Wenn der Denkmalschutz nicht will

  06.05.2022 Region Unterfreiamt

Vor dem Seniorenverein referierte Architekt Paul Meyer über das Grossprojekt Rössli/Ochsen

Am 23. Juni will die Migros in Villmergen ihre Türen öffnen, im Juli werden die ersten Wohnungen bezogen, im Herbst ist das Projekt abgeschlossen. Damit kehrt neues Leben in die beiden traditionsreichen Häuser ein. Der Weg bis dahin war lang und benötigte viel Geduld und Denkarbeit, erklärte Meyer.

Chregi Hansen

Paul Meyer hat in seinem Leben schon viele Bauprojekte verwirklicht, darunter auch sehr grosse. Aber die Neubauten im Villmerger Zentrum waren für den ehemaligen Villmerger Gemeindeammann etwas ganz Besonderes. Das hat auch ganz viel mit den Umständen zu tun.

Meyer erinnert sich noch genau. Im Februar 2016 rief ihn ein ihm damals unbekannter Herr namens Ahmed Sari an. Ob er mal Zeit habe für ein Gespräch bezüglich der Liegenschaften «Rössli» und «Ochsen». Ganz unverbindlich, ohne Vorstellungen bezüglich Terminen oder Kosten. «Das war für mich etwas ganze Neues. Und ich muss gestehen, anfangs war ich auch sehr skeptisch», erzählte Meyer. Zwei so geschichtsträchtige Gasthöfe in den Händen eines externen Investors – und niemand wusste genau, was er vorhat. «In den vergangenen sechs Jahren habe ich Herrn Sari aber als einen sehr vertrauenswürdigen Mann kennengelernt, stets korrekt und bemüht, zu einer guten Lösung beizutragen», so Meyer weiter.

Viel Zeit und Arbeit nötig

Die Früchte der Zusammenarbeit können bald geerntet werden. Im Juni wird die Migros eröffnet. Die letzten noch vorhandenen Gerüste werden nach den Sommerferien entfernt. Dann ist die Überbauung «Am Dorfplatz» fertiggestellt. Rund sechs Jahre nach dem ersten unverbindlichen Gespräch. «Es war ein langer Weg, der viel Arbeit, Geduld und gute Planung benötigte», schaut der Architekt auf diese Zeit zurück. Warum das so lange dauerte und was die grössten Knacknüsse waren, erklärte er auf Einladung des Seniorenvereins vor einem grossen Publikum.

Doch zuerst schaute er zurück. Beide Liegenschaften haben eine lange Geschichte hinter sich. Das «Rössli» stammt vermutlich aus dem Jahr 1650, der «Ochsen» wiederum dürfte im Jahr 1836 gebaut worden sein. An beiden Liegenschaften wurde immer viel verändert. Und sie waren stets prägend für das Dorfbild. «Für uns war klar, dass wir eine Überbauung wollen, welche die bisherigen Volumen wieder aufnimmt», so Meyer. Wobei in der Planung aufgefallen ist, dass auf dem Areal mit Sicherheit früher ein Holzschopf gestanden ist, wie das bei allen Hofbauten der Fall ist. «Das hat uns zum Bau eines modernen Hofgebäudes aus Holz inspiriert», berichtet der Architekt.

Ganz viele Knacknüsse zu lösen

Bei der Planung stiess man auf sehr viele Probleme. Ursprünglich wollte man beispielsweise drei Untergeschosse für die Tiefgarage bauen, wegen des Grundwassers waren aber nur zwei möglich. Auch die Auflagen bezüglich des Hochwasserschutzes mussten beachtet werden. Zudem verlaufen rund um die Liegenschaften sehr viele Werkleitungen, darunter auch eine der Hauptleitungen der Wasserversorgung. Das Aufnehmen der Altlasten war teuer und aufwendig. Und die Anlieferung für die geplante Migros bereitete einiges an Kopfzerbrechen. Denn diese kann nur über die Schulhausstrasse erfolgen. «Dafür wurde extra auf dem Flugplatz in Meiringen die ganze Situation massstabgetreu aufgebaut und dann mit den Lastwagen der Migros geschaut, ob das so überhaupt möglich ist», erklärt Meyer.

Das Problem mit der Fassade

Das Baugesuch umfasste schliesslich 393 Dokumente und die Papiere füllten einen ganzen Wäschekorb. Eine ganz besondere Herausforderung war die eine «Rössli»-Fassade, die auf Geheiss des Denkmalschutzes stehen bleiben musste. «Dabei war nur das runde Wappen in der Fassade geschützt. Und dieses stammt ursprünglich aus einem ganz anderen Gebäude, wie wir festgestellt haben», ärgert sich Meyer. Eigentlich hatte man sich geeinigt, dass das «Rössli» ganz abgerissen wird, die Fassade aber originalgetreu wieder aufgebaut wird. So, dass man auf den ersten Blick keinen Unterschied gemerkt hätte. «Zuerst war der Kanton einverstanden, dann kam trotzdem ein Nein», so Meyer weiter.

Und so stand im Herbst 2020 eben eine einzelne, alte Fassade direkt neben einem neun Meter tiefen Loch. Was faszinierend aussah, war für die beteiligten Unternehmen eine knifflige Aufgabe. Damit sie nicht kippt, musste sie tief im Erdreich verankert werden. Dazu kam, dass das «Rössli» damals ohne Fundament gebaut wurde, sodass mit dem Aushub auch die Mauer immer wieder von unten gestützt werden musste. Und in der Decke waren dicke Holzbalken eingebaut, die Stück für Stück «herausoperiert» wurden. «Diese Auflage hat den Bauherrn durch die lange Verzögerung, den damit verbundenen Mietzinsverlusten und den hohen Mehrkosten beim Bau wohl rund 750 000 Franken zusätzlich gekostet», weiss Meyer.

Auch die Handwerker waren gefordert

Apropos Zahlen: Die Aushubmenge umfasst 20 000 Kubikmeter, was etwa 20 Einfamilienhäusern entspricht. Es wurden 5900 Kubikmeter Beton verbaut und rund 50 000 Backsteine verwendet. Eine weitere Auflage beinhaltete, dass die alten Ziegel wieder verwendet werden müssen. «Wir haben jeden Ziegel überprüft, ob er noch brauchbar ist. Letztlich hat es nur für die eine Hälfte des ‹Rössli›-Dachs gereicht», schmunzelt Meyer. Darum kamen auf der anderen Seite neue zum Einsatz.

Nicht nur die Planung, auch die Bauzeit war herausfordernd. Weil mitten im Zentrum nur wenig Platz zur Verfügung stand, musste alles wie am Schnürchen laufen. Deshalb mussten sich alle Unternehmen verpflichten, für alle ihre Geräte Ersatzmaschinen bereitzuhalten. Die einzelnen Abläufe waren ganz genau getaktet, was vor allem den Bauleiter sehr forderte. «Das ganze Projekt hat viel Zeit gekostet. Aber es war letztlich auch ein sehr lehrreicher Prozess», zieht Paul Meyer am Schluss Bilanz. Und er freut sich, wenn es im Herbst ganz abgeschlossen wird. «Ich bin ja selber nicht mehr an der Front tätig, aber mit diesem Projekt bleibe ich verbunden», sagte er.


«Sicherheit der Kinder hat höchste Priorität»

Die geplante Anlieferung der neuen Migros wirft Fragen auf

Das Referat von Paul Meyer (siehe Artikel oben) stiess bei den Zuhörenden auf grosses Interesse. Vor allem bei den Erklärungen zur Erschliessung der Migros spitzten viele die Ohren. Und konnten kaum glauben, was sie hörten.

Die Villmerger freuen sich über die neue Migros, die Ende Juni ihre Tore öffnet. Doch einigen dürfte die Freude wieder vergangen sein. Erstmals wurde bekannt, auf welchem Weg der Grossverteiler seine Waren anliefern will. Denn dies ist beim grossen Neubau mitten im Dorfzentrum eine Herausforderung.

Wie Architekt Paul Meyer auf Anfrage aus dem Publikum erklärte, soll die Warenanlieferung über die Felsenau- und die Schulhausstrasse führen. Die Wegfahrt erfolgt, weil das Wenden nicht möglich ist, über die Schulhausstrasse und Klappergasse. Also mitten durch ein Wohnquartier und auf Strassen, die auch als Schulweg dienen. Auch wenn die Migros bezüglich Anlieferungszeiten klare Vorgaben erhält, es bleibt ein gewisses Gefahrenrisiko. Viele können daher nicht verstehen, dass die Gemeinde dies bewilligt hat.

Keine andere Lösung möglich

«Die Situation der Warenanlieferung ist sicher nicht optimal», gibt Ammann Ueli Lütolf auf Anfrage zu, «leider gab es keine bessere Lösung.» Auf der Südseite Richtung Dorfplatz befindet sich der Eingangsbereich. Auf der Ostseite liegt die stark befahrene Kantonsstrasse. Und Richtung Norden steht das Schulhaus Dorf. «Somit steht für die Anlieferung nur die Westseite an der Schulhausstrasse zur Verfügung», so Lütolf.

Man sei sich bewusst, dass diese Lösung Probleme bereiten kann. «Die Sicherheit der Schulkinder hat für uns höchste Priorität, daher wird die Situation ganz genau beobachtet», macht der Gemeindeammann deutlich. Zudem wurde in der Baubewilligung verfügt, dass die Anlieferung während dem Schulbetrieb morgens von 7 bis 8.30 Uhr sowie über Mittag von 11.30 bis 13.30 Uhr untersagt ist. Mit dieser Massnahme soll verhindert werden, dass während den Zeiten, in denen sich die Schüler auf dem Schulweg befinden, Anlieferungsfahrten durchgeführt werden.

Eventuell später Anpassungen vornehmen

Wie viele Lastwagen in Zukunft durchs Quartier fahren, muss die Migros noch mitteilen. Der Gemeinderat hat in der Baubewilligung nämlich verlangt, dass die Migros vor der Inbetriebnahme ein Betriebskonzept mit den Anlieferungszeiten einreicht. Dieses liegt bis jetzt noch nicht vor. «Das Betriebskonzept ermöglicht uns, die Situation auf ihre Sicherheit während dem Betrieb zu beobachten, um wenn notwendig Anpassungen vornehmen zu können», sagt Lütolf.

Gefährliche Ausfahrt aus der Tiefgarage

Nicht ganz ungefährlich für die Kunden und Bewohner ist auch die geplante Ausfahrt aus der Tiefgarage auf die Unterdorfstrasse. Obwohl die Sicht nach rechts durch die Kurve schlecht ist, darf man nach links abbiegen. Da werde es sehr schnell zu Unfällen kommen», ist ein Zuhörer überzeugt. Auch hier würden Alternativen fehlen, macht Lütolf deutlich. «Ein Linksabbiegeverbot hätte zur Folge, dass die Autofahrenden, welche Richtung Dintikon fahren möchten, zuerst Richtung Zentrum fahren und dort irgendwo wenden müssten», erklärt er. Die Situation sei auch durch das BVU geprüft und genehmigt worden.

Helfen würde nach Meinung des Gemeinderates die Einführung von Tempo 30 im Zentrum. «Wir setzen uns seit vielen Jahren für dieses Anliegen ein und sind bereits mehrere Male an den Regierungsrat gelangt. Doch leider zeigt sich die verantwortliche Stelle nicht bereit, dieses Anliegen in unserem Sinne zu erledigen», bedauert der Ammann. Auch weiteren verkehrstechnischen Massnahmen würde der Kanton derzeit noch eine Abfuhr erteilen. Vielleicht muss es wirklich erst «chlöpfen», bis sich etwas bewegt. Allerdings ist sich auch der Bauherr des Problems bewusst. «Wenn es wirklich nicht funktioniert, haben wir noch eine Variante B zur Verfügung», erklärte Paul Meyer in seinem Vortrag. --chh


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