Schon im Eiskanal gejubelt

  15.02.2022 Sport

Melanie Hasler holt olympisches Diplom

Melanie Hasler erlebte im Monobob-Rennen eine Achterbahnfahrt. In einem sagenhaften letzten Lauf holt sie sich das erhoffte olympische Diplom.

Der erste Lauf gut, der zweite mittelmässig, der dritte schlecht – und der letzte Durchgang sagenhaft. «Das Beste kam zum Schluss», lacht die 23-Jährige. Im vierten Lauf (in der Nacht auf gestern Montag) funktionierte alles bestens. Dies war auch der Hauptgrund, dass sie es unter die besten acht Fahrerinnen im Monobob-Wettbewerb schafft und damit ein olympisches Diplom holt. «Ich spürte im letzten Lauf, dass dies reichen würde, und begann schon während der Fahrt zu jubeln. Das hat mich beinahe aus dem Konzept gebracht.» --spr


Träne des Glücks

Bob, Olympische Spiele: Die Freiämterin Melanie Hasler erreicht im Monobob ihr grosses Ziel

Ein olympisches Diplom war ihr Wunsch – und das schaffte Melanie Hasler mit einem starken vierten Lauf. Kaum vorzustellen, zu was sie mit mehr Konstanz fähig gewesen wäre. «Ich bin beeindruckt», sagt die Freiämter Boblegende Christian Reich. Und Melanie Hasler wird von Emotionen überschwemmt.

Stefan Sprenger

Samstagnacht. Es geht gegen 3 Uhr morgens. Eine Gruppe junger Frauen macht die Nacht zum Tag und feiert ausgelassen in einem Club. Die tanzenden Frauen halten in der Hand ihr Smartphone – und auf dem Bildschirm läuft das Olympiarennen im Monobob. Die tanzenden Partygirls sind Freundinnen von Melanie Hasler. Es sind nicht die Einzigen, die am vergangenen Wochenende spätnachts Monobob schauen. Von ihrem Bruder hörte sie, dass Volley Mutschellen fast komplett ihre Rennen schaute. Und sowieso habe sie das Gefühl, «dass halb Berikon vor dem Fernseher sass», wie sie laut lachend erzählt.

Aus dem ganzen Freiamt erfährt Melanie Hasler riesigen Support. «So viele Menschen sind früh aufgestanden, um mich am TV anzufeuern. So viele haben mir die Daumen gedrückt und Nachrichten geschrieben. Ich schätze es sehr, dass mein Umfeld und die ganze Region hinter mir stehen. Dafür bin ich enorm dankbar. Ich habe ganz viel Liebe für die Menschen in meiner Heimat», sagt Melanie Hasler – und wird dabei emotional.

«Das war einfach nur schlecht»

Die vergangenen Tage waren für sie ein Auf und Ab – und das nicht nur im Eiskanal. Beim ersten olympischen Monobob-Wettkampf der Geschichte versucht die Freiämterin locker zu bleiben. Gelungen ist das nicht immer. Ein guter 1. Lauf bringt ihr den 5. Rang. «Dann wurde ich nervös, weil ich gesehen habe, wie rund es läuft», erzählt Hasler. Beim 2. Lauf macht sie zu viele Fehler und ist zwischenzeitlich auf dem 6. Platz. Die leisen Medaillenträume waren da schon in die Ferne gerückt. Haslers Rückstand auf den Bronzeplatz betrug bereits beträchtliche 72 Hundertstel.

«Es war eh egal»

Und dann – einen Tag später in der Nacht von Sonntag auf den Montag – folgt ein völlig missratener 3. Lauf. Die Medaillenhoffnungen sind jetzt definitiv futsch. Und sogar das olympische Diplom ist in Gefahr. «Ich habe sehr viel Zeit liegen lassen. Das war einfach nur schlecht», meint Hasler. Sie fokussierte sich sehr schnell auf den 4. und letzten Durchgang. «Es war eh egal. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Also konnte ich alles raushauen und einfach laufen lassen.» Eine Taktik, die bestens funktioniert. Mit dieser Lockerheit schafft Melanie Hasler ihren besten Lauf der ganzen Woche. Sie schaffte die sechstbeste Zeit aller Athletinnen. «Das Beste kam zum Schluss», sagt sie. Bereits kurz vor der Zieleinfahrt beginnt sie zu jubeln, weil sie weiss, dass die Leistung für ein Diplom reicht.

Und das tut es. Der 7. Rang erfüllt ihr den Wunsch eines olympischen Diploms. Im Ziel folgen Tränen des Glücks. Die Spitzenathletin, die so viel für ihren Sport opfert und vor fünf Jahren noch Volleyball spielte, hat ihr riesiges Ziel geschafft. «Ich bin mega froh.» Kaum auszudenken, was möglich gewesen wäre, wenn Hasler konstanter aufgetreten wäre – oder immer so gefahren wäre wie im vierten Lauf. «Daran will ich nicht denken, sondern ich will es geniessen, dass ich mit einer starken Fahrt auf den 7. Platz gekommen bin.» Das ganze Wochenende sei «ein Auf und Ab gewesen mit den Nerven», wie sie lachend erzählt. «Ich wollte locker bleiben, doch es war ein Kampf.» Die Erkenntnis: Wenn sie sich nicht verkrampft, gehört sie zur Weltspitze im Monobob.

Dieser Meinung ist auch Christian Reich. Der Freiämter, der 2002 im Zweierbob Olympiasilber holt, ist für das SRF als Co-Kommentator im Bob, Rodel und Skeleton in China mit dabei. Reich sagt: «Ich bin beeindruckt, was für eine Nervenstärke Melanie Hasler im vierten Lauf zeigte. Nach dem 3. Lauf hätte ich nicht an eine solche Wiederauferstehung von ihr geglaubt. Doch sie haute das Beste raus, was möglich war. Das zeugt von psychischer Stärke und Charakter.»

Keine Chance gegen Humphries

Der erfahrene Bobexperte Christian Reich analysiert weiter: «Es ist ihre vierte Saison im Bobsport überhaupt und ihre zweite Saison an der Weltspitze. Melanie Hasler ist fahrerisch und technisch die stärkste der jungen, nachkommenden Athletinnen. Sie hat eine starke Leistung gezeigt im Monobob. Es fehlte ihr einzig an der Konstanz. Und diese wird mit der Routine und Erfahrung ganz sicher kommen.» Mit anderen Worten: Melanie Hasler ist ein riesiges Versprechen für die Zukunft.

Die erste Olympiasiegerin im Monobob der Geschichte wird Kaillie Humphries. Es ist bereits ihre dritte olympische Goldmedaille. Humphries hat dabei die angesprochene und notwendige Erfahrung, denn sie ist 36 Jahre alt.

Mit «viel Glück» zur Zweierbob-Medaille?

Für Melanie Hasler geht es nun im Zweierbob weiter. Mit ihrer Anschieberin Nadja Pasternack kämpft sie auch dort um ein olympisches Diplom. «Das wäre wiederum das Ziel», sagt Hasler. Bobexperte Reich meint: «Wenn sie am Start mit Pasternack harmoniert und sie im Eiskanal Ruhe bewahren kann, dann ist ein Top-Ten-Platz wiederum möglich. Mit ganz viel Glück liegt eine Medaille drin, aber die Konkurrenz aus Nordamerika und Deutschland ist riesig.»

Hasler ist zuversichtlich. «Ich nehme den 4. Lauf im Monobob mit in die Zweierbob-Wettkämpfe. Ich versuche locker zu bleiben und runterzufahren nach diesen aufregenden Tagen.» Sicher ist: Melanie Hasler wird sich wiederum auf riesigen Support aus der Heimat verlassen können. Dieses Mal müssen ihre Kolleginnen auch nicht in einer Partynacht auf der Tanzfläche zusehen, denn die Rennen (wiederum vier Läufe) finden am Freitag und Samstag jeweils um 13 Uhr Schweizer Zeit statt.


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