Zwischen Training und Tribüne

  28.01.2022 Sport

Serie «Freiämter Olympioniken»: Corinne Meyer-Rüegg – Olympia 2000 in Sydney

«Dabei sein ist alles», so das Olympische Motto. Für die früher in Wohlen und jetzt in Uezwil wohnhafte Corinne Meyer-Rüegg wurde es zum Programm ihrer Olympia-Teilnahme. Als Ersatzfrau für das Duett im Synchronschwimmen nominiert, konnte sie 2000 in Sydney nicht starten, sondern nur mittrainieren und zuschauen. Für sie bleibt es dennoch ein besonderes Erlebnis.

Josip Lasic

Die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2000 in Sydney. Statt mit den Schweizer Athleten einzulaufen, ist die Synchronschwimmerin Corinne Meyer-Rüegg (damals Corinne Rüegg) unter den Zuschauern. Die damals in Wohlen wohnhafte Athletin gehörte zum Team – und gleichzeitig nicht. Sie war für das Synchronschwimm-Duett als Ersatz nominiert worden. Die Sportlerin, die mittlerweile in Uezwil lebt und in Kallern als Lehrerin an der Primarschule unterrichtet, muss zusehen, wie Madeleine Perk und Belinda Schmid im olympischen Duett-Final der Synchronschwimmerinnen den 10. Platz erreichen.

Für die Freiämterin war es dennoch ein unvergessliches Erlebnis. «Ich möchte die Erinnerung auf keinen Fall missen», sagt sie. «Das war ein einmaliges Erlebnis.» Nur schon die Eröffnungsfeier war für Meyer-Rüegg etwas Besonderes. Der Schweizerische Schwimmverband hat ihr das Ticket für den Event geschenkt. «Es war eine ganz spezielle Stimmung», erzählt sie. «Ich war weit vorne, habe die Schweizer Athleten gesehen, das Entzünden der olympischen Flamme. Und ich bin ohnehin fasziniert vom Land Australien. Nach den Olympischen Spielen haben mein Mann und ich noch die Ostküste bereist. Es war eine faszinierende Zeit.»

Nicht mehr nahe dran am Sport

Sportlich betätigt sich die 46-Jährige auch heute noch nach wie vor. Joggen, Schwimmen, Aerobic im Turnverein Uezwil. Synchronschwimmen übt sie nicht mehr aus. «Wenn ich im Schwimmbad bin, führe ich nicht plötzlich irgendwelche Figuren aus. Die Leute würden seltsam schauen und dafür bin ich definitiv zu introvertiert», ergänzt Meyer-Rüegg lachend. An den Olympischen Spielen in Tokio hat sie «ihre» Sportart verfolgt, musste aber sehen, dass sich einiges verändert hat. Offiziell heisst es jetzt «Artistic Swimming». «Und einige Figuren, welche die Athletinnen durchführen, hätten wir damals nie geschafft. Die werden sehr viel davon ausserhalb des Schwimmbeckens trainieren. Das Bewertungssystem hat sich ebenfalls verändert.»

Für die Schweiz voll dabei, für das IOC nicht existent

Die Nähe zu ihrem Sport ist bei Corinne Meyer-Rüegg nicht mehr stark ausgeprägt. Mitte der 90er- bis zum Anfang der 2000er-Jahre war sie allerdings eine absolute Koryphäe auf dem Gebiet. Mehrere Schweizer-Meister-Titel im Team und im Duett hat sie errungen, dazu gute Ergebnisse an Welt- und Europacups. Nur die Olympia-Teilnahme blieb ihr knapp verwehrt. Madeleine Perk, mit der Meyer-Rüegg zahlreiche ihrer Erfolge feiern konnte, galt als gesetzt für die Olympischen Spiele in Sydney. Dahinter kämpften die Freiämterin und das Talent Belinda Schmid um den zweiten Platz im Duett. «Mein Nachteil war, dass ich nicht so beweglich war und die verschiedenen Formen des Spagats nicht beherrscht habe», erzählt sie. Dennoch blieb das Rennen knapp. Die Enttäuschung war gross bei Meyer-Rüegg, als ihr «nur» die Rolle der Reservistin blieb. Das musste aber nichts bedeuten. Kurz vor den Olympischen Spielen startete das Synchronschwimm-Team an den Swiss Open. Eine der beiden Starterinnen hatte sich am Abend vor dem Wettkampf die Kniescheibe ausgerenkt. Meyer-Rüegg musste einspringen. «Es gab die Möglichkeiten, dass so etwas passiert. Deshalb bin ich auch mitgereist.» So kam es zu einer skurrilen Vorbereitung. Die Freiämterin erhielt vom Schweizerischen Olympischen Komitee das gleiche Tenue und dieselbe Ausrüstung wie alle anderen Teilnehmer. Für das Internationale Olympische Komitee war sie nicht existent. «Ich erhielt keine Akkreditierung, durfte nicht in das olympische Dorf und habe ausserhalb bei einer Gastfamilie gewohnt», erzählt sie. «Da wir wegen der anderen Wettkämpfe nicht immer im olympischen Schwimmbecken trainieren konnten, war ich die Chauffeurin, welche die anderen beiden Athletinnen abgeholt hat und dann zum Schwimmbad gefahren ist, wo wir unsere Trainingseinheiten absolvieren konnten.»

Für Meyer-Rüegg eine seltsame Situation. Sie war Teil des Teams und doch wieder nicht. Andere Wettkämpfe konnte sie sich nicht ansehen, da sie keinen Zugang zum olympischen Dorf hatte. Irgendwann ist ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann, der ehemalige Uezwiler Gemeindeammann Stefan Meyer, ebenfalls nach Sydney gereist. Mit ihm konnte sie sich unter die Fans mischen und Olympia aus dieser Perspektive miterleben. «Wir haben auch das Nachtleben dort genossen. An einem Morgen hat mich unsere Trainerin darauf angesprochen, dass es offenbar spät geworden sei. Im nächsten Satz hat sie aber gesagt, dass sie es mir gönnt und ich die Zeit auskosten soll.» Weder Perk noch Schmid verletzen sich. Meyer-Rüegg kommt nicht zum Einsatz, fiebert aber mit ihren Kolleginnen beim Wettkampf mit. «Ich war vermutlich nervöser als sie und habe ihnen das erfolgreiche Abschneiden gegönnt.»

Hätte anders kommen können

Geboren und die ersten sieben Jahre lang aufgewachsen ist Corinne Meyer-Rüegg in Wattwil im Toggenburg. Aus beruflichen Gründen ziehen ihre Eltern mit ihr und ihrer zwei Jahre älteren Schwester nach Bassersdorf im Kanton Zürich. «Mein Vater hat in dieser Zeit einen Synchronschwimm-Wettkampf gesehen und war extrem begeistert davon. Er dachte, dass das vielleicht etwas für mich und meine Schwester wäre.» So kommen die beiden Mädchen zum ersten Mal mit dem Sport in Berührung. Corinne Meyer-Rüegg ist damals acht Jahre alt. Zuerst trainieren sie im Verein in Bassers-, dann in Dübendorf. Ihre Schwester bleibt dort, während Meyer-Rüegg zu den Limmat-Nixen Zürich wechseln kann – einem der ältesten und erfolgreichsten Synchronschwimm-Vereine der Schweiz. «Damals ging es darum, dass ich zum ersten Mal in ein Kader komme für besonders talentierte Synchronschwimmerinnen. Ich wusste nicht einmal, was das bedeutet. Als es mir mein Vater erklärt hat, habe ich mich gefragt, wieso die ausgerechnet mich nehmen. Wenn ich zu dieser Zeit bereits auf Spitzensport fokussiert gewesen wäre, hätte es später unter Umständen mit Olympia gereicht.»

Dann zieht die Familie aus beruflichen Gründen der Eltern erneut um. Diesmal nach Wohlen, wo die Eltern der Olympionikin nach wie vor leben. Sie besucht die Bezirks- und Kantonsschule in Wohlen. Eine schöne und gleichzeitig strenge Zeit. So lernt sie ihren späteren Mann in der Bezirksschule kennen. Er ist ihr Mitschüler. Gleichzeitig muss sie ins Training nach Zürich pendeln. Besonders in der Kantonsschule ist das eine enorme zusätzliche Belastung. Sie wird zwar als Entgegenkommen vom Sportunterricht und für alle Wettkämpfe dispensiert, muss aber einen Notenschnitt von 4,5 statt nur von 4,0 aufweisen, damit sie diese Sondergenehmigung behalten kann. «Rückblickend war das nicht so fair. Ich musste zu meiner Zusatzbelastung auch noch mehr leisten als meine Mitschüler. Es ging, war aber nicht so einfach.» Die Sportlerin betont, dass sie ihren Eltern für die Unterstützung in allen Belangen dankbar ist, besonders in dieser Zeit. «Ohne sie hätte ich all das nie erleben und geniessen können.» Erst als sie das Studium als Primarlehrerin beginnt, kann sie sich die Trainings und die Ausbildung etwas flexibler einrichten. So kann sie sich später auch neben dem Beruf auf die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele konzentrieren.

Bereut rückblickend nichts

Nach Sydney tritt die damals 25-jährige Madeleine Perk zurück. In den Schweizer Medien wird Ersatzfrau Meyer-Rüegg als künftige Partnerin von Belinda Schmid ins Gespräch gebracht. Im Unterschied zur damals 19-jährigen Schmid ist Meyer-Rüegg aber ebenfalls 25 Jahre alt. «In Athen 2004 wäre ich 29 gewesen. Das war zu dieser Zeit für Synchronschwimmerinnen schon ein hohes Alter. Beruflich hatte ich mittlerweile auch andere Prioritäten gesetzt. Mein Gedanke war, dass ich es entweder ganz oder gar nicht mache.» So tritt sie 2001 aus dem Nationalkader zurück. Eine Zeit lang ist sie bei den Limmat-Nixen noch als Trainerin tätig und Teil des Showteams, ehe sie sich komplett aus dem Sport zurückzieht. «Es war dann irgendwann schon ein grosser Mehraufwand, neben dem Beruf als Lehrerin immer noch mehrmals am Abend nach Zürich rauszufahren und zu unterrichten. Irgendwann wurde ich ausserdem selbst Mutter. Mein Mann hat mir so viel Unterstützung, Verständnis und Geduld entgegengebracht. Das war nicht selbstverständlich. Mein Fokus hat sich auf ihn und unsere Kinder verschoben.»

Ihre Töchter, Nora (16 Jahre alt) und Alina (14), eifern der Mutter nicht nach. «Die ältere hat zwar einmal gesagt, dass sie gern auch synchronschwimmen würde, aber daraus wurde nichts. Die beiden sind jetzt zufrieden als Geräteturnerinnen beim TV Wohlen.» Corinne Meyer-Rüegg blieb ein Teil des Olympia-Erlebnisses verwehrt. Das hat sie nicht davon abgehalten, ihr eigenes Olympia-Erlebnis daraus zu machen. «Wir waren ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Atlanta dort und haben versucht, uns als Team zu qualifizieren. Das ist zwar nicht gelungen, aber ich hatte dort schon ein wenig Olympia-Feeling. Daneben und neben meinem ersten Schweizer-Meister-Titel im Duett ist Sydney sicher das grösste sportliche Ereignis, wo ich dabei war.» Ihr Olympia-Tenue von damals, die ganze Ausrüstung, die sie erhalten hat, hält sie in Ehren. «Und sonst habe ich für meine eigenen Erinnerungen und Souvenirs gesorgt. Ich habe mir beispielsweise wie eine Touristin ein T-Shirt der Spiele gekauft, das mir heute als Pyjama-Oberteil dient. Die Spiele sind bei mir nach wie vor präsent und eine schöne Erinnerung. Der Sport allgemein war eine grosse Lebensschule. Ich bereue rückwirkend nichts.»


Abschluss der Serie

Wegen der Coronapandemie wurde Anfang 2021 die Serie «Freiämter Olympioniken» ins Leben gerufen. Bobfahrer Daniel Schmid aus Hägglingen, der Mühlauer Ringer Reto Bucher, der ins Freiamt zugezogene Goldmedaillen-Gewinner Sandro Viletta, Conny Kissling, die Frau des Ski-Bosses Urs Lehmann, oder Radfahrer Stephan Joho sind nur einige wenige Namen, welche die Region an Olympischen Spielen vertreten haben und im Rahmen dieser Serie porträtiert wurden. Um die Leserschaft auf die anstehenden Olympischen Spiele in Peking einzustimmen, wird die Serie nach längerer Pause fortgesetzt und gleichzeitig abgeschlossen. Corinne Meyer-Rüegg ist die letzte Athletin aus der Region, die an den Olympischen Spielen vertreten war und in dieser Serie noch nicht vorgestellt wurde. Die Sportredaktion bedankt sich fürs Lesen und hofft, dass sich in Zukunft weitere Sportler aus der Region in den exklusiven Kreis der Olympioniken einreihen können. --red


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