Es bleibt brisant

  17.12.2021 Sport

Die Gemüter haben sich nach dem Finalkampf zwischen der RS Freiamt und dem RC Willisau noch nicht ganz beruhigt. Timon Zeder, Vizepräsident und Aktivringer bei Willisau, hat einen Kampfbericht geschrieben, der zusätzliches Öl ins Feuer gegossen hat. Zeder möchte aber, dass sich die Wogen langsam wieder glätten. Das möchte auch Willisau-Olympionike Stefan Reichmuth. Im Gegensatz zu vielen Fans, war er nie wütend auf Magomed Ayshkanov, der ihn im Hinkampf verletzt hatte. --red


«Habe mehr Fairness erwartet»

Ringen, Nationalliga A: Die unschönen Ereignisse im Final hallen nach

Der Trainer kriegt einen anonymen Brief, die Willisauer sorgen mit ihrem Kampfbericht für Unverständnis und ein Olympionike versucht zu schlichten. Die bitteren Vorkommnisse beim Ringerfinal zwischen Freiamt und Willisau hallen nach. Und enden vielleicht doch im Happy End.

Stefan Sprenger

Ein paar f liegende Bierdosen und Stinkefinger fügen dem Ringsport erheblichen Schaden zu. «Solche Dinge dürfen unseren Sport nicht kaputt machen», sagt Marcel Leutert, Trainer der Ringerstaffel Freiamt. Mit ein paar Tagen Abstand blickt er etwas ruhiger auf die Geschehnisse am vergangenen Samstag zurück (siehe Kasten). «Enttäuschung und Wut über die ganze Situation sind nach wie vor da. Alles verlief sehr unglücklich», so Leutert. Mit dem «Hauptdarsteller» der Vorkommnisse, Magomed Ayshkanov, hatte er bislang keinen Kontakt. Er brauche jetzt Zeit, denn er sei wohl am meisten enttäuscht. Es ist möglich, dass Ayshkanov nie wieder ringt. «Wenn das so wäre, dann wäre das für die RS Freiamt ein Riesenschaden.»

Reichmuth-Verletzung macht Willisauer wütend

Die Willisau-Fans haben am vergangenen Samstag alles versucht, um Ayshkanov aus der Fassung zu bringen und ihn zu provozieren. Der Grund ist naheliegend: Drei Willisauer haben sich in dieser Saison in Kämpfen gegen den Freiamt-Russen verletzt. Im ersten Finalkampf vor zwei Wochen traf es Stefan Reichmuth. Den absoluten Leistungsträger der Willisauer, den aktuellen Star der Schweizer Ringerwelt, den Olympioniken. Er musste gegen Ayshkanov heftig einstecken, verlor den Kampf und verletzte sich heftig an der hinteren Oberschenkelmuskulatur. Das machte die Willisauer-Anhänger wütend. So wütend, dass einige Bierdosen werfen und mit Hasstiraden um sich schreien. Ein Verhalten, das im Nachhinein dem Ringsport riesigen Schaden zugefügt hat.

«Kein schöner Meistertitel»

Stefan Reichmuth hat den Kampf aus dem Spitalbett gesehen. Er wurde am letzten Freitag operiert. Im Kampf gegen Ayshkanov «verrupfte es mir den ganzen Hamstring-Muskel», erklärt Reichmuth. Zwischen sechs und neun Monate muss er sich gedulden, bis er wieder auf die Matte darf. Ist er denn wütend auf Ayshkanov? «Der Kampfrichter pfeift nicht – und dann hört man auch nicht auf. Ich hätte es genauso gemacht. Also nein, ich bin keinesfalls sauer auf ihn.» Für «Stifi» Reichmuth hält sich die Freude über den Meistertitel in Grenzen. «Es ist nicht gut, dass der Final auf diese Art und Weise entschieden wurde. Es ist kein schöner Meistertitel.»

Reichmuth versucht die Faktoren zu finden, die zu dieser Eskalation der Fans führten: «Dass ich mich eine Woche zuvor im Kampf gegen Ayshkanov verletzt habe, haben unsere Fans nicht vergessen. Es hat sie angestachelt. Zudem sind die Menschen in diesen Coronazeiten irgendwie zusätzlich gereizt. Es ist für mich als Sportler schwierig, zu verstehen, wieso einige so ausgerastet sind.» Reichmuth betont, dass 99 Prozent der Willisau-Fans «gute Leute» sind. Aber manchmal brauche es «nur wenige Idioten», die für solch einen Skandal sorgen.

Satz in anonymem Brief: «Findest du es nicht peinlich?»

Kuriose, einschüchternde und grenzwertige Dinge ereigneten sich nicht nur auf der Matte. So erhielt Freiamt-Trainer Leutert im Vorfeld des Kampfes einen anonymen Brief. Inhalt: die (mögliche) Aufstellung der RS Freiamt beim zweiten Finalkampf. Es steht der Satz: «Hat Pascal etwa Angst?» Der Hintergrund dazu bleibt unklar. Zudem wird Leutert kritisiert: «Findest du es nicht peinlich, trotz der angeblich super Nachwuchsabteilung wieder auf einen 50-jährigen Ukrainer zurückgreifen zu müssen?» Gemeint ist Andrey Maltsev von der RS Freiamt, dessen Einsatz im Final «kein Thema war», wie Marcel Leutert sagt. Der Trainer hat den Brief ignoriert und als Lausbubenstreich abgetan (was es auch ist).

Was in diesen Tagen viel mehr zu reden gab, war der Kampfbericht der Willisau Lions, publiziert auf der Homepage. Geschrieben von Vizepräsident und Aktivringer Timon Zeder. Trainer Leutert sagt dazu: «Ich habe mehr Fairness erwartet von Willisau. Ich kann mir das nicht ganz erklären.»

Besonders zwei Passagen führen im Freiämter Lager zu roten Köpfen. «Wichtige Randnotiz: Ayshkanovs Aktion passiert noch vor dem Wurf der ersten Bierf lasche.» Auf den TV-Bildern ist aber etwas anderes zu erkennen. Die erste Bierdose fliegt schon durch die Luft, als Ayshkanov sich zu der Unsportlichkeit hinreissen lässt. Dazu sagt Verfasser Zeder: «Okay. Es war wohl gleichzeitig.» Leutert meint: «Die Dosen fliegen – und dann folgt die Reaktion darauf. Der Ursprung des Ganzen ist in diesem Bericht der Willisauer einfach nicht wahrheitsgetreu geschildert. Der schwarze Peter wird Ayshkanov zugeschoben, das nervt mich.» Natürlich sei die Aktion von ihm unentschuldbar, aber die pausenlosen Provokationen kamen nicht vom Freiämter.

Zeder: «Ayshkanov hat es auf die Spitze getrieben»

Weiter heisst es im Bericht: «Auch unentschuldbar ist die Aktion des Russen, er hatte seine Nerven dermassen nicht mehr im Griff. Ayshkanov verletzte diese Saison Stefan Reichmuth, Samuel Scherrer und Dominik Bossert mit Aktionen am Rande oder auch jenseits der Legalität. Irgendwo sicherlich ausgeglichene Gerechtigkeit aus Sicht der Willisauer.» Leutert meint zur Aussage mit der «ausgeglichenen Gerechtigkeit»: «Grenzwertig. Das geht gar nicht.» Leutert versucht, den Bericht einzuordnen: «Bis Montag blieb es ziemlich fair, von den Willisauer Ringern kam nichts Provokantes. Dieser Bericht hat aber vieles ans Licht gebracht, wie die Meinungen bei einigen sind.»

Verfasser Timon Zeder rechtfertigt sich: «Der Bericht ist aus Willisauer Sicht geschrieben. Ayshkanov ist ein Top-Ringer, doch er hat es mit seinem Verhalten auf die Spitze getrieben. Vielleicht wurde er von den Coaches der RS Freiamt auch falsch eingestellt, wenn er dann so die Fassung verliert? Denn es war ja klar, dass er provoziert wird.» Zeder, der in der Pause des zweiten Finalkampfes eigentlich schon mit einem dritten Duell rechnete, erklärt weiter, dass er Ayshkanov nicht disqualifiziert hätte: «Eine Verwarnung wäre wohl geschickter gewesen. Das Fingerspitzengefühl fehlte da. Aber die Kampfrichter setzen das Reglement akribisch um.»

Die Gefahr, dass aus den sportlichen Rivalen mit freundschaftlichem Verhältnis jetzt eine Hassbeziehung wird, ist vorhanden. Nur ganz wenige Exponenten beider Lager versuchen nicht die Wogen zu glätten, der Grossteil will eine heile Ringerwelt. Der Willisauer Timon Zeder meint: «Wir müssen den Dialog suchen. Willisau und Freiamt verstehen sich nach wie vor sehr gut. Das darf nicht kaputt gehen.»

Versöhnung beim Raclette?

Willisaus Olympiaringer Stefan Reichmuth kommt in dieser ganzen Diskussion eine sehr gewichtige Rolle zu. Denn er wird in beiden Lagern enorm geschätzt, als Mensch und Ringer. «Es ist passiert. Der Kampf vorbei. Es ist nicht sonderlich toll gelaufen. Aber wir müssen jetzt schauen, dass wir alle die Wogen wieder glätten», so Reichmuth. Die Ringer haben ihre Konsequenzen gezogen aus den Bierdosenwürfen und der negativen Stimmung. In Zukunft sollen die Getränke nur noch in Plastikbechern ausgeschenkt werden. Dazu sollen Fanbeauftragte dafür sorgen, dass die Stimmung nicht explodiert. «Zeit lassen. Konsequenzen ziehen. Lösungen finden. Der Ringsport ist mit einem blauen Auge davongekommen», sagt Reichmuth, der auch an die nächsten Olympischen Spiele im Jahr 2024 will.

Als Startschuss der Versöhnung meldete sich Reichmuth diese Woche bei RS-Freiamt-Trainer Marcel Leutert. Morgen Samstag findet die diesjährige Ringernacht der Freiämter in Form eines Racletteplausches in der Halle in Aristau statt. Und Reichmuth fragte, ob ein paar Willisauer dabei sein dürfen. Ein Zeichen der Kameradschaft. Ein Zeichen von Sportsmännern. «Natürlich dürfen sie kommen», sagt Leutert und fügt an: «Es muss weitergehen und mit den meisten Willisauern haben wir nach wie vor ein gutes Einvernehmen, das soll so bleiben.» Denn schliesslich ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es auch 2022 zum Final dieser beiden Teams kommen wird.


Was ist passiert?

Willisau gewinnt den ersten Finalkampf gegen Freiamt in Muri. Beim zweiten Kampf in Willisau sind 1700 Fans dabei. Die Stimmung gigantisch. In der Kategorie 86 kg Freistil duellieren sich Willisaus Reto Reichmuth und Freiamts Magomed Ayshkanov. Der Freiamt-Russe hat alles im Griff, führt mit 14:0. Mit einem Sieg wäre der dritte Finalkampf (in Muri) so gut wie sicher gewesen. Eine unerlaubte Aktion gegen das Gelenk wird von den Schiedsrichtern sofort unterbunden. Die Willisau-Fans rasten aus und werfen Bierdosen Richtung Ayshkanov. Dieser zeigt den Mittelfinger, wirft eine Dose zurück ins Publikum. Er wird disqualifiziert. Diese Niederlage ist entscheidend, dass Willisau auch den zweiten Final gewinnt – und den Meistertitel holt.


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