Kalt gestellt im Isolationshotel

  04.02.2022 Sport

Brief aus Peking – Olympia-Kolumne von Philipp Stöckli

Irgendjemanden musste es ja erwischen. Nun bin es eben ich in der SRF-Delegation. Richtig, ich sitze in Isolation, konkret in einem ziemlich grossen Zimmer in einem abgelegenen Hotel. Noch bevor es heute Mittag mit der Eröffnungsfeier losgeht, bin ich kalt gestellt. Im wahrsten Sinne des Wortes, aber der Reihe nach.

Schon bei meiner Ankunft am Dienstag wurde ich am Flughafen in Peking offenbar positiv getestet – obwohl die ersten Meldungen besagten, dass ich negativ sei. Der nächste PCR-Test am Mittwoch in Zhangjiakou hat das dann bestätigt und ebenfalls ein positives Resultat hervorgebracht. Symptome habe ich keine.

Die positiven Tests zu hinterfragen, bringt mich weder weiter noch aus der Isolation heraus. Ich kann mir das Ganze nur so erklären, dass ich in der Schweiz, mit einer tieferen CT-Schwelle von 30, zum Beispiel mit einem Wert von 33, negativ getestet wurde. Der gleiche Wert gilt in China, mit einer höheren CT-Schwelle von 35, als positiv. Das Worst-Case-Szenario ist damit eingetreten. Die ganzen Vorsichtsmassnahmen in den zwei Wochen waren letztlich für nichts.

Nachdem ich den ganzen Mittwoch auf gepackten Koffern im Zimmer in unserem Hotel ausgeharrt hatte, während jemand vor meiner Zimmertür Wache hielt, bekam ich am späteren Abend Bescheid, dass ich nach dem Abendessen (Room Service) abgeholt werde. Das war dann auch so, um 23.30 Uhr (!) klopfte es an der Tür. Drei freundliche Chinesen holten mich in ihren Schutzanzügen ab. Kaum draussen angekommen, fuhr dann auch schon die Ambulanz vor.

Es hatte spätestens dann etwas Absurdes, als ich mit Blaulicht aus der Hotelanlage gefahren wurde. 20 Minuten später erreichte ich den wuchtigen Hotelkomplex im Skiresort. Nur ein paar Zimmer waren beleuchtet, der Rest dunkle Nacht. Selbst in der Lobby brannte kein Licht, erst in einem Nebengang schimmerte ein Nachtlicht. Über eine erste Schleuse im Erdgeschoss und eine zweite im vierten oder fünften Stock erreichte ich schliesslich mein Zimmer. Mein neues Homeoffice…

Der erste Eindruck war düster: Die Zimmertür auf beiden Seiten vollgesprüht und befleckt mit Desinfektionsmittel, der Boden richtiggehend getränkt davon. Zudem beide Fenster offen, Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Ich fühle mich kalt gestellt, hier drin werde ich bestimmt krank. Das Prozedere ist aber noch nicht vorbei. Drei andere freundliche Chinesen messen Fieber, Puls, Blutdruck und verlangen von mir Angaben zur Person. Also nicht, dass Sie nun glauben, jemand spreche englisch. Nein, die Helfer hier kommunizieren über eine App, die ihre chinesischen Fragen ins Englische übersetzt. Mit Betonung auf ihre Fragen: meine werden höflich nickend, aber schweigsam ignoriert. So war ich etwa gestern überzeugt, dass sie mir am Morgen das Essen für den ganzen Tag gebracht haben. Inzwischen weiss ich, dass es nur das Frühstück war – hungern werde ich also keinesfalls.

Hier sitze ich nun so lange fest, bis ich zwei negative PCR-Tests innert 24 Stunden vorweisen kann. Immerhin funktioniert der Elektroofen aus den 70er-Jahren einwandfrei, das Zimmer ist inzwischen angenehm warm. Ja, selbst Internet gibt es. Allerdings sind die meisten Seiten oder Apps gesperrt. Aber dank SIM-Karten aus Hongkong in unseren Firmenhandys kann ich via VPN selbst SRF empfangen. Ein Stück Heimat.

Es geht mir also gut, ich habe ein super Team und liebe Freunde um mich herum, die sich rührend um mich kümmern und mich kreativ bei Laune halten. Highlight war ein 4-Minuten-Trainingsvideo – merci, Ben! Deshalb fühle ich mich bislang überhaupt nicht alleine. Was sich bestätigt, wenn ich am Fenster stehe und nach unten auf die Zufahrt schaue: die Ambulanzwagen fahren im Viertelstundentakt vor…

Aufgezeichnet: Josip Lasic

Philipp Stöckli ist ehemaliger Sportredaktor des «Bremgarter Bezirks-Anzeigers» und «Wohler Anzeiger». Heute arbeitet er als Produzent und Redaktor für das Schweizer Radio und Fernsehen SRF und produziert täglich Livesendungen von den Olympischen Spielen aus Peking.


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