«Ich liebe den Handball»

  07.01.2022 Sport

Der Wohler Pascal Jenny ist der neue Präsident des Schweizerischen Handballverbandes (SHV)

Als genialen Handballer und Unternehmer mit frischen Ideen kennt man Pascal Jenny bestens. Nun ist der 47-Jährige seit 1. Januar der höchste Handballfunktionär des Landes. Der Wohler will den Sport wieder voranbringen. Wie Jenny das tun will, erklärt er im Interview.

Stefan Sprenger

Sie sind ein «Kämpfer» an vielen Fronten. Manchmal hat man das Gefühl, Ihr Tag hat mehr als 24 Stunden.

Pascal Jenny: (Lacht) Mein Tag dauert so lange, bis alle meine Aufgaben erfüllt sind. Mein Ziel ist es, jeden Tag mit einer leeren Mailbox und möglichst vielen umgesetzten Tasks ins Bett zu gehen.

Ich versuche, alle Ihre Aufgaben und Taten der Vergangenheit aufzuzählen.

Versuchen Sie es (lacht).

Mitglied im Exekutivrat bei Swiss Olympic, Stiftungsrat bei der Schweizer Sporthilfe, Verwaltungsratsmandate bei Arosa Tourismus, bei den Säntis-Schwebebahnen, bei Swiss Management Zürich. Dazu waren Sie Gründer des ersten Schweizer Sportfernsehens und des Arosa Bärenlandes. Als jahrelanger Tourismusdirektor von Arosa haben Sie den Schweizer Tourismuspreis abgeräumt und standen zur Wahl zum «Bündner des Jahres». Und auch zum «Aargauer des Jahres». Habe ich etwas vergessen?

Nicht schlecht. Aber es fehlt noch etwas. Ich bin der Gründer der Crowddonating-Plattform there-for-you. com, wo wir Spenden sammeln für Projekte in den Bereichen Klimaschutz, Tierschutz und Kinderhilfe. Und seit November darf ich Erfinder und Unternehmer vom «digitalen KMU-Check-up Nachhaltigkeit» sein.

Und jetzt werden Sie ab 1. Januar 2022 der neue Präsident des Zentralvorstandes des Schweizerischen Handballverbandes. Nochmals die Frage: Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?

Man braucht ein Team um sich herum, dem man vertrauen kann. Und man muss selber brutal effizient sein (lacht).

Haben Sie ein Geheimrezept, wie man den Überblick über all diese Tätigkeiten behält?

Ja. Ich glaube, der Sport, explizit der Handball, hilft da enorm.

Wieso?

Handball ist eine komplexe Sportart. Es geht schnell, man muss präsent sein und Optionen haben – je nach Spielsituation.

Und trotzdem ist es etwas anderes, auf dem Handballfeld zu stehen, als Projekte voranzutreiben.

Natürlich. Man muss im Arbeitsalltag auch Prioritäten setzen. Manchmal müssen Leute mehrere Tage auf einen Rückruf von mir warten. Dies, weil es gerade nicht so dringend ist. Es tut mir dann leid, dass ich nicht immer sofort Zeit habe, aber nur so kommen die Dinge voran. Und ich nehme mir jeden Tag zwei Stunden heraus, die ich ungestört am Computer mit den aktuellen Aufgaben verbringe.

Warum?

Ich schreibe alle Konzepte selbst, bringe die Ideen gerne zu Papier. Das hält das Hirn wach und jung (lacht). Und ist wichtig für die bestmögliche Ressourcenplanung.

Zurück zum Handball. Wieso werden Sie Präsident des Verbandes?

Die Antwort ist einfach: Ich liebe den Handball.

Die Entwicklung im Schweizer Handball geht zurück und ist schwach. Die Nationalmannschaft ist zwar so gut wie selten zuvor, allerdings gehen die Mitgliederzahlen kontinuierlich zurück. Wie wollen Sie diesen Trend abwenden?

Die Entwicklung ist rückläufig, das stimmt. Aber schwach ist dennoch das falsche Wort für die aktuelle Wasserstandsmeldung «Handball». Ein Hauptproblem ist aber die fehlende Reichweite und Gewinnung von Neumitgliedern. Das Lizenzwesen hat sich verändert. Da sind wir in der Vergangenheit nicht sehr proaktiv gewesen.

Erklären Sie.

Man löste zu Beginn der Saison eine Lizenz. Zack, dann war man Mitglied. Heute, in der Generation Z oder Y, da ist alles schnelllebiger, da will man wechseln. Man will nebenbei noch Unihockey spielen oder in den Klavierunterricht. Wir müssen das ganze Lizenzwesen überdenken, um dies attraktiver für die heutige Jugend zu machen.

Am effektivsten wäre es jedoch, wenn man den Handball attraktiver machen würde.

Ja.

Haben Sie Pläne dafür?

Es gibt nichts, was ich mir mit dem Handballsport nicht vorstellen kann. Vielleicht spannen wir mit anderen Sportarten zusammen. Die Interaktion in den sozialen Medien muss besser werden. Auch in der Wirtschaft hat dieser Sport Spielraum nach oben. Ich meine in Sachen Kooperationen. Unser Hauptziel: Wir wollen 250 000 Menschen mehr, die mit Handball in Kontakt kommen. Das heisst nicht nur Aktivsportler, sondern auch Kleinsponsoren, Newsletter-Abonnenten oder neue Mitglieder.

Und wie wollen Sie neue Mitglieder gewinnen?

Dafür gibt es kein Wundermittel. Mit erfolgreichen Nationalteams wird man attraktiver. Der Leistungssport muss ein starkes Niveau haben. Ich glaube, den Fokus auf den Frauensport zu legen, lohnt sich. Da haben wir noch wenig Mitglieder und sicherlich Steigerungspotenzial.

Wie will man Kinder erreichen?

Dort müssen wir auch Gas geben. Mit Dominique Meier aus Wohlen haben wir eine tolle Frau, die in der Handballförderung anpackt und das Projekt «Handball macht Schule» hervorragend betreut beim Verband. Wir wollen die Menschen motivieren für den Sport. Jung und Alt. Da gibt es viele Möglichkeiten. Die Frage ist – und auch unsere Aufgabe –, wo setzen wir Prioritäten, um möglichst schnell Erfolg zu haben in den nächsten drei bis fünf Jahren. Da braucht es auch unsere Leuchttürme.

Leuchttürme? Was meinen Sie genau damit?

Etwas, das die Menschen anspricht, die sonst mit dem Handball wenig zu tun haben. Wie das Bärenland in Arosa. Durch dieses Projekt sind viele Leute nach Arosa gekommen, die sonst niemals in unser schönes Dorf gekommen wären. Wir wollen Neues kreieren. Dinge, die man nicht erwartet. Wir wollen die Effizienz steigern – auch im administrativen Ablauf. Zum Beispiel Spielbetrieb auf App-Knopfdruck. Es gibt da viele Chancen. Wir müssen sie nutzen.

An Ideen scheint es nicht zu fehlen. Wie sieht es mit der Zeit aus? Als SHV-Präsident sind Sie ehrenamtlich unterwegs. Wie viel Kraft stecken Sie in dieses Amt?

So viel, wie nötig ist. Für dieses Amt habe ich im ersten Jahr einen Tag pro Woche eingeplant. Danach – wenn es läuft – einen halben Tag. Es ist ein Ehrenamt pro bono. Ich kann es mir leisten, weil ich mein Geld anders verdiene. Aber diese Möglichkeit hat nicht jeder. Auch da müssen wir diskutieren, ob das in Zukunft so bleibt und Sinn macht. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass wir gute Leute, die sich engagieren, oft verlieren, weil sie es sich nicht leisten können, komplett gratis zu arbeiten.

Wird Ihre Tätigkeit beim Schweizerischen Handballverband unterstützt?

Ja. Wir haben beim Verband kürzlich eine 29-jährige Frau angestellt, die für die Partizipation zuständig ist. Sie wird es nicht einfach haben, ich werde ihr viele Ideen liefern, die sie dann umsetzt (lacht). Wir wollen aber nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern wir verfolgen langfristige Ziele.

Sie machen vieles ehrenamtlich. Womit verdienen Sie eigentlich Ihren Lebensunterhalt?

(Lacht) Gute Frage. Ehrenamtlich bin ich bei «there for you», Swiss Olympic, der Sporthilfe und beim Handball. Geld verdiene ich durch meine Mandate bei Arosa Tourismus und in ein paar Beratungsmandaten. Dazu die Verwaltungsratsmandate bei den Säntis-Schwebebahnen und der Swiss Management Zürich. Und ich berate KMU in Sachen Nachhaltigkeit mit dem neuen digitalen Check-up. Das ist ein Start-up-Projekt, wo ich Mitinhaber bin.

Und was treiben Sie am Wochenende?

Ideen sammeln, Projekte umsetzen, und natürlich Zeit mit meiner Familie verbringen.

Spüren Sie Unterstützung aus Ihrer Heimat Wohlen?

Ja. Und wie. Es gibt immer wieder Verknüpfungen zu Wohlen. Kürzlich wurde ich von den Eishockeyanern kontaktiert, weil sie im Vereinsheft der Wohler Handballer gelesen haben, dass ich mal Eishockey gespielt habe. Und Hansi Koch, über den ich im Vereinsheft gesagt habe, er sei der beste Wohler Handballer aller Zeiten, hat sich gemeldet und gesagt, er sei jetzt zum Ritter geschlagen worden (lacht). Hier in Arosa gibt es viele Freiämter, das ist bekannt. Am Humorfestival habe ich übrigens Dennis Lück getroffen, den Werber des Jahres. Schnell kam zur Sprache, dass wir beide aus Wohlen sind. Wir haben dann vereinbart, dass wir in Wohlen mal gemeinsam einen Kaffee trinken werden. Irgendwie ist dieses Dorf immer vertreten in vielen Bereichen meines Lebens (lacht). Ich habe nach wie vor viele gute Beziehungen und gar Freunde in Wohlen. Und natürlich meine Eltern, die immer noch in der schönsten Gemeinde des Kantons Aargau leben.

Jetzt übertreiben Sie aber ein bisschen.

Nein. Wieso? Für mich ist Wohlen eines der geilsten Dörfer der Schweiz. Wohlen ist einfach toll, ich meine das ernst.

Wann kommen Sie als Präsident des Handballverbandes in die Hofmattenhalle an ein Spiel der Wohler Handballer?

Ich wusste, dass diese Frage kommt (lacht). Bald. Ich verspreche es.

Was sagen Sie zur Entwicklung Ihres Stammvereins Wohlen?

Als Junior habe ich noch in der Junkholzhalle gespielt und trainiert. Wenn ich heute sehe, dass man eine neue Halle bei den Hofmatten baut, dann ist das eindrücklich. Der Verein ist hochprofessionell – und das im Amateurbereich. Einige Vereine aus der Schweiz könnten sich eine Scheibe davon abschneiden. Natürlich hat da Präsident Martin Laubacher einen grossen Anteil.

Bleiben wir im Freiämter Handball. Der HC Mutschellen ist in der Zuschauerstatistik unter den besten 15 Teams der Schweiz. NLA und NLB inklusive. Ihre Meinung?

Krass. Das habe ich nicht gewusst. Für den HC Mutschellen und unsere Region ist das lobenswert. Es gibt aber noch eine andere Seite. Wenn ein Amateurclub aus der 2. Liga unter den besten 15 Vereinen in der Zuschauerkategorie steht, dann ist das auch ein Problem. Dann müssen wir mehr Leute generieren, die sich für den Sport interessieren, besonders in den höheren Ligen.

Am 1. Januar werden Sie neuer Präsident des Schweizerischen Handballverbandes sein. Was wird Ihre erste Amtshandlung sein?

Eigentlich war der Besuch am traditionellen Yellow Cup in Winterthur geplant. Doch dieses Turnier wurde nun coronabedingt abgesagt. Die Absage vom Yellow Cup gilt es nun zu verdauen und zudem gilt es jetzt gemeinsam mit dem Team die Handball-Termine 2022 mit und ohne Einschränkungen – mit einem Plan A und einem Plan B – zu planen.

Ihre zweite Amtshandlung könnte der neuerliche und coronabedingte Abbruch der laufenden Saison sein.

Das ist leider traurige Realität in diesen Zeiten. Ich hoffe aber, dass wir den negativen Peak erreicht haben in Sachen Coronavirus und wir die Saison ab Februar zu Ende spielen können. Aber ja, der Abbruch ist eine Option, die im Raum steht.

Was halten Sie von einer Maskenpflicht im Handball-Trainingsbetrieb?

Ich bin bei Gesprächen mit Swiss Olympic oft dabei bei Diskussionen um diese Thematik. Ich bin überzeugt, dass wir Bewegung und Sport ermöglichen müssen, sonst schlägt es auf die Psyche und die Gesundheit der Menschen. Wir müssen sicherstellen, dass man Sport treiben kann. Mit einer Maske Sport zu machen, ist sicherlich nicht von Vorteil. Aber besser als kein Sport.

Als neuer Präsident des Handballverbandes haben Sie sich eine Bärenaufgabe angelacht. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und noch mehr Erfolg bei dieser Herausforderung.

Danke. Wissen Sie, wie Veränderungen entstehen?

Sagen Sie es mir.

Wenn Leute vielleicht im ersten Moment den Kopf schütteln. Wie beim Arosa Bärenland oder der Lancierung des Schweizer Sportfernsehens. Wenn jemand sagt, «der spinnt doch, das geht doch nicht», dann kann man Sicht- und Denkweisen verändern. Und genau dies will ich im Handball erreichen. Denn wenn wir den Handball so weiterspielen wie heute, dann gibt es den Sport in 30 Jahren kaum mehr. Wir müssen umdenken, überraschend sein, neue Wege einschlagen. Dies natürlich parallel zu bestehenden und gut eingespielten Abläufen für unsere bestehenden Mitglieder. Wir stehen in meinen Augen schon ein wenig am Anfang einer neuen Ära im Handball. Das sind doch eigentlich positive und tolle Aussichten.


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