Glitzer und Glamour

  27.05.2022 Bremgarten

Moritz Bütler veranstaltet im Kellertheater die erste Drag Show des Freiamts

Funkelnd, ausschweifend und äusserst schrill verkleidet sich der Merenschwander Moritz Bütler jeweils, wenn er mit «Miss Moe Tivation» als Frau in Erscheinung tritt. Nun hat er eine Show auf die Beine gestellt, die man ausserhalb von Grossstädten nur selten bewundern kann.

Marco Huwyler

«Es gibt auch in der Schweiz erstaunlich viele von uns», sagt Moritz Bütler. «Nur treten sie abgesehen von einzelnen LGBT-Events oder Demonstrationen kaum in der Öffentlichkeit in Erscheinung.» Mit «uns» meint der 25-Jährige «Dragqueens». Männer also, die sich in glamouröse, typisch weibliche Kleidung werfen, dickes, farbiges, kunstvolles Make-up auftragen, ausladende Perücken aufsetzen und dazu noch Schuhe tragen, deren Absätze nicht hoch genug sein können.

Wo sie auftreten, ist Power und Exzentrik garantiert. Nur ist dies ausserhalb von Schwulenszenen in Grossstädten nur selten der Fall. Es gibt kaum entsprechende Shows in der Schweiz. Und schon gar nicht im beschaulichen Freiamt.

Zeichen setzen

Der in Merenschwand aufgewachsene Bütler ändert dies nun. Am 25. Juni spielt er gemeinsam mit zwei anderen Drag Queens im Kellertheater.

In seiner Show «Fabulös im Freiamt» geht es um das Thema «Queer aufwachsen» – um das Schwul- und Lesbisch-Sein in der Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. «Ich möchte damit dazu beitragen, dass sich die entsprechenden Jugendlichen weniger alleine fühlen», sagt Bütler. Immer wieder komme es bei unglücklichen Jugendlichen, die das Gefühl haben, durch ihre sexuelle Orientierung falsch oder minderwertig zu sein, zu Depressionen oder gar Suiziden. «Dem möchte ich mit meiner Show entgegenwirken.» Die Eintrittspreise hat er extra erschwinglich gehalten, damit sich auch betroffene Teenager den Besuch im Kellertheater leisten können. «Gewinn machen wir unter dem Strich also sicher nicht besonders», sagt er. Doch das ist auch nicht das Ziel der «Drag Queens».


«Ein schwules Vorbild sein»

Moritz Bütler schlüpft zuweilen in die Rolle der «Miss Moe Tivation». Am 25. Juni tritt diese im Kellertheater auf.

«Fabulös im Freiamt» heisst die Drag-Queen-Show, mit der drei junge Männer im schrillen Frauengewand in rund einem Monat Bremgarten verzaubern möchten. Initiiert wurde das Spektakel von einem Freiämter, der mit dem Anlass auch eine ihm wichtige Botschaft verbreiten möchte.

Marco Huwyler

«Eigentlich bin ich ein eher unauffälliger Mensch. Jemand den man in einer Gruppe kaum wahrnimmt und nach flüchtigen Begegnungen schnell wieder vergisst», sagt Moritz Bütler lächelnd über sich selbst. Der 25-Jährige studiert Publizistik und wohnt bei seinen Eltern in Merenschwand, wo er aufgewachsen ist und einen Grossteil seines Lebens verbrachte.

Doch manchmal überkommt ihn die Lust, aus der relativen Unscheinbarkeit des gemächlichen Freiämter Dorf lebens auszubrechen. Dann schlüpft Bütler in die Rolle der schrillen, farbigen und funkelnden «Miss Moe Tivation».

Der Name seines Alter Ego ist ein Wortspiel. Nicht vorhandene Motivation soll er ausdrücken. «Eigentlich war es ursprünglich umgekehrt», erklärt Bütler. «Ich wollte mit ‹Moe Tivation› meine Energie und meinen Antrieb zum ‹Anders-Sein› ausdrücken. Doch dann fand ich das doppeldeutige ‹Miss› (englisch sowohl für ‹Fräulein› als auch für ‹(ver)missen›) so verlockend und passend als vorausgehenden Zusatz, dass ich die Bedeutung kurzerhand ins Gegenteil drehte. Nun steht der Künstlername halt für meine Gefühlslage während der Kantijahre», lacht Bütler.

Suche nach Identität

Zur Schulzeit in Wohlen hat Bütler nämlich gelinde gesagt ambivalente Erinnerungen. «Es war für mich, wie für viele Jugendliche in diesem Alter, eine schwierige Phase der Selbstfindung. Und als Schwuler ist diese oft noch intensiver und irritierender als für andere.» Offen zu seiner Homosexualität zu stehen, fiel dem 25-Jährigen lange Zeit schwer. Dabei geholfen hat ihm schliesslich auch die Rolle als Dragqueen, die er bis heute als zweite Identität behalten hat. «Begonnen hat alles mit einer Projektarbeit», erzählt Bütler. «Weil ich entschlossen war, nach einer langen Zeit der Hemmung für alle sichtbar als Homosexueller durchs Leben zu gehen, wollte ich im Rahmen dieser Arbeit das Schwulste machen, was mir in den Sinn kam.» So verkleidete und schminkte sich Bütler mit Hilfe einer Kollegin zur schrillen Frau und dokumentierte die Zwischenschritte und das Ergebnis in einem Fotoshooting. Das Feedback fiel äusserst positiv aus, die Schulnote auch und Bütler hatte mit der neu geschaffenen Rolle fortan eine Plattform, seine Homosexualität auszudrücken und seine künstlerische Ader auszuleben. «Ich fand gefallen an Miss Moe Tivation», lächelt Bütler. So verkleidete er sich immer öfter als Dragqueen, widmete der neuen Rolle auch seine Maturarbeit und wagte sich bisweilen gar als schrille Frau in die Öffentlichkeit. Die Phase als unsicherer, bedeckter Homosexueller war damit für Bütler endgültig passé.

Hemmungen in der Schweiz

Die Rolle als Dragqueen hat zuweilen erstaunliche Effekte und bringt Vorteile mit sich. Wenn Bütler in die Rolle der Miss Moe Tivation schlüpft, wird er ganz anders wahrgenommen, wie er berichtet. «Ich erhalte plötzlich von überall viel mehr Aufmerksamkeit. Die Leute nehmen mich ernster. Auch wenn ich nicht anders spreche, muss ich als Dragqueen nicht laut sein, um gehört zu werden.» Auf den Strassen spüre er zwar, wie ihn die Leute anstarren, wenn er verkleidet sei. Doch als Dragqueen macht Bütler dies nichts aus. «Ich lächle sie dann an und winke ihnen zu.» Die meisten Schweizer würden sich in der Folge verstohlen abwenden. «Ich finde das ein wenig schade und würde mir mehr Dialog wünschen. Ich rede nämlich gerne darüber und möchte den Menschen Verständnis für die Hinter- und Beweggründe vermitteln.

Nur Kinder hätten weniger Hemmungen. «Die fragen mich manchmal, weshalb ich als Mann solche Dinge trage», erzählt Bütler. «Ich erkläre ihnen dann jeweils, dass ich finde, dass jeder das anziehen dürfen soll, was er schön findet – und dafür haben die Kleinen jeweils viel Verständnis.»

Aufträge in Berlin

Endgültig in die Rolle der Miss Moe Tivation gewachsen ist Bütler dann in Deutschland. Während dreier Jahre absolvierte er in Berlin die Ausbildung zum Maskenbildner. Und ging am Feierabend oft als Dragqueen auf die Strassen. «Der Unterschied zum Freiamt könnte kaum grösser sein», erzählt Bütler lachend. «In Berlin ist ein solcher Aufzug völlig normal. Wer wie angezogen ist, schert niemanden.» In der deutschen Hauptstadt erhielt der Merenschwander auch erste Auftritte für seine Tanz- und Bewegungsshows «in Drag», wie er es ausdrückt. «Die regelmässige Bühnenpräsenz hat meine Performance diesbezüglich nochmals auf ein neues Level gehoben und das Profil der Miss Moe Tivation geschärft.» Als schrill, glitzernd, «aber nicht zu sexy», beschreibt Bütler seine Dragqueen. «Ich lasse mich oft auch von historischen Kleidern inspirieren – gerade aus der Spät-Renaissance. Und natürlich muss das Outfit zur Musik passen, zu der ich performe.»

Eine Inspiration sein

Mindestens drei verschiedene Kostüme, die er selber designt und hergestellt hat, wird Bütler als Miss Moe Tivation in Bremgarten tragen. Für das Kellertheater hat er eine Show auf die Beine gestellt, die «einzigartig für das Freiamt» sein wird. «Mir hat schon länger so etwas vorgeschwebt», sagt er. Ein Stück, welches das Aufwachsen als Homosexueller in all seinen Facetten thematisieren soll. «Also das, was ich selbst einst durchmachte.» Gemeinsam mit zwei anderen Drag Queens, die er bei der «Zug-Pride» kennen- und schätzen gelernt hat, zeigt Bütler tanzend und ausschweifend die verschiedenen Stadien, die ein «typischer Homosexueller» auf seinem Weg bis zum Coming-out durchmacht: Kindheit, Verdrängung, Akzeptanz, Befreiung (nach dem Outing), «zweite Pubertät» (Dinge als offen Schwuler nachholen) und schliesslich Stolz auf die eigene Identität.

Durch das Stück will Bütler vor allem Jugendlichen Mut machen und der Community ein Gesicht geben. «Ich möchte den Menschen vermitteln «Hey, es gibt uns!» Auch in den Kuhdörfchen der Region!» Ein sichtbarer Ansprechpartner möchte er als Miss Moe Tivation sein. Etwas wie ein Vorbild für Schwule. «Vielleicht auch, weil ich mir so was als Jugendlicher selbst gewünscht hätte.» Gerne hätte er das Stück deshalb auch an der Kantonsschule in Wohlen aufgeführt, wo er selber die Phasen, die er nun spielt, durchlebte. Doch vom Kanti-Forum erhielt er eine Absage. «Das fand ich schade. Doch nun setze ich alles daran, dass es die Verantwortlichen dort bereuen», lacht er augenzwinkernd. «Und mit dem Kellertheater habe ich ja eine mehr als akzeptable Lösung gefunden.»

Gesprächsthema im Freiamt

In rund einem Monat haben die drei Drag Queens in Bremgarten ihren grossen Auftritt. Bereits rund zwei Drittel der 133 verfügbaren Tickets sind verkauft – obschon Bütler noch nicht gross Werbung für seine Show gemacht hat. «Das zeigt mir, dass das Thema die Menschen durchaus interessiert – zu Recht –, denn vielleicht wird man so was im Freiamt nie wieder sehen», lacht er. Auch wenn sich Bütler eine Neuauflage durchaus vorstellen könnte, wird er seine Show wohl kaum regelmässig aufführen. «Schon nur des Aufwands wegen. Alleine zum Schminken und Frisieren brauche ich zum Beispiel rund acht Stunden.» Ganz zu schweigen vom Aufwand, den er für das Nähen und Gestalten seiner Outfits betreibe. «Ich mache das zwar sehr gerne – gerade auch weil ich damit ja ein Anliegen verfolge, das mir am Herzen liegt. Aber ich bin trotzdem froh, dass es danach nicht gleich wieder von Neuem losgeht.» Bütler wünscht sich, dass er mit seiner Show in Erinnerung bleibt im Städtli – und dass die Menschen im Freiamt darüber reden. «Wenn die Gay-Community in einem positiven Kontext Thema ist in den nächsten Wochen und die Menschen neugierig darauf sind, was hinter der Sub-Kultur der Dragqueens steckt, dann habe ich mein Ziel erreicht.»

«Fabulös im Freiamt» mit den Drag Queens Vio la Cornuta, Amélie Putain und Miss Moe Tivation am Samstag, 25. Juni, 20.15 Uhr, im Kellertheater Bremgarten. Onlinereservationen und Informationen unter: www.kellertheater-bremgarten.ch.


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