Platz im ersten Aufstiegsspiel und scheint nicht bereit zu sein für diese Aufgabe. Wie erklären Sie sich das?

Ryszard Komornicki: Als Trainer bin ich verantwortlich, ich trage die Schuld. Vielleicht habe ich das Team schlecht eingestellt. Vielleicht hätte ich Dinge anders machen sollen. Vielleicht hätten wir im letzten Saisonspiel gegen Münsingen nicht mit der zweiten Garde antreten sollen. Fakt ist, wir haben gegen Bulle Horror verteidigt. Wir wollten nur ein bisschen mitspielen. Mir fehlten Disziplin, Wille, Kampfgeist und Solidarität.

In der Meisterschaft haben Sie immer den Fokus auf eine stabile Defensive gelegt. Gegen Bulle kassiert man drei Gegentore in einer Halbzeit.

Wir wollten es wieder so tun. Aber es ist uns nicht gelungen. Ich habe das Team gewarnt vor dieser Offensive. Bulle hat über 60 Kisten gemacht in der Saison, das ist kein Zufall. Und doch lassen wir sie gewähren.

Die Gegentore fallen alle nach individuellen Fehlern. Machen Sie einzelnen Spielern einen Vorwurf?

Es waren individuelle Fehler, ja. Aber es fehlte auch an Solidarität, wir haben einander nicht geholfen. Es gab kaum Unterstützung für den Mitspieler. Einige Spieler habe ich kaum mehr erkannt. Ich hatte das Gefühl, wir wollten einfach schön Fussball spielen. In solch einem Spiel geht es aber in erster Linie um Kampf- und Laufbereitschaft. Das haben wir nur ungenügend gezeigt.

1:4. Im Rückspiel am Samstag muss der FC Wohlen mindestens drei Tore schiessen. Haben Sie noch Hoffnung?

Wir hätten heute in der Schlussphase noch ein Tor mehr machen sollen. Aber ganz ehrlich: Wir hätten es nicht verdient. Ob ich noch Hoffnung habe? Wenn wir am Samstag so spielen wie heute, können wir gleich in die Ferien fahren. Es braucht nun viel, sehr viel. Aber ja, natürlich habe ich noch Hoffnung. Wir geben nicht auf. --spr


«Das war gar nichts»

VR-Präsident André Richner

Er ist eigentlich nie verlegen, um einen treffenden Satz zu formulieren. In Bulle war jedoch vieles anders, selbst für André Richner, Verwaltungsratspräsident der FC Wohlen AG. «Mir fehlen eigentlich die Worte», sagte er kurz nach Spielschluss. Das 4:1 für die Freiburger hatte ihm fast die Sprache verschlagen, wobei es vor allem der fahrlässige Auftritt seines FC Wohlen war, der ihn fast sprachlos zurückliess. «Es war ziemlich bedenklich. Wir sind mit viel Hoffnung hierhergereist, und die Mannschaft lieferte vor allem eines: nichts. Das war gar nichts.»

«So habe ich den FC Wohlen noch nie gesehen»

Die Mannschaft sei schlichtweg nicht bereit gewesen für einen Aufstiegsfight. Warum? Das würde er auch gerne wissen. «Denn so habe ich den FC Wohlen noch nie gesehen.» Fehlpässe, keine Präzision, keine Präsenz, keine Zweikampfstärke. «Wir haben es dem Gegner sehr einfach gemacht», so Richner weiter. Und der FC Wohlen hat eine starke Saison praktisch in einer Partie zunichtegemacht. Die schlechte Leistung ist nicht schönzureden. Und trotzdem hätte das Resultat noch einigermassen erträglich aussehen können, sogar müssen. «Wir hätten wenigstens ein zweites Tor gebraucht», haderte er. Und die Chancen dazu hatten Lugo und Schiavano in der Schlussphase auf dem Fuss. «Oder wir hätten nach unserem Anschlusstreffer nie und nimmer gleich postwendend das vierte Gegentor erhalten dürfen.» Es sei unerklärlich, wie die Mannschaft mit diesen entscheidenden Situationen umgegangen sei.

Ein Daueroptimist

Trotzdem: Richner hat die Aufstiegsspiele noch nicht gänzlich abgeschrieben. «Ich bin Daueroptimist.» Und im Heimspiel vom Samstag sei noch vieles möglich. Die Chance, dass sein FC Wohlen die erste Runde der Aufstiegsspiele trotzdem überstehen kann, beziffert er mit 40 Prozent. Tatsächlich ein Daueroptimist. --dm


So würde es weitergehen

Der FC Wohlen steht nach der 1:4-Niederlage im Hinspiel gegen den FC Bulle mit dem Rücken zur Wand. Am Samstag (17 Uhr) müssen die Wohler im Heimspiel nach 90 Minuten mindestens drei Tore mehr auf dem Konto haben als Bulle, dann würde es zur Verlängerung kommen. Bei einem Erfolg mit mehr als drei Toren würde man in die nächste (und letzte) Runde einziehen und wäre weiter im Rennen um den Aufstieg in die 1. Liga Promotion. Sollte dem FC Wohlen dies gelingen, würde man am kommenden Mittwoch auswärts auf den Sieger des Duells Echallens/Tuggen treffen – und am Samstag (11. Juni) das Rückspiel zu Hause in den Niedermatten austragen.

Da aufgrund der Pfingstfeiertage die nächste Ausgabe erst am kommenden Mittwoch (8. Juni) erscheint, wird ein Spielbericht vom Spiel vom Samstag zwischen Wohlen und Bulle online auf der Homepage dieser Zeitung abrufbar sein. --spr


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