Powerfrau aus Ringer-Clan

  15.02.2022 Sport

Serie «Sporthelden von damals»: Nadia Kirsten-Meier war eine der wenigen Schweizer Ringerinnen

Ringsport hat im Freiamt Tradition. Die Mitglieder der RS Freiamt gehören zu den prominentesten Sportlern der Region. Dazu zählt auch die Niederwilerin Nadia Kirsten-Meier. Sie hat die RS Freiamt beim Frauenringen auf die Karte gesetzt.

Josip Lasic

Bei Freiämter Sportfans löst der Name Nadia Kirsten-Meier im ersten Moment keine Erinnerung aus. Das liegt daran, dass sie seit 2020 verheiratet ist und mittlerweile in Anglikon lebt. Spricht man von der Ringerin Nadia Meier aus Niederwil, fällt der Groschen. Gemeinsam mit Nadine Tokar war sie das Aushängeschild der RS Freiamt bei den Frauen.

Die heute 38-Jährige hat im Jahr 2000 ihren grössten Erfolg gefeiert. Erst 17 Jahre alt, holt die Niederwilerin an der Europameisterschaft der Kadetten in der Slowakei Bronze. Eine Riesenfreude für die Freiämterin, die einen weiten Weg hinter sich hatte. «Ringen war für mich eine Lebensschule. Ich habe Biss, Durchhaltewillen und Disziplin gelernt», sagt Kirsten-Meier.

Die Niederwiler Ringer-Familie Meier

Ihr Vater ist Viktor Meier. Früher Aktivringer in Reihen der RS Freiamt und vierfacher Olympiateilnehmer als Kampfrichter. Ihr Cousin: Erich Meier, langjähriges Mitglied der Freiämter Ringerstaffel und 2002 Teil des Meisterkaders. Die Familie Meier aus Niederwil ist ein Ringer-Clan. Das aktuell prominenteste Mitglied ist Nadia Kirsten-Meiers Neffe zweiten Grades. Joel Meier steht im Nationalliga-A-Kader der RS Freiamt und ist der Sohn vom mittlerweile verstorbenen André Meier. Ein weiterer Cousin von Nadia Kirsten-Meier, der das Nationalturnen in der Region gefördert hat.

Bei diesen Wurzeln erscheint es nicht abwegig, dass sie den Weg in den Ringsport gefunden hat. Und doch: «Ich war die einzige von drei Töchtern, die gerungen hat», sagt sie. «Meine Schwestern haben Leichtathletik und Kunstturnen betrieben. Ich war aber ein Energiebündel, weshalb mich mein Vater ins Ringer-Training mitgenommen hat.» Fünf Jahre alt ist sie bei ihrem ersten Training. Auf ihrem Zenit trainiert Nadia Kirsten-Meier sechsmal pro Woche. Allerdings nicht nur im Freiamt. «Dort habe ich mit den Männern trainiert. Weil es in der Schweiz schlicht zu wenige Ringerinnen gab, habe ich zusätzlich auch Trainings in Deutschland besucht.»

Viel im Ausland unterwegs gewesen

Sie wird Mitglied beim TuS Adelhausen. Einem deutschen Verein aus dem nördlichen Teil des deutschen Rheinfelden. Auch viele ihrer Wettkämpfe muss sie in Deutschland beziehungsweise allgemein im Ausland bestreiten. «Für Frauen gibt es in der Schweiz keine Mannschaftsmeisterschaft. Frauen dürfen bei den Männern in der 1. Liga mitringen, aber das kam nach meiner Zeit», erzählt die Sportlerin. «In der Schweiz gab es nur die Meisterschaft im Einzel. Die habe ich einige Male gewinnen können, wobei das Teilnehmerfeld meistens klein war. Die wichtigsten Wettkämpfe habe ich im Ausland bestritten.»

Und selbst diese wenigen Möglichkeiten in der Schweiz sind mit Schwierigkeiten verbunden. Frauenringen ist damals kein Teil vom Schweizerischen Ringerverband. Viktor Meier und der Vater von Nadine Tokar gründen selbst einen Verband, um ihren Töchtern den Sport zu ermöglichen. Erst später wird Frauenringen ein Teil von Swiss Wrestling. Kirsten-Meier vergleicht ihre Situation mit Svenja Jungo, dem heutigen Aushängeschild im Schweizer Frauenringen. Die 17-Jährige von der RS Sense lebt und trainiert in einem Sportinternat in Freiburg im Breisgau. «Auch Svenja trainiert in Deutschland, aber solche Möglichkeiten wie sie hatte ich nicht.»

Kampf geführt auf mehreren Ebenen

Nadia Kirsten-Meier kämpft auf der Matte. Sie kämpft um Trainingsbedingungen. Sie kämpft, um Ausbildung und Sport unter einen Hut zu bringen, und kämpft ausserdem mit Vorurteilen. «Als Ringerin war ich eine Exotin. Ich wurde häufig komisch angesehen und musste mir einiges an dummen Sprüchen anhören. Aber damit konnte ich umgehen.» Sie kämpft nicht nur, sie gewinnt ihre Kämpfe. Ob als Schülerin, während ihrer Lehre als kaufmännische Angestellte auf der Gemeinde Mellingen oder als Angestellte bei der Energie Freiamt AG in Muri, wo sie seit 20 Jahren arbeitet – überall konnte sie Beruf und Sport unter einen Hut bringen. «Ferien und Überstunden wurden halt für Turniere und Trainingslager geopfert, aber das hat mir nichts ausgemacht.»

Und auf der Matte hat die Freiämterin ebenfalls Erfolge. Ein Jahr nach der Bronzemedaille bei der EM der Kadetten in Bratislava holt sie an der Junioren-WM in Martigny den 5. Platz. Ein weiterer Erfolg neben den Schweizer-Meister-Titeln und guten Platzierungen auf der internationalen Bühne.

Abstand vom Sport gewonnen

Auf ein spezielles Erlebnis während ihrer Ringerkarriere angesprochen, erinnert sich Kirsten-Meier an einen Grand Prix of Germany. «In der Mittagspause habe ich rumgeblödelt. Vor der Halle stand ein Krankenwagen. Ich habe gesagt, dass ich am Abend damit nach Hause fahre.» Ihre Prophezeiung bewahrheitet sich. Während eines Kampfes springt ihr die Kniescheibe heraus. «Ansonsten blieb ich von grösseren Verletzungen verschont.»

Von anderen Problemen allerdings nicht. 2010 beendet Kirsten-Meier ihre internationale Karriere. Im Anschluss daran bestreitet sie noch einige kleinere Turniere. Vor sechs Jahren muss sie sich allerdings einer Hüftoperation unterziehen. Es ist die zweite für die Freiämterin. «Das hat nichts mit dem Ringen zu tun, sondern mit einem Geburtsgebrechen. Danach haben mir Motivation und Anreiz gefehlt, um weiterzumachen. Ich war gegen Ende allgemein nicht mehr so verbissen und habe mich mehr auf den Beruf konzentriert.»

Seither hat sie Abstand zum Ringsport gewonnen. Nadia Kirsten-Meier ist sportlich aktiv, «dann aber eher im Fitnessstudio beim Krafttraining». Ihr Mann ist Motocrossfahrer. Mit Ringen kann er wenig anfangen. «Da bin ich anders als Nadine Tokar, die das Ringen nach wie vor lebt.» Ihre ehemalige Teamkollegin, die mittlerweile auch verheiratet ist und Pietschmann heisst, führt die Wrestling Academy Bern, ist Cheftrainerin und Aktivringerin im Erstliga-Team.

Doch auch Kirsten-Meier kann nicht komplett ohne Ringen sein. Ein Leben im Sport lässt sich nicht einfach hinter sich lassen. Ihre beste Freundin hat sie durch den Ringsport kennengelernt. Ausserdem ist Nadia Kirsten-Meier zur RS Freiamt zurückgekehrt. Nicht auf der Matte, sondern als Leiterin der Festwirtschaft. «Reto Gisler hat mich angefragt und ich habe zugesagt. Jetzt, wo einige jüngere Mitglieder der Familie ringen, ist es wieder spannender.»


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