Er fliegt und lacht

  18.01.2022 Sport

Serie «Freiämter Sporthelden von damals»: Hansi Koch, die Flügel-Koryphäe des Freiämter Handballs

Er war genau der Richtige auf der falschen Seite: Hansi Koch war ein Flügel-Virtuose und begeisterte durch seine spektakulären Abschlüsse. Und auch seine Auftritte neben dem Handballfeld sind berühmt und berüchtigt. Der Waltenschwiler Hansi Koch ist ein Unikat von Handball Wohlen.

Stefan Sprenger

Eine typische Hansi-Geschichte: Irgendwann vor fünf Jahren, irgendwo in einer Beiz in Interlaken: Hansi Koch stellt seinen Whiskey-Cola zur Seite und meint: «Jetz muesch luege.» Er stellt zwei Barhocker nebeneinander, holt Schwung und macht eine halbe Minute lang den Handstand. Die Schultern auf den Hockern, das Blut im Kopf, das Lachen im Gesicht. Die ganze Bar applaudiert. Er hat alle zum Lachen gebracht – wie so oft. Es ist eine Szene von Hunderten, die man sich immer wieder in Handballkreisen erzählt.

Verblüffend gelenkig 

Aufgewachsen ist er im Boll Wohlen mit zwei Brüdern und einer Schwester. Durch seinen Schulfreund Philippe Elsener (heute Schulleiter des BBZ Freiamt) landete er beim TV Wohlen. Und bereits im ersten Training wird seine kurios-tolle Karriere in die richtigen (oder falschen) Bahnen gelenkt. Der Trainer stellt alle Spieler auf die Positionen. Nur der rechte Flügel bleibt leer, denn es war kein Linkshänder mehr vorhanden. «Also schickte er mich dorthin. Ich war zwar Rechtshänder, aber das war egal.» Von diesem Moment an wird Koch die Position nie mehr verlassen – und wirft seine ganze Karriere von der falschen Seite.

Aus der Not machte er eine spektakuläre Tugend. Hansi Koch perfektionierte seine Abschlüsse. Wenn er seine Chancen sieht, dann hebt er ab in den Handballkreis. Er f liegt und fliegt, gefühlte eineinhalb Meter ab Boden. Beim Wurf liegt Hansi Koch quer in der Luft. Stilistisch sauber, verblüffend gelenkig – und oftmals trifft er auch ins Tor. «Das Landen tat meistens sehr weh», erzählt er. Doch das war ihm egal. Ein kleiner Mann sorgt für grosses Spektakel. Gegner, Zuschauer, Spieler, Schiedsrichter – alle staunen. «Ob der Ball reingeht oder nicht, war egal. Hauptsache, es hat geil ausgesehen.»

«Der ist ein armes Schwein»

In einem Text über Hansi Koch dürfen die Pointen und Witze nicht fehlen. Deshalb an dieser Stelle wiederum eine typische Hansi-Geschichte als Einschub, erzählt von seinem Freund Felix Bingesser aus Waltenschwil (Ex-Sportchef des «Blick»). «Wir sassen gemeinsam beim neunten Frühstücksbier in Sölden. Hansi Koch starrte minutenlang und regungslos auf seine Uhr. Ich fragte ihn: ‹Was gaffst du ständig auf dein Ziffernblatt?› Hansi antwortete: ‹Ich schaue dem Sekundenzeiger zu. Der ist schon ein armes Schwein, der hat keine ruhige Minute.›»

Weiter mit dem Sportlichen: Hansi Koch war kein begnadeter Handballer. «Es gab beim TV Wohlen einige, die viel besser waren», sagt er selbst. Und seine Erfolge sind nicht riesig, aber doch bemerkenswert. Bei den A-Junioren feiert er den Aufstieg in die Interklasse. Die Trainer hiessen Rolf Wernli, Ruedi Bürgi und Hans Melliger. Eine Saison später ist man sang- und klanglos (und mit 0 Punkten) wieder abgestiegen.

Aufstieg in die 1. Liga: «Die Halle ist fast eingestürzt»

Im Herren «Eis» war Hansi Koch dabei, als der Verein in der Saison 1988/1989 den erstmaligen Aufstieg in die 1. Liga realisiert. In heissen Duellen gegen Brugg erkämpften sich die Wohler am Ende das Aufstiegsglück. «Die Halle war bei jedem Heimspiel proppenvoll. Beim Aufstiegsspiel ist die Junkholzhalle beinahe eingestürzt. Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen.» Zwei Saisons lang spielt Wohlen in der 1. Liga, erreicht mit dem 4. Schlussrang die beste Klassierung der Vereinsgeschichte. Ein Rekord, der 20 Jahre lang halten wird. In dieser Zeit feiert der Verein auch den Sieg im Aargauer Cup.

Wohler Handball-Urgesteine wie Urs Müller, Edi Matter, Pius Joller oder Frank Koch zogen den Karren auf dem Spielfeld. Koch erzählt, dass der Trainer damals das vermutlich wichtigste Mosaiksteinchen für den Erfolg war. «Abgesehen davon, dass wir eine geile Truppe waren, brauchten wir auch einen Trainer, der alles abverlangte.» Die Koryphäe Frank Schwammberger lenkte den Wohler Erfolg von der Seitenlinie aus. Koch sagt, dass Schwammberger vor den Aufstiegsspielen jedem Akteur ein individuelles und mehrseitiges Dossier erstellt hat, wie sich der Gegenspieler verhält. Koch liefert auch hier eine witzige Pointe: «Ich wusste beispielsweise: Wenn mein Gegner mit dem linken Auge zuckt, dann geht er rechts vorbei.»

Engagiert beim Handball und auch beim Fussball

Zweifellos: Koch war eine Attraktion auf dem Handballfeld. Ein Virtuose am Flügel mit besonderen Flugeinlagen. So schaffte er es sogar auf den 3. Rang bei der Wahl zum «Freiämter Sportler des Jahres». Den Titel gewonnen hat damals Andy Hug. Dazu meint Koch: «Das war für mich ein riesiges Highlight.» Er wurde über die Jahre hinweg zur Symbolfigur in der Freiämter Handballwelt. Und ist es bis heute geblieben. Allerdings auch, weil er neben dem Platz fast noch die grössere Attraktion ist.

Für den Verein engagiert er sich jahrelang im Vorstand, als Trainer, als Speaker – und ist auch heute noch im Vorstand des Gönnervereins «Club 66/11». Auch fussballerisch betätigte er sich. Als er im zarten Handballalter von 29 Jahren seine Karriere beendet (er wollte sich auf den Beruf konzentrieren), geht er zu den Senioren des FC Wohlen. Er ist auch einer der Gründerväter der Fussballschule Waltenschwil, wo er sich jahrelang als Nachwuchscoach einbringt. Und in den 90er-Jahren organisiert er gemeinsam mit anderen Kreativköpfen die legendären Fussballspiele zwischen dem TV Wohlen und dem FC Wohlen.

Tor gegen Suik-Houng Lee

Die Aufstiegsmannschaft Ende der 80er-Jahre ist übrigens auch heute noch beinahe komplett vereint: als «Herre Drüü» von Handball Wohlen. Und da kommt man wohl zur grössten Errungenschaft von Hansi Kochs Handballkarriere: «Die vielen Freundschaften, die wunderbaren und lustigen Augenblicke. Darüber könnte man ein Buch schreiben.»

Machen wir nicht. Dafür gibt es eine Zwischenpointe über Hansi Koch: Vor rund zehn Jahren organisierte der TV Muri ein Dinosaurierturnier. Für Wohlen stand Koch auf der Platte – und man duellierte sich auch gegen eine VIP-Mannschaft. Dort stand mit Suik-Houng Lee ein zwei Meter grosser Profi-Torwart in der Kiste. Lee spielte jahrelang bei Wacker Thun in der NLA und nahm mit Südkorea bei Olympia (im Jahr 2000) teil. Und Hansi Koch erzählt heute noch stolz, dass er ihm ein Ei ins Tor gelegt hat. Wie früher zu besten Zeiten fliegt er in den Kreis, wirft querliegend in der Luft aufs Tor – und trifft. Wo ist der Ball rein? Koch: «Ich weiss nicht, ich musste schauen, dass ich mir bei der Landung kein Bein breche.»

Hansi Koch ist heute 57 Jahre jung, Versicherungsbroker, sportbegeistert, Vater von zwei Töchtern (Milena und Michelle). Seit 26 Jahren ist er mit seiner Frau Eveline verheiratet. «Sie kommt aus Luzern. Ich aus Wohlen. Deshalb haben wir uns geeinigt, dass wir uns in der Mitte ein Haus suchen. Also sind wir nach Waltenschwil gezügelt», sagt Koch – ohne zu lachen. Dort haben sie sich auch vor fast 30 Jahren kennengelernt. Die Mutter eines guten Freundes war die Wirtin des Restaurants «Bünzbrücke» in Waltenschwil. Bei der «Uustrinkete» war Eveline auch dabei, weil ihre Mutter wiederum die neue Wirtin der «Bünzbrücke» war. Seit da sind sie ein Traumpaar. «Das würde ich auch so sagen», meint er.

An der Fasnacht schläft er nie

Wer Hansi Koch sagt, kommt am Thema Fasnacht nicht vorbei. Er moderierte jahrelang den Strauschnitt in Wohlen und ist an den närrischen Tagen jeweils tagelang unterwegs, ohne nach Hause zu gehen (oder zu schlafen). Sein Freund Bingesser ist oft dabei. Er sagt dann auch: «Ich habe wohl mit niemandem so viel gelacht wie mit Hansi. Zu Spitzenzeiten an der Fasnacht 60 Stunden am Stück. Man müsste ihn erfinden, wenn es ihn nicht gäbe.» Die Fasnacht ist die grosse Bühne für Hansi Koch, der gerne im Mittelpunkt steht. Dort kann er lustig sein, verrückt, einzigartig. Wieso ist er eigentlich so, wie er ist? «Keine Ahnung», sagt Koch. «Ich bin ein geselliger Typ. Ich habe schneller lustige Gedanken als andere und lasse die dann immer sofort raus. Aber auch das musste ich trainieren.» So wie seine legendären Würfe als Rechtshänder von der falschen Seite.

Doch auch das Lustigsein hat er perfektioniert. Auch wenn er manchmal über das Ziel hinausschiesst. «Ja. Manchmal übertreibe ich», sagt auch Koch. So wie eines Abends vor etwa zehn Jahren in der Wohler «Zanzibar» (und das bringt uns zur nächsten Pointe). Koch diskutiert mit einem früheren Profifussballer an der Bar. Es ist Johann Vogel. Provokant sagt Koch zum Ex-Natispieler: «Wenn ich immer die Bälle einfach nach hinten gespielt hätte wie du, dann hätte ich auch beim PSV Eindhoven und bei der AC Mailand gespielt.» Vogel war nicht amüsiert, wollte der Freiämter Handballlegende an die Gurgel. Doch Koch konnte deeskalieren.

«Turntäschli» ist immer gepackt

Koch erlebte vor wenigen Wochen den Ritterschlag durch Pascal Jenny. Der Wohler, der früher Captain der Nationalmannschaft war und heute Präsident des Schweizerischen Handballverbandes, sagte in einem Interview, dass Hansi Koch «unumstritten der beste Wohler Handballer aller Zeiten ist». Jenny, selbst Flügelspieler, sagte weiter: «Ich habe in meiner Karriere nie einen Spieler gesehen, der vom rechten Flügel mit der falschen Hand sich so verrenken konnte und den Ball trotzdem in den Winkel jagte.» Koch muss lachen. «Das meint er nicht ganz ernst.» Und irgendwie ist doch eine Spur Wahrheit dabei. Übrigens: Sein «Turntäschli» hat er auch heute noch gepackt, wenn er an die Heimspiele des Herren «Eis» von Handball Wohlen geht. «Man weiss ja nie, ich wäre jedenfalls bereit für einen Einsatz.»

Zum Schluss wird noch das grosse Geheimnis gelüftet, wieso sich Koch jeweils in der Luft so verrenken konnte. «Ich war vor der Handballkarriere ein begnadeter Kunstturner», erzählt er mit ernster Miene. Das Gelächter seiner Frau Eveline verrät allerdings, dass er eher Mittelmass war – wenn überhaupt. «Ja, ja. Ich bin schnell an meine körperlichen Grenzen gestossen», gibt er zu. Es reichte trotzdem zum Titel des wohl spektakulärsten Handballspielers der Wohler Vereinsgeschichte – und heute reichen seine Kunstturn-Einlagen immerhin noch für einen Handstand zwischen zwei Barhockern.


Neue Serie

Wegen der Coronapandemie wurde die Fussballserie «Unsere Regionalfussballhelden» im Jahr 2020 ins Leben gerufen. Über 30 «alte» Fussballspieler des Freiamts wurden porträtiert. Die Serie erntete von der Leserschaft viel positives Feedback. Aufgrund der aktuellen Situation ist der Sport erneut auf Sparf lamme. Die Sportredaktion hat sich deshalb entschieden, diese Serie in einer angepassten Variante fortzuführen. «Unsere Sporthelden von damals» porträtiert in den kommenden Monaten Freiämter Sport-Ikonen der letzten Jahrzehnte – aus allen Sportarten (auch Fussball). Wir wünschen viel Spass beim Lesen. --red


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote